Stuart Murdoch von Belle And Sebastian spricht endlich über bizarre Träume, die eigentlich Songs sind, und die Pflicht des Produzenten: Teekochen!

Den ganzen Samstag vertrödelt und „If You’re Feeling Sinister“ gehört. Drei Stunden bei Regen nach München gefahren, Belle And Sebastian live gesehen, einen hinter mir gefragt: „Siehst du überhaupt was?“, aber der hatte eh die Augen geschlossen. Einen ganzen Liebeskummer nur mit der „Jonathan David“-Single durchgestanden.

Denn: Leute, die Belle And Sebastian mögen, neigen dazu, die Musik viel persönlicher zu nehmen als andere Platten. Sie begreifen nicht, warum viele es sogar besonders blöd finden, wie Belle And Sebastian-Songs manchmal um diese Nähe zum Hörer zu buhlen scheinen wie süße Petzibären. Das ist alles längst sprichwörtlich: Die Gruppe aus Glasgow ist niedlich, versteckt sich vor der Öffentlichkeit, schickt höchstens den Trompeter oder Notenumblätterer für ein paar Statements zur Pressekonferenz.

Belle And Sebastian sind jetzt bei Rough Trade, und dem Rough Trade-Chef Geoff Travis wäre es nicht in die Tüte gekommen, dass Sänger und Haupt-Songwriter Stuart Murdoch sich weiter verweigert. Zum glücklichen Überfluss ist „Dear Catastrophe Waitress“ gleich noch das beste B&S-Album seit „Sinister“ ‚(1996). Und Murdoch hatte Lust zu reden, zog ein enges T-Shirt mit dem Aufdruck „I’m With Them“ an und erläuterte selbst die urältesten Songtexte nachträglich, wenn einer fragte.

„The State I Am In“ von 1995, erstes Lied überhaupt: Die Inspiration kam von einem Traum, in dem sein jüngerer Bruder plötzlich den Eltern erklärte, er sei schwul.“Die Hochzeit meiner älteren Schwester stand damals kurz bevor, ein großes Famiuentreffen. Ich spürte schon den Druck, weil ich wusste, dass alle fragen würden: Stuart, wann heiratest du? Und wann suchst du dir endlich Arbeit? Ich machte damals nichts.“ Ausgerechnet Murdoch kann einem endlich mal mit Verve erklären, was das Idiom „Songs schreiben“ eigentlich heißt – wie eilig und schwierig es sein kann, gute Ideen festzuhalten. Wie an besonderen Tagen Lieder förmlich heraushüpfen. Wie sehr es hilft, etwas Gemeines über jemanden zu schreiben, der einem gerade weh getan hat. „Der Ausgangspunkt für einen Song ist wie ein Saatkorn. Das kommt oft im Schlaf, im Traum, und die beste Chance, es festzuhalten, hat man kurz nach dem Aufwachen.“ Für „I’m A Cuckoo“ von der neuen Platte träumte Murdoch, in einem Club einen 15-Jährigen aus der Jugendgruppe zu treffen, die er in seiner Kirchengemeinde leitet, und der Junge war als Punk verkleidet. Der Sänger deutet sowas rein emotional, deshalb passen seine Tagebuchnotizen (nach ein paar Umwegen) auch so gut in die Tagebücher der Leute, die Belle And Sebastian mögen. In die Welt passen die jugendlichen Transvestiten, Behinderten und Freaks jedenfalls nicht, die Murdoch in seinen Texten immer mit Vornamen anspricht und die bei Familienfesten wohl in derselben einsamen, aber irgendwie auch gemütlichen Ecke sitzen.

Die Band wiederum ist eine Arbeitsgruppe. Mick, der Trompeter, sei bei „Dear Catastrophe Waitress“ dafür eingeteilt worden, die Orchester-Arrangements „zu organisieren“ (was Murdoch so sagt wie: den Spaghetti vorrat für die Jugendfreizeit organisieren). Mick hat es gemacht, nicht – wie viele glauben -Produzent Trevor Hörn. „Wenn das, was die Band vorbereitet hat, im Studio gut klingt, muss ein Produzent nichts anderes tun, als alles schnell aufnehmen. Er kocht den Tee, er kauft die Bustickets.“ Hört man genau hin, was Murdoch sagt und singt, wird er immer unniedlicher.

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