Sophie Hunger im Interview: „Ich brauche kein Zuhause“

Endlich frei! Die Schweizerin Sophie Hunger hat die Heimat hinter sich gelassen, um ihre furchtlosen Popsongs in die Welt zu tragen. Sie reist ohne Gepäck, aber mit starkem Willen.

Zum Sterben nach Hause

Menschen, die zu ihrer Vorstellung von Selbstbestimmung passen, findet sie überall. Für ihr neues Album hat sie das berühmte „Chanson d’Hélène“, einst von Romy Schneider und Michel Piccoli gesungen, mit dem berüchtigten Ex-Fußballer Eric Cantona neu aufgenommen. Hunger imponiert sein Kampfgeist, seine Kulturbegeisterung und seine „Autorität“, wie sie es nennt. „Drei Takes und wir hatten es. Ich konnte nicht glauben, wie gut er ist. Ein toller Kerl mit einem ganz freien Blick auf die Dinge. Er kann alle Kontexte ausblenden und die Dinge sehen, wie sie wirklich sind.“ Während der Finanzkrise schlug Cantona seinen Landsleuten vor, alles Geld von der Bank abzuheben – nur so würde sich etwas bewegen.

Hunger mag das Unbequeme. Sie selbst hat Songs geschrieben wie „The Boat Is Full“, weil ihr die Isolationspolitik ihres Landes nicht passte, und auch wenn sich ihre neuen Lieder nach innen statt nach außen wenden, regt sie sich immer noch gern auf – zuletzt sehr öffentlich über die Schweizerische Volkspartei.

„Ich beteilige mich mit großer Lust an Debatten und verstehe nie die Leute, die sagen, dass sie sich nicht für Politik interessieren. Gerade Künstler. Das finde ich peinlich. Ich streite gern.“

„Wenn die SVP so dumme Sachen sagt wie, dass die Schweiz aus dem Völkerrecht austreten soll – das ist doch eine Steilvorlage. Wenn man da nichts sagt, dann macht das Leben doch keinen Spaß mehr! So was Dämliches muss doch kommentiert werden, so gute Feinde bekommt man selten.“

Natürlich, räumt sie ein, habe sie es da leichter als etwa ihr Landsmann Roger Federer, der sich lieber aus allem raushält. Er hat Werbeverträge, sie nicht.

Hunger kennt allerdings ohnehin kaum Hemmungen – wie auch das neue, beklemmend schöne Stück „Heicho“ beweist. Darin singt sie in rührendstem Schwyzerdütsch davon, dass sie zum Sterben heimkommen wird. Ihren Eltern erzählte sie beim Italiener von dem Lied, sie starrte auf ihren Teller, um sich an den Text zu erinnern – und als sie aufblickte, weinte ihr Vater. Der sonst nie weint. Gezweifelt hat sie dennoch keinen Moment: „Prinzipiell muss Kunst frei sein und alles sagen können, auch die schlimmsten Dinge. Und ,Heicho‘ ist ja keine Lüge oder Provokation, ich denke das einfach so: Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich zum Sterben nach Hause gehen werde – und vorher nicht.“

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Deutsch, Schweizerdeutsch, Englisch, Französisch: Sie entscheidet intuitiv, welche Sprache sie für welchen Song verwendet. In jeder fühlt sie sich „wie ein anderer Mensch. Deshalb ist es so schön, verschiedene Sprachen zu lernen, weil man so verschiedene Menschen sein kann und gleichzeitig immer man selbst bleibt. Es ist, wie wenn man einen Fächer öffnet.“

In Berlin trifft sie so viele Menschen unterschiedlicher Nationalität, dass sie ihre Lust am Sprachen-Jonglieren gut ausleben kann. Nur eins wurmt Hunger: dass es kaum Frauen in ihrem Arbeitsumfeld gibt, sie ist auf Tournee fast nur mit Männern unterwegs. „Voll blöd“, platzt es aus ihr heraus. „Gerade haben wir zwei Monate lang vergeblich nach einer Tourmanagerin gesucht. Dann wären wir wenigstens zwei von zwölf. Das würde die Atmosphäre verändern, es täte der Gruppe gut. Ey, Frauen, fangt an, in diesen Berufen zu arbeiten! Tourmanagerinnen, stagehands, Musikerinnen: Wir brauchen das!“ Sie geht mit gutem Beispiel voran, um die Gleichberechtigung zu stärken: Elterliche Pflichten sind der einzig legitime Grund für ihre Musiker, eine Tournee zu schwänzen – egal ob Mann oder Frau.

Dabei hat sie keine Illusionen darüber, wie es meistens läuft: „Bei meinen Freundinnen aus der Schulzeit sehe ich, wie es ist, wenn die Kinder kommen. Vorher wird gesagt, wir teilen das 50:50 – aber bei keiner Einzigen ist es so gekommen, die sind jetzt alle zu Hause. Und ich bin so sauer und frage sie immer: Wofür habt Ihr zehn Jahre studiert?“

Gefällig sind ihre Popsongs noch immer nicht

[artist]Sie geht einen anderen Weg, furchtlos und ohne zurückzublicken. Sie plant immer weniger, „ich mag es, wenn sich Entscheidungen von allein ergeben. Plötzlich geht eine Tür auf, dann nehme ich die“. So hat sie sich auch dafür entschieden, bei einer kleineren Plattenfirma zu unterschreiben, nicht bei einem Konzern. Sie mag Teamwork, sie setzt sich gern mit Leuten auseinander, aber zu viele Kompromisse eingehen wollte sie nie. Am härtesten kämpft sie immer mit sich selbst. Als es darum ging, die Lieder für „Supermoon“ auszuwählen, mussten einige der interessantesten weichen, sie sind jetzt nur auf der Deluxe-Version zu hören. Sophie Hunger wollte, dass man das Album durchhören kann und nicht allzu sehr aufgeschreckt wird – etwa von dem hysterischen Katastrophenstück „Am Radio“ oder der zuckenden Todesballade „Universum“.

Sie will natürlich, dass dieses Album ein Erfolg wird, doch gefällig sind ihre Popsongs immer noch nicht – dafür sind sie zu wild, zu seltsam. Liebeslieder heißen bei ihr etwa „Love Is Not The Answer“, sie singt von brennenden Schmetterlingen und arbeitslosen Akrobaten. Das Unheimliche kommt bei immer mehr Menschen an: Etliche ihrer Konzerte, die sie im Mai geben wird, sind jetzt schon ausverkauft. „Ich habe ja keine Radio-Hits. Wie finden die Leute eigentlich meine Musik?“, fragt Hunger, schüttelt den Kopf, lächelt. „Über Facebook und so, durch Konzerte, Mundpropaganda. Das macht mich stolz. Es ist, als würde man dem Mainstream ein Schnippchen schlagen!“

In „Queen Drifter“ singt sie: „I’m feeling courageous/ Like a star in epic poetry/ Nothing can faze me/ I’m as firm as the pavement/ I’m a stone with old-school courtesy.“ Ein rollender Stein natürlich.

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