TOP25

1

NICK CAVE & THE BAD SEEDS

„Push The Sky Away“

Was passiert, wenn jedes Lied geschrieben und jedes Thema ausgeschöpft ist, beweist dieses aus Bewusstseinsfetzen, musikalischen Fragmenten und frei fließenden Instrumenten (und, jawohl: Loops!) zusammengesetzte Meisterwerk des Minimalismus. Warren Ellis ist jetzt mit Gitarre und Violine der Einflüsterer und Zartheitsvirtuose. Und mit der Besetzung der Bad Seeds reduzierte Nick Cave auch die Songform, verzichtete oft auf Refrains und behielt die Narration – wenn auch in manchmal kryptischer Weise.

Umso schöner sind die latent wollüstig geraunten, weithin sinnfreien Balladen dieser Müßiggänger-Platte: Der Flaneur und Schwerenöter schaut den Meerjungfrauen zu und zieht seine erratischen Kreise, und es braucht keine Gewaltausbrüche mehr zum Beweis dafür, wie eng Schönheit und Schrecken beieinander liegen. Einst lehrte Nick Cave die Kunst des Liedschreibens – was damals wie ein köstlicher Witz wirkte, hat jetzt etwas Selbstverständliches. „The Boatman’s Call“, „No More Shall We Part“, „Abattoir Blues/The Lyre Of Orpheus“: Cave war ja schon ein Klassiker – aber man kann durchaus sagen, dass er mit Grinderman einige Jahre verschenkt hat. Der Wüterich und Schmerzensmann, der auch auf seinem vorletzten Album „Dig!!! Lazarus Dig!!!“ genüsslich mit dem Schrecken Schindluder trieb, ist zur Ruhe gekommen. Andererseits hat sein zweiter Roman, „Der Tod des Bunny Munro“, so viel grimmigen Humor und so derbe Zoten, dass man sich auch bei dem gealterten Schwerenöter auf manche Schweinerei vorbereiten muss.

Wobei Cave natürlich auch als Dirty Old Man durchaus die Contenance bewahren wird. Die Freuden von Spionage, Voyeurismus und flirrender Andeutung prägen „Push The Sky Away“ als Album, bei dem die erotischen Motive in schwebender musikalischer Atmosphäre präsentiert werden. Kein Gedanke an den schnaufenden und hektisch flüsternden Jarvis Cocker, der einst mit Pulp „I Spy“ und „Pencil Skirt“ gesungen hatte. Nick Cave sucht im Genfer Teilchenbeschleuniger den Gottesbeweis, physikalisch gesprochen: das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und es ist klar, dass er dafür keine Neutronen beobachtet: Cave zieht einfach den Himmelsvorhang beiseite. ARNE WILLANDER

2

PREFAB SPROUT

„Crimson/Red“

Er hat uns alle überrascht. Erst mit dem Gerücht eines neuen Albums, dann mit den ersten Spuren daraus im Internet, schließlich mit einem tatsächlich vollständigen Werk, einer Platte mit Titel und Cover und zwölf neuen -zumindest bislang unveröffentlichten – Songs. Paddy McAloon, der Kopf hinter Prefab Sprout, dieses erkrankte, zurückgezogene, schlohweiße Pop-Genie, hat mit „Crimson/Red“ ein wunderbares Comeback-Album veröffentlicht. Vier Songs haben das Zeug zu Klassikern und erinnern an die besten Tage dieser in den 80er-Jahren noch vollständigen Band. Und auch wenn die erstmals eingeführte Mundharmonika mitunter etwas aufdringlich klingt -kein Pop-Album hat 2013 mehr Freude bereitet. SZ

BESTER SONG: „The Best Jewel Thief In The World“

3

BILL CALLAHAN

„Dream River“

Seit Bill Callahan sich hinter seinem Pseudonym Smog hervorgewagt hat, ist er zum großen Erzähler geworden. Die schimmernde, ruhig fließende Narration „Dream River“ ist sein bisher wohl konzisestes und geschlossenstes Werk. Lakonisch berichtet er von seinen großen Lebensthemen: der Sehnsucht und dem Begehren, der Liebe und der Einsamkeit, der Heimat und dem Unterwegssein. Als feinsinniger Arrangeur und seelenvoller Sänger hat der einstige Lo-Fi-Schrat hier einen neuen Höhepunkt seiner Kunst erreicht. „I’ve got limitations/ Like Marvin Gay/Mortal joy is that way“ brummt Callahan an einer Stelle. Und, ja, „Dream River“ ist ein Soul-Album. Das beste des Jahres. MB

BESTER SONG: „Small Plane“

4

JULIA HOLTER

„Loud City Song“

Unter den vielen herausragenden Frauenstimmen 2013 war Julia Holters Stimme die klarste. Auf ihrem dritten Album riskiert die an der Schnittstelle zwischen analoger und digitaler Welt arbeitende Songwriterin den Schritt in Richtung konventioneller und manchmal sogar hitverdächtiger Popsongs. Und statt die Refrains elektronisch zu manipulieren, lässt sie auf „Loud City Song“ doch tatsächlich ein echtes Saxofon tröten. Sehnsuchtsvolle, gleichwohl erwachsene Musik, dem Laurel Canyon näher als dem Berliner Berghain. Auch wenn mein Lieblingsstück auf ihrem Album eine Coverversion ist: Julia Holter ist auf dem besten Weg, die Joni Mitchell des digitalen Zeitalters zu werden. SZ

BESTER SONG: „Hello Stranger“

5

JONATHAN WILSON

„Fanfare“

Der amerikanische Schrat restauriert auf seinem dritten Album Hippie-Folk und Psychedelia, als wäre 1969 nie vergangen. Jonathan Wilson betreibt ein Studio in Los Angeles und inspirierte schon Crosby, Stills & Nash und Jackson Browne, die ebenso an „Fanfare“ mitwirkten wie der britische Songschreiber Roy Harper, der nun allenthalben wiederentdeckt wird. In den ausufernden Liedern sind manchmal drei Songs versteckt, üppige Gitarrensoli, Bläser-und Streichersätze, Flöten und Orgeln schaffen entrückte Klangräume, wie man sie von Marcos Valle, Van Morrison und Devendra Banhart kennt. Jonathan Wilson ist der wichtigste Repräsentant des Neo-Hippietums. AW

BESTER SONG: „Cecil Taylor“

6

LLOYD COLE

„Standards“

Lloyd Cole hat schon recht, wenn er sich für unterschätzt hält – die wunderbar lakonischen Popsongs des Briten hätten natürlich mehr Beachtung verdient. „But, how am I going to get ahead/If I don’t bitch and fuss?“, fragt der notorische Grantler in „Kids Today“, doch seine Lieder strafen ihn mal wieder Lügen. Wer sich so an die Jugend erinnert, („Women’s Studies“), wer die Sehnsucht so besingen kann („Myrtle And Rose“) und die Angst vor der Einsamkeit („It’s Late“), der kann kein Zyniker sein (ein Misanthrop vielleicht schon). Für „Standards“ stand ihm zudem eine kongeniale Band (Matthew Sweet, Fred Maher) zur Seite, die Coles Kunstwerke souverän interpretierte. BF

BESTER SONG: „Myrtle And Rose“

7

KING KRULE

„Sex Feet Beneath The Moon“

19 Jahre jung, rothaarig, klug und selbstbewusst: King Krule ist Großbritanniens Newcomer des Jahres. Und der Gegenentwurf zu Jake Bugg: Wo sich Letzterer an traditionellen Formen abarbeitet, verarbeitet Archie Samuel Marshall aka King Krule die unterschiedlichsten Einflüsse von Billy Bragg bis Fela Kuti zu etwas sehr Eigenem und Neuem. Drum-Loops, eine knirschende E-Gitarre, seine grobe Stimme, die hingeworfenen, wütenden Lyrics, ein paar Bläser und Ausflüge in etwas, was man Jazz nennen könnte – das alles ist aufregend und verspricht einiges. Der Anzug, den King Krule im Video zu „Easy, Easy“ trägt mag ihm noch zu groß sein. Aber der Typ wächst. Ganz sicher. SZ

BESTER SONG: „Easy, Easy“

8

JAMES BLAKE

„Overgrown“

Wohin bewegt sich der schüchterne Meister der Leerstelle nach seinem allseits gefeierten 2011er-Elektro-Chanson-Debüt? Holt er aus zum großen Arrangement oder übersetzt er seine Kunst gar ins Analoge? Nichts von all dem, muss sich Blake gedacht haben, als er bereits mit der Single-Auskopplung „Retrograde“ auf eine Art Blue-Eyed-Gospel setzte. Mit ungewohnter Emotionalität schwelgt er durch tiefe synthetische Räume. Der Bass definiert die Grundstruktur einer gespenstischen Soulsuche im „digital life“. Blakes Stimme mäandert hinweg über Pausen und Klavierfiguren, Sphärensynthies und Rumpeleffekte. Seine beeindruckend neue Art des Songwritings wird souverän ausgebaut. RN

BESTER SONG: „Retrograde“

9

JAKE BUGG

„Shangri La“

Vor kaum mehr als einem Jahr schoss Jake Buggs Debüt auf Platz eins der UK-Charts. Seitdem tourte der gerade mal 19-jährige Brite rund um die Welt – und tauschte sein Kinderzimmer in einer Sozialsiedlung gegen ein Studio in Malibu, wo er mit Rick Rubin „Shangri La“ aufnahm. Es ist unfassbar, dass er bei all der Aufregung so großartige Songs schreiben konnte, die er jetzt noch inbrünstiger schmettert: Vom trotzigen „Me And You“ über das zärtliche „Kitchen Table“ bis zum treibenden „Storm Passes Away“ gelingt ihm im Spannungsfeld zwischen Folk, Rock und Pop einfach alles. Eine Sensation, nicht weniger. Und eine, mit der wir noch lange Freude haben werden. BF

BESTER SONG: „A Song About Love“

10

PAUL MCCARTNEY

„New“

Macca scheint seinen Spieltrieb wiederentdeckt zu haben, experimentiert mit Stilen und Formen wie einst auf „Revolver“ oder „Ram“. Für „New“ suchte er sich mit den Produzenten Giles Martin, Mark Ronson, Paul Epworth und Glyn Johns gleich vier Spielgefährten. Das Ergebnis klingt wie das Gegenstück zu seinem meisterlichen „Chaos And Creation In The Backyard“(2005). Damals hatte Radiohead-Produzent Nigel Godrich ihm ein kontemplatives Alterswerk abgerungen, nun feiert Macca die ewige Jugend. Improvisiert über Kinderreime und feiert die neue Liebe. Nur auf „Early Days“, einer berührenden Reminiszenz an seine Freundschaft zu John Lennon, hört man ihm sein Alter an. Fab! MB

BESTER SONG: „Alligator“

11

JOHN GRANT

„Pale Green Ghosts“

Für John Grant waren die Jahre zwischen seinem Solodebüt „Queen Of Denmark“ und „Pale Green Ghosts“ eine sehr harte Zeit. Er wurde von seinem Freund verlassen und gab öffentlich bekannt, HIV-positiv zu sein. Für die Aufnahmen für sein zweites Album zog Grant nach Reykjavik. Vielleicht konnte er nur hier den Raum finden, um das freiherzigste Album des Jahres zu schaffen. Dass nun häufig Synthesizer zu den ergreifenden Texten wummern und seltener die Folk-Gitarre, ist Birgir Thorarinsson von Gus Gus geschuldet. Der lockt Grant sogar für ein paar Songs auf die Tanzfläche, bevor dieser sich wieder in die düstere Ecke der Indie-Disco verzieht. Große, bewegende Platte. BA

BESTER SONG: „Black Belt“

12

VAMPIRE WEEKEND

„Modern Vampires Of The City“

Die Alles-mit-allem-Vermixer aus New York arbeiten weiter fleißig daran, die modernste Popband der Welt zu werden. Was natürlich eine Aufgabe für die Ewigkeit ist. So verschmelzen sie auf ihrem dritten Album weiterhin weiße und schwarze Traditionen, zitieren Buddy Holly und Westcoast-HipHop, vermengen R&B, Gospel und Vocal-Disco-Schnipsel, ohne sich jemals dafür verantworten zu müssen. Denn auf ihrer Kapertour durch die Musikgeschichte verzichten sie auf vordergründige Diebstähle. Stattdessen schnippen sie die Historie mit einer Lässigkeit an, die perfekt zu ihrem versnobten Image passt. Vampire Weekend lächeln nur, wenn sie aus ihrem Wissen klingendes Gold machen. RN

BESTER SONG: „Diane Young“

13

THE WAVE PICTURES

„City Forgiveness“

Wenn das einst in der Musikpresse so beliebte Wort „Indie-Rock“ überhaupt noch eine Bedeutung hat, dann wohl im Zusammenhang mit den Wave Pictures. Denn keine andere Band spielt so überzeugend unabhängig von Moden, Moneten und Merchandise und wird dafür so geliebt. Auf einer langen US-Tour entstanden die Ideen für das herrlich altmodische Doppelalbum „City Forgiveness“. Wave-Pictures-Sänger/Gitarrist/Songwriter/Genie Dave Tattersall verarbeitete seine Reisenotizen in kürzester Zeit zu 20 Songperlen. Als Texter war er nie origineller, an der Gitarre gibt er den Garrincha, transzendiert Afrobeat, Rock’n’Roll und Blues und spielt einem Knoten in die Gehörgänge, bis man schwindelig ist. MB

BESTER SONG: „Red Cloud Road (Part 2)“

14

ISRAEL NASH GRIPKA

„Israel Nash’s Rain Plans“

Auf zwei Alben hatte Israel Nash Gripka sehr guten Roots-Rock gespielt, doch erst jetzt explodierte seine Begeisterung für die naiven Weisen des jungen Neil Young und die Gitarren-Mäander von Crazy Horse, ergänzt um Pedal-Steel-Gitarre und akustische Klampfen: Noch selten hat man derart aufgetürmte Breitseiten und elegische Echos gehört wie in den wilden Songs von Gripka, die allenfalls mit My Morning Jacket vergleichbar sind. Zwar wohnt der Songschreiber heute in Texas, doch die Ursprünge seiner bukolischen Hippie-Kunst liegen in Kalifornien. Mythische Vögel und Frauen am Brunnen, Sonne und Wasser und ein Spieglein für die Schönheit der Natur: Gripka ist auf der Suche nach der Blauen Blume. AW

BESTER SONG: „Rain Planes“

15

KANYE WEST

„Yeezus“

Größenwahn hin, „Bigger Than Jesus“-Zitate her. Kanye West verbindet sein überkandideltes Showbiz-Gehabe weiterhin mit harter Arbeit an der Musik. Er bleibt der smarte Sound-Innovator, der mit massiven Drumsounds und variantenreichem Sampling neue Hörmuster kreiert. Er montiert Urschreie und Gary-Glitter-Beats zum Hip-Hop-Hammer „Black Skinhead“ oder treibt die politische Kampfnummer „New Slaves“ krachend in den Mainstream. Es spielt keine große Rolle, dass West für seine Songs eine ganze Armada an Gästen aufbietet. Niemand ragt hier heraus. Sie alle haben ihren Platz im Gesamtentwurf, in dem selbst Liebeslieder wie „Bound 2“ seltsame Qualitäten entwickeln. RN

BESTER SONG: „Black Skinhead“

16

LAURA MARLING

„Once I Was An Eagle“

Sie ist vermutlich die beste Songschreiberin Englands, doch ihre fabelhaften Fähigkeiten gelten zum dritten Album schon als selbstverständlich. Zwischen Joni Mitchell und Suzanne Vega, Tori Amos und Laura Nyro vermittelt Laura Marling auf diesem Album, das neben aller feenhaften Sensibilität auch mild experimentelle Momente hat. Die britische Folk-Tradition aber hatte selten eine Bewahrerin wie diese zugleich verhuschte und verbissene Musikerin, die nach einer Schönheit jenseits des Drei-Minuten-Formats sucht. „Once I Was An Eagle“ ist von einem stupenden Formenreichtum und dabei jederzeit stilsicher – Laura Marling, die Frühreife, beherrscht alle Register. AW

BESTER SONG: „Once“

17

SAVAGES

„Silence Yourself“

Vier Frauen in schwarzer Kluft verdichten das Postpunk-Erbe der Achtziger zu massiven Attacken. Die frühe Siouxsie Sioux, Joy Division und auch PJ Harvey stehen Pate, wenn die Londonerinnen losbrettern. Sängerin Jehnny Beth kämpft sich abgehetzt durch eine bizarre Welt voller Obsession und Gewalt. Ayse Hassans Bass ist tiefer gelegt und Gitarristin Gemma Thompson sägt kompromisslos durch Feedback und Echos. Brachial der Verzerrer-Effekt in der Single-Auskopplung „Husbands“, der nur einer ihrer impulsiven Ausbrüche ist. Ihre Soundtechnik will Emotionen, doch Pathos interessiert die Band nicht. The Savages entwerfen blitzende Gewitter, aus denen schroffe Songs entstehen. RN

BESTER SONG: „Husbands“

18

IRON &WINE

„Ghost On Ghost“

Leider hat dieses Album nicht ganz die Aufmerksamkeit bekommen, die es verdient. Vielleicht weil Samuel Beam diesmal alle Indie-Posen abgelenkt und der puren Schönheit den Vorrang gewährt hat. Manche bemäkelten die butterweiche Produktion, dabei sind es gerade die streichzarten Arrangements, die „Ghost On Ghost“ über dem Gros der zeitgenössischen Singer/Songwriter-Platten schweben lässt. Weil hier ein unverkrampfter Zugang gefunden wurde, um Jazz und Soul mit mal überschäumendem, mal traumversunkenem Folk-Pop zu kreuzen. Niemand tänzelte im Jahr 2013 so unverschämt leichtfüßig auf den Schlangenlinien, die zwischen den Polen happy/sad verlaufen. MG

BESTER SONG: „The Desert Babbler“

19

JUSTIN CURRIE

„Lower Reaches“

Justin Curries Defätismus ist legendär – er rechnet sich längst keine Weltkarriere mehr aus. Auch schön: So kann er sich einfach auf seine Musik konzentrieren. Mit Del Amitri war der Schotte kurzzeitig fast ein großer Popstar, jetzt ist er „nur noch“ ein großer Songwriter, dessen Werke chronisch unterschätzt werden. Kaum einer erzählt so herrlich hoffnungslos von verkorksten Beziehungen, sinnlosen Ambitionen und negativen Gefühlen. Sein drittes Soloalbum, „Lower Reaches“, hat er in Texas aufgenommen, weshalb der Folkpop jetzt manchmal tatsächlich mehr in Richtung Country schwankt, aber selbst die Pedal-Steel muss niederknien vor Curries melancholischem Gesang. BF

BESTER SONG: „Every Song’s The Same“

20

JOSEPHINE FOSTER

„I’m A Dreamer“

Auf dem kleinen Label Fire und am Ende des Jahres glückte der Songschreiberin dieses seltsame Kleinod: Zu Kneipen-Piano, Musette, Geige und Mundharmonika singt, ja gurgelt Josephine Foster mit schriller Mezzosopran-Stimme. Der beinahe an Yma Sumac erinnernde Vortrag wird durch die abgründige Bordell-Seligkeit der Songs aufgefangen; man denkt an Baudelaire, Absinth und Syphilis, den Ruch des Verbotenen. Der Gitarrist Victor Herero stand Josephine Foster auch bei früheren, kaum weniger radikalen Alben bei. Old Timey Music aus einer dämmerigen Zwischenzeit der schwarzen Romantik, nachempfunden mit dickblütiger Tinte und europäischem Walzertaumel. AW

BESTER SONG: „My Wandering Heart“

21

LINDA THOMPSON

„Won’t Be Long Now“

Linda Thompson hat eine von jenen raren Stimmen, die mit jedem Ton ins Mark treffen, weil in ihnen eine emotionale Ehrlichkeit wohnt, die es nur in der Folkmusik gibt – und selbst da nur sehr, sehr selten. Im Alter hat diese Stimme eine Brüchigkeit gewonnen, die den bitteren Stücken noch mehr Tiefe verleiht. Auf ihrem vierten Soloalbum findet die große britische Sängerin endlich ihr Gleichgewicht (wieder), kommt in „Love’s For Babies And Fools“ sogar den scharf sezierenden Songs ihres Ex-Gatten nahe, rührt in der mit Ron Sexsmith geschriebenen Wehe „If I Were A Bluebird“ zu Tränen und klingt im beschwingten „As Fast As My Feet“, das sie mit Sohn Teddy singt, beinahe glücklich. MG

BESTER SONG: „If I Were A Bluebird“

22

SEBADOH

„Defend Yourself“

14 Jahre hat es gedauert, bis Lou Barlow und Jason Loewenstein einen Nachfolger zu „The Sebadoh“ fertig hatten. Seltsamerweise klingt „Defend Yourself“ aber mehr nach den alten Lo-Fi-Heldentaten der Band als der ziemlich blank polierte Vorgänger von 1999. Thematisch haben die beiden Songwriter sich einander angenähert, singen vom ganz normalen Chaos der Liebe (darauf können sich ja die meisten Dichter einigen). Barlow tut das noch immer zu herzzerreißenden, elektrifizierten Folk-Melodien, Loewensteins Beiträge sind schwerer und härter, klingen wie Meditationen über die alte Zeile „Black magic melody to sink this poser’s soul“ aus dem Sebadoh-Klassiker „Gimme Indie Rock“. MB

BESTER SONG: „Let It Out“

23

MANIC STREET PREACHERS

„Rewind The Film“

Die Band, die nie aufgibt, hat noch einmal ein Großwerk vollbracht. Die Manics wagen den schönsten Kitsch mit seufzenden Streichern und betörenden Melodien, lassen aber immer genug Platz für ihre Wut – von der schwelgerischen Wucht von „Show Me The Wonder“ bis zur galligen Klassenkampfhymne „30 Year War“ entfalten sie auf ihrem elften Studioalbum all ihr Können. Und auch wenn von der „time to surrender“ die Rede ist: Mit den Walisern ist weiterhin zu rechnen, die haben noch viel Kraft übrig. James Dean Bradfield mag es anders sehen, aber die Gäste (Richard Hawley, Lucy Rose, Cate Le Bon), braucht es gar nicht – seine Stimme hätte das Album auch allein getragen. BF

BESTER SONG: „Anthem For A Lost Cause“

24

MATTHEW E. WHITE

„Big Inner“

Mancher Kritiker hatte das US-Album ja schon im Jahr zuvor auf der Liste. Hierzulande erschien Whites Wunderwerk aber erst Anfang 2013 und mauserte sich bald vom Geheimtipp zum Feuilleton-Liebling. „Big Inner“ ist eine schier undurchdringliche Stilmischung aus Seventies-Soul, Sunshine-Pop, Avant-Garde-Jazz und Prog-Anleihen. Allein das Eröffnungsstück „One Of These Days“, in dem sich Streicher, Bläser, Chöre ineinanderschieben, sich überlagern, wieder auslaufen, neu ansetzen, klingt, als hätten Beck, Justin Vernon und Josh Rouse diese Platte gemeinsam arrangiert. So gelingt White das Kunststück, seine Songs mit allerlei Zitaten zu verweben, ohne die Musik zu überfrachten. MG

BESTER SONG: „Big Love“

25

MOUNT KIMBIE

„Cold Spring Fault Less Youth“

Dominic Maker und Kai Campos kommen von der britischen Südküste, ihrer Musik scheint die Ruhe und Lässigkeit dieser relaxten Landschaft innezuwohnen. Man hat das Duo als Begründer des Post-Dubstep gefeiert, was sein mag, aber nicht erklärt, wie organisch auf ihrem zweiten Fast-Instrumental-Album analoge und digitale Beats, R&B-Schnipsel, ECM-Jazz-artige Schwebepassagen und Clubgewummer, präzises Musizieren und Knick-Knack-Laute ineinanderfließen, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. King Krule singt auf zwei Tracks, der Rest kommt ohne Stimme aus. Dekonstruierter Pop, wunderschön vertrackt neu zusammengesetzt, wie Dinge, die man am Strand findet. SZ

BESTER SONG: „Blood And Form“

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