Tröstliche Lieder vom Untergang: der schwarze Humor des Mark Eitzel

Gott schützt die Fliegenden. Als ich am Münchner Flughafen auf Rollbändern zur U-Bahn-Station befördert werde, lädt eine Stimme aus der Lautsprecheranlage dazu ein, den Gottesdienst in der oberen Etage zu besuchen. Muß ich gleich Mark Eitzel erzählen. Der gibt heute in München Interviews, und nirgendwo wird mehr geflogen und mehr gebetet als in seinen Songs.

„Du kannst auf dem Flughafen beten? Eine äußerst nützliche Einrichtung“, meint Eitzel. „Ich habe übrigens schon wieder einen Song geschrieben, als ich gestern nach Paris geflogen bin.“ Er kramt sein Notizbuch heraus und singt ein paar Zeilen. „Flugzeuge sind für mich der Inbegriff des 20. Jahrhunderts – Maschinen, mit denen du die Schwerkraft besiegen kannst Aber dazu ist der Mensch nicht gemacht. Ich habe Flugangst. Deshalb betrinke ich mich immer und schreibe diese komischen Songs.“ Mark Eitzel sucht die Katastrophe, nur mit ihr fühlt er sich wohl. Das entspricht natürlich dem Klischee eines Songwriters. Eitzel weiß das, und deshalb lacht er sich meist selbst aus. Unvergessen all die lustigen Auftritte mit seiner Band American Music Club, wo er in Ansagen Auskunft über die aktuellen Schäden an Leib und Seele gibt. Herr, wir danken dir für unsere tägliche Katastrophe.

Auf Konzerten, im Interview – stets entschuldigt Eitzel für irgend etwas. Zum Beispiel für all meine Lieblingsplatten. Anfang der 90er Jahre brachte er als Gastsänger der Toiling Midgets das Album „Son“ heraus – Götterdämmerung in Moll. „Diese Band konnte nicht rocken. Gott, waren wir schlecht drauf.“ Nun ja, doch der Mitschnitt eines Solo-Auftritts 1991 in London, eine inbrünstige Präsentation früher Music Club-Songs, bringt mich jedes Mal zum Weinen. „Das ist eine schlechte Platte, wir haben Metal-Soli rausgeschnitten, die ich zwischendurch gespielt habe. Ich war ein bißchen überdreht“ Okay, okay. Letzter Versuch: „Mercury“, das 93er Album vom American Music Club, ist phänomenal, Eitzel Songs sind hier in einem wunderbaren Schwebezustand gehalten. Sehr filigran, sehr bombastisch. „Die Platte ist überproduziert. Ich wußte nicht, was ich wollte.“ Wußte er es für „60 Watt Silver Lining“, sein erstes reguläres Studio-Album, das er nach der Trennung vom Music Club aufgenommen hat? „Es sollte eigentlich eine Chet-Baker-Platte werden. Ich habe versagt.“ Mark Eitzel ist mal wieder sein schärfster Kritiker. Natürlich übertreibt er. Allerdings: Einige der Lieder schrammen doch gefährlich nah am Abgrund zum Kunsthandwerk, was dem Einfluß des Trompeters Mark Isham zuzuschreiben ist, der immer ein bißchen zu seicht bläst und auch als Filmkomponist arbeitet. Die Klangfarbe erinnert streckenweise an Martini-Spots.

Doch ein Werk von Mark Eitzel kann nicht wirklich schlecht sein, der schwarze Humor schlummert noch immer hinter der geputzten Fassade. Ein Song übers Fliegen gibt es auch: In „When My Plane Finally Goes Down“ malt sich Eitzel aus, wie es ist, mit der Maschine ins Meer zu stürzen, und kommentiert diese Idee ironisch, indem er dazu lustige Samples von einer Platte mit Kaminfeuer-Geräuschen abspielt Todesphantasie ja, aber gemütlich muß sie sein.

Und am Horizont schimmert ein Silberstreif auf 60 Watt.

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