Stets abgedrehte Musik, doch niemals die Revolution – PRIMAL SCREAM bleiben die Helden der Improvisation

Die Männer von Primal Scream sind zwar selten realistisch, aber immer reell. Wenn du etwas sagst, was ihnen nicht paßt, wollen sie dir die Fresse polieren, aber wirfst du dann als versöhnliche Geste den Namen eines gemeinsamen Helden in die Runde, klopfen sie dir zärtlich auf die Schulter. So läßt sich ein bißchen Frieden schaffen, wenn man mit ihnen über ihr neues Album „Vanishing Point“ spricht, das Primal Scream als Revolution empfinden, indes mit „Mumpitz, aber far out“ von Wolfgang Doebeling treffender charakterisiert wurde.

Ist ja auch zu blöd, daß die Revolution gerade von Prodigy ausgerufen wurde und die Regenten Oasis souverän die herrschende Ordnung verteidigen. Einige Monate früher wäre Primal Scream-Sänger Bobby Gillespie vielleicht ja mal kurz das Tagesgespräch gewesen. Aber Revolution? Nein, die hat seine Band nun wirklich nie verkörpert. Obwohl Irrsinn und Enthusiasmus bei ihnen schon Werke gezeitigt haben, die äußerst kurzweilig waren – allerdings auch immer kurzlebig. Denn was von Primal Scream gerne mal als Zukunft gefeiert wurde, war stets nur eine Illusion der Zukunft, was ja häufiger mal vorkommt bei Musik, die die süße Macht der Drogen nicht verleugnen wilL Erinnert sich noch jemand an „Screamadelica“ Anfang der Neunziger, diesen Bastard aus Acid-House und Boogie? Verdammt unterhaltsam, aber ohne Zukunft. Doch das wußte damals natürlich niemand.

„Screamadelica“ war überdies ehrlicher und spannender als der Nachfolger „Give Out But Don’t Give Up“, auf dem sich die Briten anno ’95 in Sachen Southern Rock versucht haben. Bobby Gillespie, der mit dem extrabreiten Lachen, erinnert sich nur mit Schrecken an jene Zeit, in der Fotos von ihm gerne mal zur Bebilderung des sogenannten Heroin-Chic durch die Redaktionen der Frauenzeitschriften gereicht wurden. Eine moralphilosophische Predigt von Hobby-Denker Wolfgang Joop blieb ihm damals gerade noch erspart. „Wir haben uns geistig und körperlich fertiggemacht, und schlimmer noch: Die Musik hat einfach nicht funktioniert.“

Bei „Vanishing Point“, dem ersten Album von Primal Scream nach vielen Jahren Freizeit (unter anderem mit „Trainspotting“-Autor Irvin Welsh in einschlägigen Etablissements verbracht), scheint dieser Schrecken noch nachzuhalten. Klaustrophobisch und kraus ist ein Teil des Werks geraten; hell und humorig hingegen der andere. Nein, die Revolution ist das leider schon wieder nicht, aber nach anfanglicher Abneigung entdecke ich immer mehr schöne Details.

Klar, der Himmel hängt wieder voller Sitars, und seine Toastbrot-in-Memphis-Attitüde hat der schottische Schlacks Gillespie noch immer nicht ganz abgelegt Aber man spürt den tiefen Drang, sich mitzuteilen auf diesem Album voll fluider Sounds, das manchmal aber zu allen Seiten ausläuft. Ohne einen festen Produktionsplan haben Primal Scream in ihrem eigenen kleinen Studio in London gearbeitet. Monströs und verstörend die Single „Kowalski“, ein Motorenrauschen aus Beats und Riffs, illumierend und herzerwärmend der Song „Star“, für das der große Augustus Pablo seine Melodica erklingen läßt. „Everybody is a star“ singt Gillespie.

Aber am hellsten von allen leuchtet, zumindest in Primal Screams Sonnensystem, der Pianist Martin Duffy, der seit über eineinhalb Jahrzehnten seinen ganz persönlichen Stil verfolgt (früher bei Feit). Ein unscheinbarer KerL der jedoch die vertrackte Akkordik des Jazz mit futuristischen Pop-Spielchen zu kombinieren versteht.

Als später das Gespräch mit Bobby Gillespie eine gefährliche Wendung nimmt, weil ich mich zu abfallig über den Garagen-Stampfer „Medication“ äußere, muß schnell ein Kniff gefunden werden, um die womöglich anstehenden handgreiflichen Ausschreitungen abzuwenden. Ich sage daher so cool wie möglich: „Martin Duffy ist Sly Stone in weiß.“ Bobby Gillespie entspannt sich, und sein Gesicht verzieht sich zu diesem einmaligen Grinsen. So breit ist das, daß es nicht mal auf zwei Titel des „NME“ passen würde.

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