Stets bei Rot über die Straße gehen

Schauspieler, Theatermacher - und nun musikalischer Anarchist: Ben Becker macht sich daran, die eigene Grenze auszureizen

Schauspieler, die auch auf musikalischer Ebene zu glänzen versuchen, pflegen eine lange, wenngleich wenig glamouröse Tradition – so wie Uwe Ochsenknecht sich dem Rampenlicht der Konzertbühne stellte: als Akteur kein Genie, als machohafter Möchtergernrocker kaum noch vertretbar. Doch gibt es auch ein Leben abseits des Formatkinos etwa mit Ben Becker. Der Ziehsohn Otto Sanders und Bruder des „Kleine Haie“-Stars Meret Becker, hatte zuerst mit Schauspielerei wenig am Hut und startete als glückloser Punk Ende der 70er, bevor er vom Bühnenarbeiter zum Darsteller wurde. Neben Engagements an Schauspielhäusern gehören ein mit dem Grimme-Preis gekrönter Auftritt in „Polizeiruf 110“, seine Hauptrolle in Josef Vilsmaiers „Schlafes Bruder“ und die Aufführung seines selbst verfaßten Theaterstücks „Sid & Nancy“ 1995 in Berlin zu den Höhepunkten seiner Laufbahn. Der Ruf, das Enfant terrible der Theaterszene zu sein, haftet ihm aufgrund eines lockeren Mundwerks und eines angeborenen Nonkonformismus von jeher hartnäckig an. Beckers Band, bestehend aus dem Drehbuchautoren und Soundtrack-Komponisten Jacki Engelken sowie dem Avantgardisten Ulrik Spies, begann im Januar vergangenen Jahres mit einer Clubtour und veröffentlicht nun ihr Debüt-Album „Und lautlos fliegt der Kopf weg“.

Beckers Liedtexte entstehen „aus dem Bauch heraus“, nehmen selten ein Blatt vor den Mund, sind jedoch frei von Platitüden, die man ab Slogans an Häuserwänden findet. Mit Genuß schlachtet er heilige Kühe wie etwa besternte Luxuskarossen („Rocker“), würgt uns den moralischen Zeigefinger von hinten rein („U-Bahn“), zeichnet kleinbürgerliche Psychogramme („Mutter“) oder betreibt unterhaltsame Nabelschau, wenn er sich mit dem ertrunkenen Stones-Gitarristen Brian Jones vergleicht „Ich fühle mich ihm auf seltsame Art verbunden“, erklärt Becker.

„Ich bin antiautoritär erzogen worden, Beatles und Stones waren fester Bestandteil meiner Jugend, doch an Jones gab es schon im Aussehen Parallelen zu mir, das Gesicht, der traurige Blick. Ich wollte mich gerne als seine Reinkarnation vorstellen, leider war ich schon auf der Welt, als er starb.“ In einem Song singt Becker: „Ich bin Brian Jones/ Brian Jones ist wie ich/ Ertrunken/ Sagt man/ Macht nichts“, meint damit aber nicht, daß sein Ableben ähnlich naß vonstatten gehen wird. „Ertrinken kann man auch in einem übertragenen Sinne, wie man sich manchmal tot fühlt – obwohl wir leben, agieren oder doch nur funktionieren. Angepaßtheit und Selbstbeweihräucherung sind die Schreckensgespenster, von denen Becker heimgesucht wird. Als Schauspieler ein Extremfall, mutiert er ab Musiker zum Anarchisten, der Wahnsinn mit Methode praktiziert: die Nation mit Underground versorgen und das eigene Selbstverständnis stärken. „Untergrund ist einer meiner Lieblingsbegriffe“, sagt Becker mit ironischem Grinsen. „Ich mag den Gedanken eines losen Zusammenwirkens kreativer Kräfte, so wie bei Warhols Factory. Der Sinn ist nicht, dem Publikum eins auf die Mütze zu geben, sondern die eigenen Grenzen auszureizen“, erklärt er weiter und verfällt in eine Anekdote über das Spiel „Free Schach“, dessen Bedeutung er bei einem Treffen mit dem Ausnahme-Choreographen Johann Kresnik und Gottfried Heinwein in einer Szenekneipe erlernte. „Ich überlegte gerade noch, wie man Schach spielt, da hab ich schon den vollen Aschenbecher in der Fresse! Kresnik grinst – da kippt Heinwein den vollen Tisch um und meint: ‚Du bist dran!‘ Mir war klar, daß der einzig sinnvolle Spielzug gewesen wäre, das Lokal in die Luft zu jagen, aber ich kniff den Schwanz ein! Ich muß nicht auf die Bühne kacken oder mir einen Arm abhacken.“ Solange Ben Becker mit seiner Lyrik klarmacht, daß es Hoffnung gibt im Lande der Dichter und Denker und er weiter mit Leidenschaft bei Rot die Straße überquert, ist alles in Ordnung.

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