Suff und Globalisierung

Edo Popovic war so eine Art Popliteratur-Größe des ehemaligen Jugoslawiens, Mitbegründer der wichtigsten Literaturzeitschrift des Landes, „Quorum“, und Verfasser von „Ponocni boogie“ („Mitternachts Boogie“,1987), dem „Soloalbum“ der Zagreberjugend der 8oer Jahre. Dann kollabierte der Kommunismus, und bald darauf versank das Land im Bürgerkrieg. In dieser Zeit erschrieb er sich noch einen anderen Ruf- als unbestechlicher, ideologisch unverdächtiger Kriegsreporter. Nach dem Friedensschluss brachte er die Lesebühnenszene des geteilten Landes auf Trab, nicht zuletzt mit dem „Festival A Knjizevnosti“(FAK). „Knjizevnost“ steht für die kroatische Literatur, erklärt er, „und das A ist das Zeichen für die Qualität. Wir lasen in Cafes, Kneipen und einmal sogar in einem Gefängnis. An dem Festival nahmen ausschließlich etablierte Autoren teil, neben zeitgenössischen kroatischen auch einige englische — Irvine Welsh, James Kelman, Matt Thorne etc. -, und Schriftsteller aus Serbien, Bosnien und Herzegowina und Slowenien. Das FAK fand nicht nur in kroatischen, sondern auch in zwei serbischen Städten statt, in Belgrad und Novi Sad, und dann auch in ein paar Städten Großbritanniens.“

Nach diversen Veröffentlichungen, etwa seinem hochgelobten Kriegsroman „Der Traum der gelben Schlangen“ (2000), erschien 2003 „Ausfahrt Zagreb-Süd“, das nun als erstes seiner Bücher einen deutschen Verlag gefunden hat (Voland & Quist,mit CD, 17,90 Euro). Popovic wählt hier eine offene Form, wie man sie etwa von Sherwood Andersons „Winesburg, Ohio“, Robert Altmans Carver-Adaption „Short Cuts“ und natürlich— der Titel spielt nicht umsonst darauf an – Hubert Selbys „Last Exit Brooklyn“ kennt. Auch „Ausfahrt Zagreb-Süd“ geht in die Breite, führt ein paar Lebensläufe parallel nebeneinander her, die sich kreuzen und lose verknüpfen. Aber während Selby durch diese episodische Struktur vor allem ein urbanes Panorama skizzieren, also mehr Raum schaffen wollte für die spezifische Topografie, für Milieus und das soziale Miteinander, geht es Popovic vielmehr — auch wenn er seine Protagonisten allesamt in Utrine, einem tristen Zweckbau-Ghetto am Rande Zagrebs ansiedelt – um das Porträt einer Generation. Seiner eigenen. Er nimmt sich der Fortysomethings an, die den Bürgerkrieg und die Ära Tudjman mitgemacht haben, sich aber auch noch sehr gut an die Repressionen des Tito-Kommunismus erinnern können -und die sich im nun endlich demokratisch verfassten Kroatien auch nicht glücklich fühlen. „Man kann wirklich nicht sagen“, räumt Popovic ein, dass irgendeiner unter ihnen Jugoslawien eine Träne nachweint. Und ich tue es genauso wenig. Nur gab es in Jugoslawien durchaus mehr soziale Gerechtigkeit als heute in Kroatien. Wir haben heute ein paar Rechte mehr, freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit, aber dieses Paket enthält auch die Freiheit zu verhungern. Diejenigen, die am meisten profitierten, waren Kriminelle und die neue politische Elite. Die machen gerade richtig ein Fass auf.“ Seine Charaktere laborieren denn auch gar nicht so sehr am Zusammenbruch des Sozialismus und dem anschließenden Krieg, sondern am „verheerenden Wahnsinn der sagenhaften Globalisierung und den von ihr gesetzten Normen, die uns noch teuer zu stehen kommen“.

Da ist Baba, Popovics Alter Ego, der einst gefeierte Literat, der nicht mehr schreiben kann, sich als Zeitungsredakteur durchs Leben schlägt und seinen Frust wegsäuft. Seine langjährige

Freundin Vera, eine Anglistikdozentin ohne Aufstiegsmöglichkeiten, die ihre Unzufriedenheit in einem Mailwechsel mit ihrem Ex-Lover zu kompensieren versucht, erträgt dessen Lethargie irgendwann nicht länger und wirft ihn vor die Tür. Damit teilt er das Schicksal von Kancelli, Babas Saufkumpan, den Vorjahren schon Frau und Kind verlassen haben, eben wegen seiner Trinkerei, und der daraufhin seinen Job als Rechtsanwalt geschmissen hat, sich nun als Tagelöhner verdingt und in einer komplett leeren Wohnung haust.

Gelegentlich bekommt er Besuch von Babas literarischem Gegenspieler Robi, einem untalentierten Lyriker und Muttersöhnchen, und dem pensionierten, altersgeilen Seeman Stjepan. Dem machen mittlerweile kleine Potenzprobleme zu schaffen, deshalb muss er schnell reagieren, wenn er mal wieder einen hochbekommt, und Magda anrufen. Die ist ihm stets zu Diensten, genießt die Hemmungslosigkeit des Alten, fühlt sich aber gleichzeitig auch brüskiert und ausgenutzt von ihm.

Von Kapitel zu Kapitel wechselt Popovic den Protagonisten und folgt ihm eine Weile auf seinem tristen Weg durch die betongraue Vorstadt. Sein Stil ist durchaus wandlungsfähig: karg, schmucklos und grob zwar, aber auch von einer umgangssprachlichen Eloquenz, die sich der Wirklichkeit gewachsen zeigt. Und er hat ein Auge dafür, wie sich die Trostlosigkeit seines Personals in kleinen burlesken Szenen zuspitzen lässt, die diese existenzielle Monotonie mit ein wenig Komik mildern. „In diesem Moment kam Baba aus dem Schlafzimmer herausgetorkelt. Es war früher Nachmittag. Baba murmelte etwas im Vorbeigehen und ging auf die Toilette. Vera lief es kalt den Rücken herunter. Erst traf ein starker Urinstrahl die ruhige Wasseroberfläche in der Kloschüssel. Vera sprang zum Radio auf dem Fensterbrett und stellte es an, aber es war zu spät. Das erste Stück Scheiße klatschte schon in die Schüssel. Eine Welle des Angewidertseins erwischte Vera mit voller Kraft, und sie setzte sich zitternd auf einen Stuhl. Jesus, sie hielt sich mit ihren Händen den Bauch und versuchte den Ekel in den Griff zu kriegen.“ Popovic schreibt sich hier ein in die lange Tradition des „dirty realism“, den man immer noch gern in die „Subkultur-Abteilung auslagert und um den sich folglich vor allem die kleineren

Verlage kümmern. Er hat überhaupt nichts dagegen. „Ich finde nicht, dass Begriffe wie Underground und Subkultur anstößig sind oder dass sie etwas diffamieren. Im Gegenteil, sie haben tatsächlich gerade jetzt eine Bedeutung. In einer Zeit, in der die Verkaufszahl der Maßstab für Qualität ist, in der man in den Buchhandlungen nur schwer etwas anderes als Bücher von Coelho oder Dan Brown findet und diese ganze Hausfrauenliteratur, ist es absolut einleuchtend, dass ein Autor, der noch einen gewissen Anstand hat, zur Seite tritt und sagt: ,Nein danke, das ist nicht mein Spiel.’Vermutlich sehen die akademischen Kreise hier bei uns oder ein Teil der Autoren, die diese sehr verkopfte, tiefe und langweilige Prosa schreiben, auf das herab, was ich und ein paar vergleichbare Autoren machen. Aber wer gibt schon was darauf, was die meinen.“

„Ausfahrt Zagreb-Süd“ ist nicht zuletzt auch ein Trinkerroman. „Es ist ja sattsam bekannt, dass die Slawen viel trinken. Die Kroaten sind da keine Ausnahme. Aber sie trinken vermutlich auch nicht mehr als die Russen. Wir sagen zum Beispiel, jemand,säuft wie ein Russe‘, wenn er es übertreibt. In Russland sagt man ‚er säuft wie ein Finne‘. Keine Ahnung, was die Finnen darüber denken. Wie auch immer, Alkoholismus ist ein großes Problem in Kroatien – und das ist die harte Realität. Wir sprechen von 250 000 Alkoholikern. Wenn man bedenkt, dass darunter auch die Familienangehörigen leiden, kommt man auf etwa eine Million Menschen, die vom Alkohol betroffen sind, das ist nicht weniger als ein Viertel der Bevölkerung Kroatiens.“

Und entsprechend ernst verhandelt er das Thema. Er überhöht den Rausch einmal nicht als quasi-elysische Erfahrung, sondern führt vor allem vor, was er sozial anrichtet – und wie unzulänglich die staatlichen Institutionen bei der Suchtberatung und -bekämpfung letztlich funktionieren. Den Therapiemöglichkeiten in Kroatien traut man naturgemäß noch weniger als etwa in Deutschland – sehr zu Recht, wie man hier erfährt. Kancelli erlebt eine Art Horrortrip, als er sich freiwillig in eine Entzugsklinik begibt.

„Ist das hier die Aufnahme? Ja, sagte der Pfleger, ohne den Blick vom Formular zu erheben, aber in die Hölle.“.

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