Talking Heads – „77“

Damals gab es ja diese Pullover, bevor sie Sweatshirts hießen, mit der Zahl 77 und oft irgendeiner amerikanischen Universität drauf. Als Kind hatte man den Unfug von C&A zu tragen, mit Cord-Overall und Safari-Hemden.

Dann war 1977 noch Schleyer, und jenes trostlose Bild mit der Zeitung vor der Wand hat sich eingebrannt. Und „Star Wars“ im Kino.Ein Katastrophenjahr.

Im Rückblick schwer zu glauben, dass „Saturday Night Fever“ und das Debüt der Talking Heads ins selbe Jahr fielen. Natürlich war das eine der Mainstream und das andere die Avantgarde. New York, Kunsthochschule, Klugscheißerei. Die Talking Heads sahen auch noch aus wie Außerirdische, abgesehen von Chris Frantz, der aber Schlagzeug spielte. In späteren Zeiten galten er und Tina Weymouth als die beste Rhythmussektion der (weißen) Popmusik – „später“ bedeutete keine sieben Jahre Abstand. Von Anfang an hatten sie diesen eckigen, spartanischen Groove, der ohne Percussion auskam. Die elektrische Gitarre hatte nur unterstützende Bedeutung. Jedenfalls klang sie nie wie eine elektrische Gitarre. David Byrnes dringliches, zunächst nur sachliches Deklamieren muss ein Schock gewesen sein. Zumal er soviel von Entscheiden erzählt, von Konfusion, von Freunden, von glücklichen Tagen und neuem Gefühl und der Liebe, die in die Stadt kommt.

So geht man ihm auf den Leim. Denn in Wahrheit ist es der Jargon der psychiatrischen Praxis, das Modesprech der gebildeten, urbanen Strände der 70er Jahre. In „No Compassion“ fährt der Sänger einem zum erstenmal über die Füße: „There’s nothing cool about having a problem/ Go talk to your analyst, isn’t that what he’s paid for?“ Er ist eher Randy Newman als Woody Allen, wenn Byrne am Ende rät: „Be a little more selfish/ It might do you some good.“ Auf der zweiten Seite, in „Don’t Worry About The Government“, beginnt der Sänger mit einer Betrachtung von Highway, Himmel und Gebäuden, er stellt sich vor, wie er in einem dieser Gebäude leben wird. Dann nimmt das Sinnieren eine komische Wende: „I see the states across the big nation/ I see the laws made in Washington D.C./ I think of the people that are working for me/ Some civil servants are just like my loved ones.“ Das war, nach Watergate, so ziemlich die letzte Einsicht, die 1977 populär gewesen wäre. Dies war ein noch größerer Skandal als der „Psycho Killer“, dessen Bett in Flammen steht und der stotternd ins Französische fällt.

Auf David Byrnes nicht nur physiognomische Ähnlichkeit mit Anthony Perkins ist immer wieder verwiesen worden. Es ist die stille, selbstgenügsame Schüchternehit, das banale Sich-selbst-Mut-zusprechen, das so unheimlich wirkt. Wenn er „Mummy, Daddy, come and look at me now/ I’m a big man in a great big town“ singt, „I feel so strong now ’cause you pulled me up“, dann denkt man an Drogen, Sekten und Selbstbehexung. Neun Jahre später zeigte David Byrne seine Ansichten des glücklichen Amerika in dem ebenso freundlichen wie bizarren Film „True Stories“. Es war vollbracht. „And that happy day came to me.“

Sire Records, 1977

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