Twice in a lifetime

Er wäre gerne nach Detroit gefahren, allein um „diese neuen Autos aus China zu sehen“. Doch der Trip zur Auto-Messe in die heruntergewirtschaftete Motor City blieb Jerry Harrison ebenso verwehrt wie der avisierte Auftritt in der „Rock’n’Roll Of Fame“ in Cleveland, Ohio. Der Sponsor Panasonic sagte beide Präsentationen ab. So konnte Harrison die Surround-Neuauflage des Talking Heads-Gesamtwerks bisher nur und ausgerechnet dort präsentieren, wo für die Band anno 1975 alles anfing – und eine HiFidelity-Leistungsschau ähnlich surreal anmuten muß wie ein Gig der Ramones auf dem Wiener Opernball. „Sie schmissen eine Party im CBGB’s“, rekapituliert Harrison amüsiert.

„Die Panasonic-Leute hatten dieses Klischee im Kopf, wie funky und dirty sich der Laden anfühlen müsse. Und dann blieben alle brav auf ihren Stühlen sitzen.“ Dabei hatte David Byrne doch schon vor 20 Jahren dem Konzertpublikum zu bedenken gegeben: „If you dance, you might understand the words better.“ Wie auch immer, Harrison war zufrieden, denn „der Sound war toll und alle waren happy“. Dann ringt er sich trotz Erkältung ein kehliges Lachen ab: „Bis auf die, die mal aufs Klo mußten.“

Daß ausgerechnet der aus Milwaukee stammende Wahlkalifornier Harnson die Wiederaufführung dirigiert, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn der ehemalige Harvard-Student und -Dozent stieß ja erst im April 1976 als Letzter zu den Talking Heads, nachdem er eine Show des Trios in Boston begutachtet hatte. Andererseits war er schon seit dem Album „Speaking In Tongues“ 1983 allein für die technische Endabnahme im Mastering Studio verantwortlich und der Rest, der Band ziemlich froh darüber. „Vielleicht habe ich einfach mehr Geduld als die anderen“, vermutet er und verweist auf Vorgänge, die „ganz winzig“ anmuteten, aber „ganz viel Zeit“ beanspruchen. Zudem sei die Hinwendung zur Studio-Technologie für einen Keyboarder, der ohnehin ständig neues Equipment ausprobiere, „ein ganz natürlicher Schritt“.

So war auch die dann gemeinsam mit dem vertrauten Ton-Mixer E.T. Thorngren realisierte Neuauflage aller Talking Heads-Alben Harrisons Idee. Eigentlich waren nur „Remain In Light“ und „Speaking In Tongues“ für eine Bearbeitung vorgesehen, „aber es klang so großartig, daß ich noch mal mit Rhino sprach. Es war überwältigend, als ob eine Mauer durchstoßen wäre, und ich dachte: Wow, hier liegt ein Monat voller Freude vor dir!“

Das Ergebnis bekamen dann die Ex-Kollegen Chris Frantz und Tina Weymouth drüben in New York per Post. David Byrne schaute, auf Tour in San Francisco, immerhin persönlich zur Begutachtung in Harrisons Sausalito-Sound-Srudio vorbei. „Er fand das auch ziemlich aufregend“, erinnert sich der Hausherr, „und wir sprachen darüber, wie sich einige Songs verändert haben.“ Und die Soundkur ermöglicht auch einen veränderten Blick auf die Band selbst.

So schreibt Mary Gaitskill im Booklet zur neuen Auflage von „Rt‘??idhi In Light“, das vierte Album habe 1980 „die harte, clevere Form der alten Songs“ zum Bersten gebracht, und daraus sei etwas hervorgeströmt, „das schon immer da war“. Und in der Surround-Abmischung des Frühwerks nun auch Klang geworden ist.

„Ja, das stimmt“, nickt Harrison. „Wir waren alle schon immer von R6?B beeinflußt und liebten dieses Zeug. Aber die Leute konnten anfangs nicht verstehen, daß dies eine wichtige Wurzel unserer Musik war, ja, sie konnten praktisch gar keine Roots entdecken. Weil wir weder dem Blues noch dem frühen Rock folgten. Bis zum Cover von AI Greens ,Take Me To The River rätselten viele Leute nur: Wo kommt diese Musik eigentlich her? Erst als wir diese offensichtliche Assoziation schufen, wurde das deutlich.“

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