Tram nach Trenchtown

Reggae in Deutschland, also doch. Der Traum von Germaica. Mehr als 10 Jahre lang sorgte lediglich eine überschaubare Zahl von Soundsystems dafür, dass Roots-Reggae und Dancehall auch hierzulande in den Clubs vertreten waren. Die meisten Hörer fühlten sich ohnehin mit Bob Marleys „Legend“-Sampler bestens bedient. Doch seit ein paar Jahren ist Bewegung in die heimische Szene gekommen. Künstler wie Gentleman oder Seeed sind nicht nur in kommerzieller Hinsicht sehr erfolgreich, sondern genießen bei immer mehr Reggae-Freunden hohes Ansehen. Die Puristen rümpfen indes verächtlich mit der Nase. Sie unterstellen fehlende Authentizität und verweisen gerne darauf, dass Deutschland eben nicht Jamaika sein kann.

Solche Vorwürfe bringen den Seeed-Schlagzeuger Sebastian „Based“ Krajewski nicht aus der Ruhe. Er räumt freimütig ein: „Wir haben Reggae natürlich nicht in diesem Sinne studiert. Aber zwei von uns haben afrikanische beziehungsweise jamaikanische Wurzeln und sind damit groß geworden. Die anderen haben in der recht umtriebigen Berliner Reggae-Szene über eine lange Zeit Erfahrung gesammelt und sind irgendwann mit dem Dancehall-Virus infiziert worden. Man muss einfach ein Gefühl für die Musik bekommen, und dazu braucht man nicht unbedingt auf Jamaika gewesen zu sein.“ Krajewski ist auch davon überzeugt, dass seine Band nicht einfach nur als müder Abklatsch von bereits etablierten ausländischen Gruppen gesehen wird. „Wir machen unsere ganz eigene Art von Reggae, zum Teil mit deutschen Texten, und nutzen dabei die verschiedensten Sound-Einflüsse. Wir haben drei Sänger, hörbare Großstadt-Einflüsse – so gewöhnlich ist diese Kombination nun wirklich nicht.“ Die Zukunft sieht der Musiker grundsätzlich positiv: „In jedem Fall wird Reggae immer ein festes Publikum haben.“

Auch der Reggae-Künstler Tillmann Otto alias Gentleman bewertet den momentanen Boom des Genres nicht nur als das Ergebnis eines Hypes. „Ich beobachte die Entwicklung jetzt schon seit einem Jahrzehnt. Die Reggae-Bewegung ist zwar immer langsam, aber doch sehr kontinuierlich gewachsen. Das, was wir hier im Moment erleben, ist vor allem das Ergebnis einer jahrelangen Aufbauarbeit.“ Im Gegensatz zu Sebastian Krajewski hat Otto jedoch einen sehr ausgeprägten Jamaika-Bezug. Schon früh hörte der Kölner die Roots-Reggae-Platten seines Bruders, aber erst ein Besuch auf der Insel öffnete ihm endgültig die Augen.

„Ich war 17, naiv und wild auf Abenteuer und habe mich anfangs auch in gefährlichen Gegenden aufgehalten. Doch auch danach fuhr ich immer wieder nach Jamaika und bin fest davon überzeugt, dass ich ohne meine häufigen Besuche nicht da wäre, wo ich heute bin. Jeder, der Reggae liebt, sollte da mal hinfahren, um zu sehen, wie die Musik dort auch gelebt wird.“ Allerdings, so Otto, gibt es auch viele andere Wege in die Welt des Reggae. „Wenn jemand viele Singles aus Jamaika hört, kann er auch so an die Musik und den Spirit kommen.“ Die Begrifflichkeit „deutscher Reggae“ lässt Otto, der sein letztes Album fast ganz auf Jamaika eingespielt hat, sowieso nicht ohne Weiteres gelten. „Es gibt in Deutschland natürlich eine Reggae-Kultur. Wir haben Aufnahmestudios, Soundsystems und Reggae-Bands. Aber ich würde dies trotzdem nicht als typisch deutsch bezeichnen. Ich lebe zwar in Deutschland, aber die Musik, die ich mache, ist doch international und universell.“

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