Transatlantik-Folk: Anna Ternheim im Portrait. Neue Live-Session: „Little Lies“

Anna Ternheim wollte eigentlich nur Gitarrenstunden bei Matt Sweeney nehmen – und landete in Nashville. Das erfuhr Christoph Dorner im Gespräch mit der Schwedin. Dazu gibt's den letzten Song aus unserer Session - das Fleetwood Mac-Cover "Little Lies".

Es sollte ein Gitarren-Album werden, sagt Anna Ternheim. Auf „Leaving On Mayday“ aus dem Jahr 2009 hatte sie ihr souveränes Songwriter-Ich von großflächigen Pop-Arrangements ummanteln lassen, gleichzeitig hatte sie nach ihrem Umzug nach New York Lieder von Frank Sinatra interpretiert. Für ihr viertes Album schwebte der jungen Schwedin mit der alten Seele und den schwarzen Folk-Songs ein Neustart an der Gitarre vor. Bei einem Trödler in Brooklyn fand Ternheim auf Hinweis eines Freundes die Gitarre, die zu einem der guten Geister für „The Night Visitor“ werden sollte: Eine walnussbraune, schrumpelige Gibson aus den 1930er Jahren mit abgegriffenem Korpus, aber ganz eigener Klangfarbe.

Der Andere: Matt Sweeney, seit zwei Jahrzehnten als versierter Gitarrist ein stiller Multiplikator für so manches Album aus der Herzkammer des American Underground. Er hatte schon auf „Leaving On Mayday“ mitgewerkelt. Ternheim: „Ich rief ihn an und sagte: ‚Hey, ich brauche Gitarrenstunden!’“. Zum ersten gemeinsamen Fingerpicking brachte auch Sweeney eine besondere Gitarre mit: Neil Diamond hatte sie ihm nach den Aufnahmen zu „Home Before Dark“ geschenkt. Zusammen arrangierte das Duo die Songs von „The Night Visitor“, was sich auf einen Song des irischen Folk-Sängers Luke Kelly bezieht. Sweeney hatte Ternheim das Stück vorgespielt.

„Ich hatte direkt ein gutes Bauchgefühl bei Matt. Nach drei Proben sagte er frei heraus zu mir: ‚Ich sollte dein Album produzieren. Wir sollten das in Nashville tun. Und wir sollten dort mit Dave Ferguson arbeiten’“. Ihre Begeisterung für Country hatte sich bis dato in Grenzen gehalten. Ternheim musste aber an den schwedischen Songwriter Nicolai Dunger denken, der für sein Album „Tranquil Isolation“ den Blues in Kentucky gefunden hatte. Zudem war die Aussicht, mit dem Johnny-Cash-Produzenten Ferguson und Sweeneys Kompagnon Will Oldham zu arbeiten, verlockend genug.

Also packte sie ihre Koffer und flog nach Tennessee. „‚Ferguson war unser Mann in Nashville. Er hat das legendäre Studio, The Butcher Shoppe, und musste nur ein paar Freunde anrufen, schon war ich von Nashville-Legenden umgeben: Kenny Malone, Ronnie McCoury, Tim O’Brien.“ Der 80-jährige Jack Clement spielte die Resonatorgitarre. Sein „Gone Girl“, 1978 von Johnny Cash gesungen, inspirierte Ternheim zu „Walking Aimlessly“, einem leicht countryfizierten Folk-Stück, zu dem Will Oldham die Backing-Vocals beisteuerte. „Es ist eine Berufung, der diese Musiker nachgehen. Man merkt es daran, wie viel Spaß diese Menschen an der physischen Erfahrung des Musikmachens haben“, sagt Ternheim, die ihre Mitmusiker bei Grill-Abenden und Fingerpicking-Partys auch privat kennengelernt hatte.

„The Night Visitor“ ist kein klassisches Nashville-Album, schon eher transatlantische Folklore, bei der Ternheims skandinavische Melancholie sanft in die Weisheiten des Country eingebettet ist. „Anfangs habe ich mich im Studio wie das kleine Mädchen gefühlt, am Ende war ich ein willkommener Gast der Familie.“ Für Ferguson, der mit Ternheim das traditionelle Country-Duett „The Longer The Waiting“ singt, war die Schwedin einfach nur: ein „wundervoller Singvogel“. 

Sehen Sie hier den letzten Teil unserer ROLLING STONE-Session im Berliner „Salon – Zur Wilden Renate“:

Anna Ternheim Little Lies from Rolling Stone on Vimeo.

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