#BackToLive-Interview mit Sophie Hunger: „Ich bin stur und gebe nicht auf“

Ein Leben im Vielleicht: Wie die Songwriterin SOPHIE HUNGER die Pandemie erlebt, was sie von der Politik fordert, von der Musikindustrie erwartet – und wie sie mit den Aggressionen der Impfgegner umgeht.

Wie viel Hin-und-her gab es im Verlauf der Pandemie beim Buchen, Absagen, Verschieben, Neuansetzen deiner Konzerte – und wie verkraftest Du das?

Es ist alles hypothetisch geworden. Ein Leben im Vielleicht. Nichts ist verbindlich. Man verliert an Substanz. Selbstsicherheit hat damit zu tun, dass man das, was man vorhat auch umsetzen kann. Wenn die Welt willkürlich ist, dann verliert man sich. Außerdem frisst die bloße Beschäftigung mit den Modellierungen, den Abwägungen und Kalkulationen jeder möglichen Eventualität die ganze Energie und Aufmerksamkeit. Die hat man früher in Kreativität gesteckt. Man wird nichtssagend.

Was hält Dich am Laufen, wie motivierst Du Dich trotz allem?

Ich bin stur und kann nicht aufgeben. Außerdem verdiene ich als Autorin meiner Musik auch etwas, wenn wir nicht spielen, somit kann ich es mir erlauben stur zu bleiben. Aber es nagt schon am Bauch. Ich bin miesepetriger als früher, lache weniger. Die Freude macht sich rar.

Wie stark treffen Dich die finanziellen Einbußen?

Schon deutlich, aber es ist, da ich auch über die Gema, Verlagsrechte, Tantiemen oder Auftragskompositionen Geld verdiene, noch nicht existentiell. Aber für viele andere ist es das. Denn das Livegeschäft hat sich nach dem Zusammenbruch der traditionellen Plattenindustrie als Haupteinnahme-Quelle für Musiker entwickelt. Von irgendwoher muss der Lohn ja kommen. Wenn schon nicht mehr über den Plattenverkauf, nicht übers Streaming dann mindestens übers Spielen. Das ist jetzt auch weg. Eine ganze Generation von Musikern wird zum Amateurtum verdammt.

Früher war es eine Kardinalsünde ein Konzert abzusagen, man musste schon fast am offenen Herzen operiert werden, um sich das zu erlauben. Heute ist das Konzerteabsagen wie Swipen auf Tinder geworden

Wie geht es Deiner Crew in dieser Zeit?

Nicht gut. Keine Arbeit, und wenn dann unsichere Bedingungen, kleinere Budgets, tiefere Löhne. Früher war es eine Kardinalsünde ein Konzert abzusagen, man musste schon fast am offenen Herzen operiert werden, um sich das zu erlauben. Heute ist das Konzerteabsagen wie Swipen auf Tinder geworden. Ich hasse es, es geht gegen alles, woran wir glauben.

Wie gut oder schlecht, bürokratisch oder unbürokratisch lief es mit den staatlichen Überbrückungshilfen?

In der Schweiz gab es sehr viel staatliche Hilfe, aber ich habe mich nicht darum beworben, ich sage mir, solange ich noch genug Geld verdiene mit den Tantiemen, ist es nicht für mich.

Sophie Hunger bei einem Auftritt in Berlin
Sophie Hunger bei einem Auftritt in Berlin

Was muss und kann die Politik tun und besser machen? Gibt es konkrete Forderungen, die Du gern vertreten möchtest? 

Mit Musik wird auch während der Pandemie unheimlich viel Geld verdient, die Streaming-Dienste haben Rekord-Neuanmeldungen. Das heißt, die Einnahmen, das Geld ist da, es landet nur nicht bei denen, die die Musik herstellen. Die Politik hätte den Handlungsspielraum das zu stoppen. Es wäre hilfreich, gesetzlich vorzuschreiben, dass die Autoren und Interpreten der Musik den Großteil der erzielten Gewinne erhalten. Es bräuchte ein europäisches Gesetz dazu. Wer den Inhalt kreiert und dessen Produktion finanziert sollte mindestens 50% der Einnahmen bekommen. Dann wäre die Finanzierung der modernen Musikindustrie gelöst und es bräuchte gar keine Almosen seitens des Staates. Wir würden einfach das bekommen, was uns gehört. Was die Livebranche anbelangt, da muss es eine Impfpflicht geben damit die Pandemie ein Ende nimmt und wieder gespielt werden kann vor brüllendem Publikum.

Wie hast Du 2021 die Fans erlebt – bei Deinem Konzert beim ROLLING-STONE-Beach war die Stimmung ja sehr euphorisch… War das überall so? Oder gab es auch zurückhaltende Reaktionen, weil sich Leute noch unwohl fühlten in der Masse? 

Das Rolling Stone Beach war zu einem Zeitpunkt, als es gerade so noch eine Art Fenster der Freiheit gab. Die Menschen waren euphorisch, aber sich auch bewusst, dass es bald damit vorbeisein würde. Es war so eine Art kollektiver Polterabend. Im Winter dann war’s schon wieder viel unangenehmer. Man geht raus und denkt, eigentlich ist das falsch.

Wie solidarisch erlebst Du die Musikszene, wie tauscht Ihr Euch untereinander aus – falls Ihr es tut?

Es entstehen schöne Zusammenarbeiten. Im Lockdown dieses Frühjahr habe ich mit Bonaparte und Tyler Pope, dem Bassisten von LCD Soundsystem, zusammengearbeitet, da wir gemeinsam für Arte eine Lockdown-Show am Holzmarkt filmten. Daraus entstand eine EP, die gerade veröffentlich wurde. So etwas wäre ohne Pandemie nicht passiert.

Die Reaktionen sind sehr aggressiv und primitiv. Wie einige Impfgegner auch

Du setzt Dich auf Twitter etc. ja auch für die Impfpflicht ein (#impfpflichtjetzt) – welche Reaktionen hast Du darauf bekommen? Was sagst Du denen, die meinen, ihnen würde dadurch ihre Freiheit genommen? 

Die Reaktionen sind sehr aggressiv und primitiv. Wie einige Impfgegner auch. Ich habe kein Verständnis dafür, dass wir unsere Gesellschaft im Regen stehen lassen, nur um die Gefühle von ein paar Narzissten nicht zu verletzen. Ich finde auch, man räumt ihnen zu viel Platz ein. Ja, in der Schweiz gibt’s davon auch ein paar, das hat aber auch mit unserer Vergangenheit zu tun, wir haben in manchen Gebieten anti-demokratische Mentalitäten, die zurück gehen auf die alte Eidgenossenschaft vor der Kultivierung durch Napoleon. Gerade in ländlichen Gebieten wird der Staat als eine Art Bedrohung beschrieben, eine fremde Herrschaft. Diese Erzählung füttern populistische Parteien wie die SVP, um dort Stimmen zu fangen. Am Ende aber sind gerade jene Gebiete total abhängig vom Staat und der demokratischen Gemeinschaft, die sie beschützt und unterhält.

Kannst Du Dich uneingeschränkt auf die Konzerte im diesem Jahr freuen – oder befürchtest Du, dass es wieder so weitergeht wie 2020 und 2021?

Es gibt ja berechtige Hoffnung, dass Omikron eine endemische Phase einläutet. Bis es so weit ist, müssen zwei Dinge funktionieren: Es müssen sich so viele wie möglich impfen lassen und es darf keine neue, ausgefuchstere Mutation entstehen. Für den Sommer bin ich sehr optimistisch. Wir haben auch schon einige Einladungen bekommen, unter anderem für das neue Festival am Tempelhof in Berlin. Die nächsten drei Monate aber werden hart, es werden viele Menschen sterben vor ihrer Zeit, obwohl man es hätte verhindern können. Ein Dank an alle, die helfen hier rauszukommen. Das ist Rock’n’Roll!

#BackToLive

Wir haben ab 26. Januar einen digitalen Space gestartet, den wir für Bands, Musiker*innen, Veranstalter*innen, Clubs und Solo-Selbstständige im Live-Musik-Geschäft eingerichtet haben. Hier können alle ihre Konzertankündigungen, -verschiebungen und -absagen kommunizieren und sich über Projekte, Jobs und besondere Veröffentlichungen informieren. Hier können auch Statements gemacht und Meinungen diskutiert werden.

Schickt eure Infos und Kommentare (maximal 700 Zeichen) zur (kostenlosen) Veröffentlichung, gern mit Foto, an: backtolive@rollingstone.de. Die BackToLive-Seite findet ihr unter rollingstone.de/backtolive

Frank Hoensch Redferns
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