Trostlos am Tresen

Nacht. Ein Hotelzimmer, irgendwo am Stadtrand. Ein Mann liegt auf dem Bett, starrt seit Stunden an die Decke, wo die Schatten diffuse Muster bilden. Es riecht nach Körper und alter Wäsche, aber der Mann nimmt den Muff nicht war. Er liegt nur da und starrt und denkt und denkt und starrt, ohne dass sich die beiden Vorgänge in seinem Kopf auch nur ein einziges Mal einander annähern. In seinen Gedanken gräbt der Mann nach den Resten eines Lebens, und sein Starren ist nichts anderes, als der verzweifelte Versuch den weich und welk gewordenen Körper zu verlassen.

Die Songs von Bohren & Der Club Of Gore erzählen viele solcher Geschichten — auch wenn keinerlei Gesang die Schönheit der Tristesse stört. Und immer herrscht Nacht in diesen uneitlen Liedern. Nicht die vielbesungenen Nächte, die glitzern und in denen das Glück umhergeht und die Menschen berührt. Eher die Sorte Nacht, in der sich aus schönen Lügen eine hässliche Wahrheit schält, wo Krankheit bewusst wird und der Tod fühlbar. Doom-Jazz könnte man diese Musik nennen oder Death-Ambient, aber wahrscheinlich würde man sich damit nur lächerlich machen. Denn eine Platte wie „Dolores“, das sechste Album von Bohren seit „Gore Motel“ von 1994, ist absolut einzigartig. Zeitlupenartig tropfen Klänge von Kontrabass, Fender-Rhodes, Orgel und Schlagzeug am Hörer vorbei, und nur in besonderen Momenten erhebt sich auch Christoph Clösers Saxofon majestätisch aus dem fauligen Staub. Nein, das ist keinjazz, auch wenn es manchmal so ähnlich klingt. „Wenn ein Stück,Still am Tresen‘ heißt, dann sibt das schon mal eine Richtung vor“, behauptet Clöser, ein ausgebildeter Musiker und Free-Jazzer, der La Monte Young schätzt, aber auch schon mal aus Geldmangel bei Karnevals-Veranstaltungen mitspielt. „Das Wort ,still‘ ist da wichtig, und ein Tresen ist auch keine Theke. Auf eine gewisse Art kann man sich unserer Musik schon annähern. Das ist eine real erlebbare, in jedermanns Leben mögliche Trostlosigkeit. Andere Stücke heißen ,Faul‘, oder ,Welk‘: Alles banale, bodenständige Sachen, aber wenn man drüber nachdenkt, offenbaren sie doch eine unangenehme Ebene.“ „Still am Tresen“ sollte ursprünglich auch der Titel des Albums sein. Doch der Kölner Multiinstrumentalist Clöser und seine aus Mühlheim stammenden Mitmusiker Morten Gass, Thorsten Benning und Robin Rodenberg haben sich für „Dolores“ entschieden, weil so nicht nur heißblütige Kellnerinnen in B-Movies heißen — im Lateinischen steht das Wort „dolor“ auch für Schmerz.

Bohren & Der Club Of Gore haben eine gewisse Affinität zu den drastischen Erlebniswelten des Extrem-Metal, was man beim Debüt und dem Nachfolger „Midnight Radio“ noch recht gut hört. Das 2000 erschienene Album „Surwet Mission“

„auf den ersten Blick eine Muschi-Platte“ (Clöser) — markiert eine Wende und trug der Band viele Vergleiche mit David Lynch und dessen Hauskomponisten Angelo Badalamenti ein. Doch trotz des Lobs und der gestiegenen Plattenverkäufe setzten Bohren ihren Weg in die Finsternis fort. Das Meisterwerk „Black Earth“ wurde von Mike Patton auf seinem Ipecac-Label auch in USA veröffentlicht; dasselbe ist mit „Dolores“ geplant. Die 2005 veröffentlichte „Geisterfaust“ ließ dagegen auch Fans etwas ratlos zurück, denn eine solche Feier des Verschwindens und der kontaminierten Stille findet man sonst tatsächlich eher bei Komponisten der Neuen Musik wie Morton Feldman. „Dolores“ ist wieder anders: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich noch mal trauriger und besser Saxofon spiele als bei,Still am Tresen 1 „, glaubt Clöser, ein großer, kahlköpfiger Mann, der das Interview allein bestreitet, weil seine Kollegen arbeiten müssen, „irgendwas mit Metall“. Die Eitelkeit des Muckers sucht man hier vergeblich: „Es wird nicht viele Leute geben, die bereit sind, zehn Jahre so reduziert Schlagzeug zu spielen, ohne sich zu beschweren oder einmal einen Break zu versuchen.“

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates