Sympathy for the Devil – Marilyn Manson

Vorsicht! Klatsch hat manchmal ungeahnte Folgen. „Ein ganzes Jahr lang ging das Gerücht um, ich würde an Halloween Selbstmord begehen“, sagt Manson. Er sitzt in einem Whirlpool des Holyday Inn von Fort Lauderdale/Florida, seiner Heimatstadt. „Ich dachte schon: Vielleicht muß ich mich wirklich umbringen. Und dann gab es bei unserem Halloween-Auftritt eine Bombendrohung. Da wollte wohl jemand die Sache selbst in die Hand nehmen.“ Er hält inne, hebt seinen tätowierten Arm aus dem Wasser und starrt durch seine schwarze Sonnenbrille nervös auf die Eingangstür. Sie öffinet sich einen Spalt und schließt sich dann wieder. Niemand kommt herein. „Manchmal frage ich mich, ob ich mir meine Rolle selber schreibe, oder ob jemand anders es fiir mich tut“, fahrt Manson fort. „Das bringt einen ganz schön durcheinander.“

Unter all den heutigen Rockstars wider Willen ist Marilyn Manson, der Frontmann der gleichnamigen Band, die große Ausnahme: Er liebt die Show und lechzt nach Erfolg und Aufmerksamkeit. Und auch sein Lebensstil ist der eines echten Rockstars. Manson und seine Bandmitgliedei; die ähnlich schrille Pseudonyme tragen wie er – Twiggy Ramirez, Bass; Ginger Fish, Schlagzeug; Madonna Wayne Gacy, Keyboard und Zim Zum, Gitarre – haben schon in Evan Dandos Badewanne geschissen und gerade gestern Billy Corgan dazu gebracht, Sea Monkeys zu schnupfen. Manson ist jedoch ein begnadeter und redegewandter Musiker. Und er wird mißverstanden wie kaum einer sonst, denn er ist weder der Teufel in Person, noch der kostümierte Schock-Rocker im Stile von Kiss oder Alice Cooper, fiir den er oft gehalten wird.

Selbst die Leute, die mit Manson auf Tour gehen, kommen nicht recht an ihn heran. Sie müssen die Regeln befolgen – es darf nicht geraucht werden, das Thema Sport ist tabu, und die letzten drei Stunden vorm Auftritt darf niemand Manson stören – und nach seinen gelegentlichen Wutanfallen aufräumen, im Zuge derer bereits Künstlergarderoben zertrümmert und ein Drummer so schwer verletzt wurde, daß er ins Krankenhaus mußte.

„Ich habe mich seit jeher in einem Panzer verkrochen“, sagt Manson. „Und der ist nur deshalb so hart, weil das, was er schützt, so verletzlich ist“

„Das hier wird ein außerordentlich wichtiges Interview“, erklärt Mason am Anfang unserer zahlreichen Gespräche. „Ein Stück Geschichte, das die Leute sich anschauen sollen, wenn ich nicht mehr bin, und das ihnen vielleicht hilft, zu verstehen, was zu der Zeit, als ich diese Platte aufnahm, in meinem Kopf vorging.“

Doch das Interview wird, wie er meint, gewiß kein leichtes Unterfangen: „Mir tut jeder leid, der einen Tag mit mir verbringen muß.“

Manson verwendet verschiedene Metaphern für seine Person: Er ist eine Schlange, ein EngeL, ein Außerirdischer, der Kinderräuber aus „Tschitti Tschitti Bang Bang“ und eine Hydra, die neunköpfige Schlange aus der griechischen Mythologie. Die Hydra bildet das Herzstück von Antichrist Superstar“, dem neuen Album, in den JBülboard“ -Charts gleich auf Platz 3 eingestiegen, unter Celine Dion und Kenny G. Das Thema der Platte ist eine Metamorphose – von einem Wurm zu einem Engel und weiter zu einem Dämon, der die Welt zerstören will; von einem Jungen namens Brian Warner zu dem Rockstar Marilyn Manson und weiter zu Antichrist Superstar.

ANTICHRIST SUPERSTAR

EIN TRAUM: Vor ein paar Jahren fing ich an, Träume und Visionen vom Weltuntergang zu haben. Dabei war ich immer der einzige, der übrig blieb. Ein Traum spielte irgendwann in der Zukunft — vielleicht sogar in Fort Lauderdale. Die Unterhaltungsindustrie hatte einen Punkt erreicht, wo man nur um des Vergnügens willen Leute zu Zombies machte. Ich hatte so eine seltsame Vision von hirntoten Frauen, die in Käfigen tanzten. Ihre Kiefer waren verdrahtet, damit sie all den Typen, die um sie herum masturbierten, nicht die Schwänze abbeißen konnten. Total Sodom und Gomorrah. Und ich war irgendwie auch dabei, entweder führte ich durch die Veranstaltung, oder ich trat auf. Aus diesem Traum entstand dann Antichrist Superstar.

Noch vor einem Jahr hätte sich es niemand träumen lassen, daß Marilyn Manson einmal ein Thema für den ROLLING STONE sein würden. Als die Band auf Trent Reznors Label Nothing ihr erstes Album JPortrait Of An American Family“ veröffentlichte, war sie nur eine eher unbedeutende Industrial-Formation, über die der Nine-Inch-Nails-Boß in Florida gestolpert war. Nach ihrer zweiten LP, „Smells Like Children“, wurden Marilyn Manson dank ihrer dämonischen Version von „Sweet Dreams (Are Made Of This)“ zu einer populären Industrial-Band. Doch sie waren immer noch ein Witz, ein Horrorfilm, der den Kids gefiel, weil er ihren Eltern Angst machte. Mit Antichrist Superstar“ in achtmonatiger Arbeit mit Reznor in New Orleans entstanden – haben sie einen unglaublichen Sprung nach vorn gemacht. Die Platte ist technisch, musikalisch und textlich ausgefeilt und beweist in ihrer Komplexität und Schönheit, daß mit Marilyn Manson noch zu rechnen sein wird. Bei den Aufnahmen hätten sie sich allerdings beinahe übernommen durch die masochistische Experimentiererei mit Schlafentzug, Drogen und, wie Manson glaubt, prophetischen Träumen.

Der Traum, den Manson oben beschreibt, wurde dann auch zu einem Schlüsselsong auf „Antichrist Superstar“: „Little Horn“. Über Death-Metal-Riffs brüllt Manson: „Someone better get the dog to kick/Jaws wired shut to save the dick/Out of the bottomless pit comes the Little Horn/Little Hörn is born… Everyone will suffer now.“ Little Horn, erläutert Manson, ist der Antichrist.

„Wenn man lange genug darüber nachdenkt“, sagt er, „stellt sich die Frage: Hat Antichrist Superstar Marilyn Manson erschaffen, um durch mich an die Macht zu kommen? Im Moment kommt es mir wirklich so vor, als gäbe es keine Grenze zwischen der Platte und der Realität. Beides geht Hand in Hand miteinander, und das eine schöpft seine Kraft aus dem anderen. Auf dem Album geht es darum, daß wir die größte Rockband der Welt sind, und genau so wird es kommen.“

Gleich nachdem er diese Prophezeiung ausgesprochen hat, passiert etwas außerordentlich Bizarres. Erst tritt ein korpulenter Schwuler mittleren Alters an unseren Tisch – wir sitzen mittlerweile in einem mexikanischen Restaurant -, und sagt: „Entschuldigung, ich möchte nicht beim Essen stören, aber ich habe gerade im Flugzeug einen Artikel im ,Details‘ über Sie gelesen. Könnte ich ein Autogramm kriegen?“ Als nächstes kommt ein etwa elfjähriger Junge. Wortlos schiebt er Manson eine Serviette und einen Stift unter die Nase und grinst dabei schuldbewußt. Dann setzt sich eine etwa 21jährige Studentin neben Manson und säuselt ihm etwas ins Ohr. Auch sie begnügt sich mit einem Autogramm. Als sie dann weg ist, schlendert ein stämmiger Mann mit einem Pferdeschwanz zu uns herüber. „Entschuldigt die Störung“, sagt er in gebrochenem Englisch. „Ich komme aus Peru. Deine Platte gefallt mir. Ich spiele auch in einer Band. Vielleicht kommst du ja mal nach Peru, und wir spielen zusammen. Kann ich bitte deine Telefonnummer haben?“

Und schließlich unterrichtet unsere Kellnerin Manson davon, daß der Geschäftsführer uns einen Nachtisch spendiert. Und so wird Marilyn Manson vor meinen Augen zu Antichrist Superstar: Seine Musik erreicht unglaublich viele unterschiedliche Menschen. Und er kriegt den Nachtisch umsonst. „Ich glaube, so viele Leute haben mich innerhalb von fünf Minuten noch nie erkannt“, räumt er verlegen ein.

Manson ist in vieler Hinsicht ein klassischer Paranoiker. „Ich habe so das Gefühl, daß ich die Hälfte meines zukünftigen Lebens bereits vorausgeträumt habe. Ich habe mehr Dejä-vus als normale Erlebnisse. Da weiß man oft nicht mehr, was real ist und was nicht Dieses irreale Element macht heute 90 Prozent meines Lebens aus, so daß nur noch zehn Prozent Normalität übrigbleiben.“

BRIAN WARNER

EIN TRAUM: Ich war mit ein paar Leuten auf einer Farm. Mein Vater kam mit einem seltsamen Werkzeug hinzu: halb Messer mit gezackter Klinge und halb Zange. Er gab es mir und sagte: „Versteck das.“ Ich tat es in einen Eimer voll Eis, und Sekunden später tauchten ganz viele Polizisten auf, die danach suchten. Da ich noch ein Teenager war, steckten sie mich insjugendgefangnis. Sie fotografierten mich, hängten das Bild an so einen seltsamen Schlüsselring und befestigten ihn an meinem Zeh. Dann steckten sie mir ein Metallrohr in den Arsch und klebten zwei kleine Elektroden an meinen Kopf, und ich mußte stundenlang auf einem dieser kalten, stählernen Untersuchungstische liegen.

Wie nennen die Eltern von Marilyn Manson ihren Sohn? Brian, wie sie ihn bei seiner Geburt getauft haben? Oder akzeptieren sie, daß er sich für jemand anderen hält, und nennen ihn bei dem Namen, den er sich selbst aus dem einer toten Hollywood-Legende und dem eines Bandenchefs im Gefängnis gebastelt hat?

Seine Mutter nennt ihn Brian. Sein Vater, ein Möbelverkäufer, der öfters seine Konzerte besucht, nennt ihn Manson.

Brian Warner ist keineswegs so aufgewachsen, wie man es ja von einem Antichristen erwarten könnte: Seine Eltern sind nicht geschieden, und sie haben ihn auch nie mißhandelt. „Ich durfte immer alles tun, was ich wollte“, erzählt Manson. „Sie sind sogar mit mir zu meinem ersten Kiss-Konzert gegangen.“

Brian verbrachte den Großteil seiner Kindheit in Canton, Ohio. Als er 18 war, zog er mit seiner Familie nach Fort Lauderdale. Seine Mutter war Krankenschwester, sein Vater ein Vietnamveteran, der 1969, vor Brians Geburt, Agent Orange vetsprüht hatte. Aus diesem Grund, erzählt Manson, ließ die Regierung ihn und seinen Vater regelmäßig medizinisch und psychologisch untersuchen.

„Mein Vater war sehr jähzornig, und er war nie zu Haus“, erinnert sich Manson. „Daher wurde ich zu einem Muttersöhnchen. Doch als Kind habe ich meine Mutter regelrecht mißhandelt. Ich wünschte, ich könnte heute die Zeit zurückdrehen und das alles wiedergutmachen. Ich war damals wirklich gemein zu meiner Mutter, sie hatte mich überhaupt nicht im Griff.“

Einer der wohl gruseligsten Songs auf „Antichrist Superstar“ ist „Kinderfeld“. Es geht darin um einen alten Mann namens Jack, der mit einer Modelleisenbahn spielt. Jack war der Name von Mansons Großvater, der laut Manson zu onanieren pflegte, während er mit der Eisenbahn spielte. Das Bild hat ihn sein ganzes Leben lang verfolgt. „Zu der Zeit, als ich heimlich meinem Großvater zusah, begann ich sehr lebhaft zu träumen“, erählt er. „Ich fotografierte nackte Frauen und schnitt dann ihre Geschlechtsorgane heraus. Ich hatte ganz brutale Träume, in denen ich das gleiche mit richtigen Menschen anstellte. Das hat mir furchtbare Angst gemacht.“

Seither ist es vorbei mit dem friedlichen Schlaf. Seine Mutter hat ihm erzählt, als er acht oder neun war, sei jemand ins Haus eingebrochen und habe versucht, ihn mit einem Kissen zu ersticken. Manson erinnert sich zwar nicht daran, doch seitdem kann er nicht mehr ohne einen laufenden Fernseher einschlafen.

MANSON: „Einmal habe ich eine Kaffeedose gefunden, um die herum Unmengen von Fliegen schwirrten. Ich hab sie geöffnet, und drinnen war ein toter Fötus. Meine Eltern haben behauptet, es sei bloß rohes Fleisch.“

Vielleicht erklärt das all die Erwähnungen von abgetriebenen Föten auf Antichrist Superstar“.

„Abtreibung hat mich schon immer fasziniert. Vielleicht seit der Geschichte mit der Kaffeedose.

Aber ich habe so etwas tatsächlich schon mal mit einem Mädchen durchgemacht. Das war wirklich übel, denn sie war schon im vierten Monat Ich hab das bisher noch niemandem erzählt“

Deine Freunde wissen nichts davon?

„Nein.“

Auch deine Eltern nicht?

„Nein.“

Jetzt wissen sie s.

„Das macht nichts. Schließlich hab ich nicht gesagt, wann das war.“

Doch trotz alledem wäre aus Brian Warner sicher nie Marilyn Manson geworden, hätten ihn seine Eltern nicht 1974 auf eine christliche Privatschule geschickt hätten. Dort lernte er, das System zu überlisten und zu manipulieren.

„Es gab dort Kurse, in denen einem gesagt wurde, welche Musik man nicht hören sollte“, erzählt er.“Da spielten sie Heavy-Metal-Stücke rückwärts. Es wurden Bilder von den Bands gezeigt, und ich dachte dabei nur: ,Das gefällt mir. Das ist genau, was ich will'“ „Fortan fing ich an, im Plattenladen beispielsweise eine W.A.S.P.-Scheibe für sieben Dollar zu kaufen und sie fiir 20 Dollar an jemanden zu verscherbeln, dem seine Eltern nicht erlaubten, in Plattenläden zu gehen. Später klaute ich ihm die Platte und behielt sie. Damals war mir das nicht klar, aber die Basis für alles, was ich tue, ist der Versuch, Leuten beizubringen, nicht so blöd zu sein.“ Schon mit 13 nahm Manson Kassetten für seine Freunde auf und verkaufte sie später in der Schule. Es waren seltsame Beschimpfungen darauf enthalten, Telefonstreiche und Songs über Sex-Phantasien, Masturbation und Furzen. Außerdem startete er ein Cartoon- und Witzmagazin nach dem Vorbild von „Mad“. „Ich habe immer versucht, die Leute mit den unterschiedlichsten Sachen zu unterhalten“, sagt Manson. „Und gleichzeitig habe ich es, glaube ich, unbewußt oder nicht, darauf angelegt, von der Schule zu fliegen, die ich so sehr haßte.“

„Ich hatte auch einmal eine frauenfeindliche Phase“, sagt er urplötzlich, als wir mit dem Auto durch Fort Lauderdale fahren. „Als ich – wieder auf meiner Public School – kurz vor dem Schulabschluß stand, versuchte ich, mich mit einem der beliebtesten Mädchen der Schule zu verabreden, gerade weil ich der Unbeliebteste war. Schließlich habe ich sie dazu gekriegt, mit mir auszugehen, und als es so weit war, wußte ich nicht was ich tun sollte. Ich hab es nicht mal gewagt, sie zu küssen, weil ich Angst hatte, etwas falsch zu machen. Ichnahm sie mit zu mir nach Hause. Meine Eltern waren nicht da. Und da riß sich dieses so unverdorbene Mädchen, das alle mochten, die Kleider vom Leib und wollte bloß ficken. Am nächsten Tag hat sie mich keines Wortes mehr gewürdigt. Das war so ähnlich wie der Moment, als ich meinen Großvater masturbieren sah: Da wurde die Vorstellung, die ich von etwas gehabt hatte, zerstört.“

MARILYN MANSON

EIN TRAUM: Ich träume immer wieder, daß ich ein Mädchen aus lauter Prothesen zusammenbaue, und mir mit Hilfe meiner eigenen Haare und Zähne, die ich aus meiner Kindheit aufgehoben habe, in einer Art Ritual eine Gefährtin erschaffe.

Dieser Traum schlug sich in dem Song „Tourniquet“ nieder: „She’s made of hair and bone and little teeth and things I cannot speak.“ In vielerlei Hinsicht ist Manson tatsächlich der Dr. Frankenstein aus „Tourniquet“. Er hat sich ein Publikum erschaffen, über das er die Kontrolle verloren hat. Bei dem Auftritt in Fort Lauderdale reißen die Zuschauer die gesamte erste Sitzreihe des Sunrise Theater heraus und jagen Twiggy auch noch einen Teil der Bestuhlung mit den Nägeln voran in den Arm. Ein Muskelprotz vor der Bühne versucht die ganze Zeit, Manson zu einer Schlägerei zu provozieren. Bei einem anderen Konzert warf jemand einen Skorpion auf die Bühne. Skorpione gehören zu den wenigen Dingen, vor denen Manson sich furchtet Noch unangenehmer ist jedoch die starke Polizeipräsenz beim Konzert Die Bullen haben eine Tür verriegelt und filmen die gesamte Show in der Hoffnung, genügend Entblößungen und Obszönitäten auf Video zu bannen, um eine Festnahme rechtfertigen zu können. Das wäre nicht die erste: Bei seinem letzten Auftritt in St Petersburg, Florida, wurde Manson verhaftet, weil er auf der Bühne die Hose herunterließ. Bevor die Polizisten ihn ins Gefängnis warfen, verarschten sie ihn noch: Er solle seinen Lippenring rausnehmen, denn man würde ihn bestimmt zusammenschlagen und den Ring dabei mit Gewalt herausreißen.

„Als Marilyn bei einem Konzert auf der Bühne den Schwanz eines Typen in den Mund nahm, haben die Bullen auch ein Riesentheater gemacht“, erzählt Twiggy – rasierte Augenbrauen, blaugestreifte Lider und violett geschminkte Lippen nach der Show. „Aber wir haben uns schon viel härtere Sachen erlaubt. Einmal habe ich meinen elfjährigen Bruder total nackt auf die Bühne gestellt. Das war fast schon Kinderpornographie.“

Twiggys Kindheit ist nicht ganz so normal verlaufen wie Mansons: Er behauptet, sein Vater sei nach einem Autounfall verrückt geworden und verschwunden, als sein Sohn sechs war; seine Mutter habe als Go-Go-Tänzerin bei der 70er-Jahre-Rockband Mountain gearbeitet, und seine Tante sei Groupie gewesen und habe etwas mit dem einen oder anderen Bee Gee gehabt. Twiggy und Manson lernten sich in einem Einkaufszentrum in Florida kennen, machten Telefonstreiche und hörten gemeinsam Mötley Crüe, Twisted Sister und Dr. Hook. Zu diesem Zeitpunkt hatte Manson bereits eine Band mit dem Namen Marilyn Manson and the Spooky Kids gegründet „Kaum daß ich ihn kennengelernt hatte, wußte ich schon, daß wir zusammenarbeiten würden 14 , erzählt Twiggy. „Als die Band so langsam in Fort Lauderdale und Umgebung bekannt wurde, war mir klar, daß ich entweder einsteigen oder sie zerstören mußte.“

Nur wenige Menschen auf der Welt stehen sich so nah wie Twiggy und Manson. „Twiggy ist der einzige Mensch, zu dem ich eine echte Beziehung habe“, sagt Manson, obwohl er die letzten fünfjahre eine Freundin hatte. „Ich habe mich in meinen Beziehungen immer übergangen und ausgehungert gefühlt. Und gerade jetzt wäre es schwer für mich, mich wieder mit jemandem wirklich anzufreunden, der nicht auch schon vor Tausenden von brüllenden Menschen auf der Bühne gestanden, drei Tage nur die Drogen eingeworfen hat oder auf dem Rücken schlafen mußte, weil er sich mit Glassplittern die Brust blutig geschnitten hatte.“ Ein Roadie unterbricht uns mit der Nachricht draußen suche ein Teenager nach Manson. Er möchte ihm seine Beinprothese verehren. Manson besitzt bereits etwa 15 solcher Gliedmaßen, die er auf seine Tourneen mitnimmt Am nächsten Tag besuche ich Manson in seinem Hotelzimmer. Auf seinem Nachttisch liegen mehrere CDs von Monster Magnet, Radiohead und eine Goth-CD, auf die jemand eine Telefonnummer geschrieben hat. Es ist die Nummer von Billy Corgans Beeper. „Dumm für ihm“, sagt Manson. Jetzt kriegt er jede Menge Verarschungsanrufe.“

Ich spreche ihn auf die Gerüchte an, die im Internet über ihn kursieren: daß er sich die Rippen entfernt hat damit er sich selbst einen blasen kann, daß er längst an einer Überdosis gestorben sei. Nichts davon ist wahr. Aber das wußte ja eh jeder.

„Ich glaube, viele Leute verstehen einfach nicht, worum es bei Marilyn Manson geht.“

Und worum geht es mm wirklich?

„Zwei Dinge“, sagt er: „Die Band soll zu den Leuten sprechen, die sie verstehen, und denjenigen, die sie nicht verstehen, Angst machen. Ich sage unseren Fans: ‚Hört auf, euch darüber Sorgen zu machen, ob ihr die gegenwärtigen Vorstellungen davon erfüllt was schön und was politisch korrekt ist. Glaubt an euch selbst und haltet euch an das, was richtig ist Wenn ihr wie ich sein wollt, seid einfach ihr selbst.‘ Wie schon Nietzsche sagte: Man ist sein eigener Gott Deshalb erniedrige ich mich bei den Konzerten und fordere das Publikum auf, mich anzuspucken. Damit sage ich ihnen: Jhr seid nicht anders als ich.“ 4 „Hin und wieder aber stehe ich auf dem Balkon und überlege, ob ich runterspringen soll“, sagt er. „Dann denke ich: Brauche ich etwa diesen endgültigen Kick, weil ich schon so abgestumpft bin? Aber ich glaube, es gibt noch viel für mich zu tun. Ich habe so das Gefühl, daß ich noch mit vielen Dingen aufwarten werde, die niemand von mir erwartet Mal vom Weltuntergang abgesehen.‘

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