TWITTERN MIT DER BBC UND ROCKEN MIT DALTREY

Die Stadt gleicht in diesem Sommer einem Open-Air-Festival. Robert Rotifer bleibt (meist) zu Hause

Freunde des Klangs vom Wind verblasener Popmusik, die aber nicht gern campen gehen, waren in London diesen Sommer wieder einmal so richtig gut bedient. Und damit meine ich nicht das großzügige Angebot der BBC, den Daheimgebliebenen praktisch alles, was in Glastonbury von der Bühne ging, zum themenbezogenen Aggressionsabbau via Twitter preiszugeben, sondern eine Fülle an Festivals in der Stadt selbst. Menschen aus Hackney, die sich überall sonst vom Hipster-Bashing verfolgt fühlen, durften etwa beim Field Day im Victoria Park die Future Islands supercharismatisch, Fat White Family total authentisch, Neneh Cherry und die Pixies immer noch gut bzw. die Horrors am dünnsten von allen finden.

Letzteres Urteil konnten sie sich dann am selben Ort Mitte Juli bei „Lovebox“, diesmal im Vergleich mit MIA, Nas oder Crystal Fighters bestätigen und zwischendurch vielleicht noch mit den Eltern in den Hyde Park gehen, wo zur Eröffnung der „British Summertime“ Arcade Fire, Jake Bugg und schon wieder Future Islands spielten („Kannst du mir kurz den Normcore-Sweater halten? Ich geh mal nach vorn“). Abends darauf füllten dieselben Getränke-Buden das Sabbath- und Soundgarden-Publikum ab und karrten nach Konzertschluss gleich neue Fässer für die Anhängerschaft der Libertines heran, welche der eines England-Spiels geglichen und vergleichbare Duldsamkeit angesichts einer wackligen Performance bewiesen haben soll. Nur 24 Stunden später hatte die bunt tätowierte Super-Boygroup Mc-Busted mit ihrer portablen Parallelwelt fliegender DeLoreans schon wieder alles vergessen gemacht. „OMFG!“, wie auf dem Basstrommelfell zu lesen stand. Vielleicht hört man diesen Beschreibungen ja an, dass der Briefschreiber bei dieser mit viel Herz und musikalischer Vision kuratierten Konzertreihe selbst nicht vor Ort war, wiewohl er bei Redaktionsschluss noch erwägt, für Neil Young und Crazy Horse eine Ausnahme zu machen.

Immerhin hab ich es heuer über Vermittlung meines Freundes Andy, der bei Paul Weller Bass spielt, zu dessen Auftritt in einem Nadelbaum-Schaugarten nahe Bedgebury geschafft. Alles war sattgrün und sauber, mit Ausnahme des wüstenstaubigen Backstage-Bereichs. „Erkennst du, wer das ist?“, fragte Andy, als sich ein schwarzer Mercedes hinter der Bühne einparkte. „Sieht nach Roger Daltrey aus.“

„Wenn der mal nicht gekommen ist, um mit uns heute ‚I Can’t Explain‘, ‚Substitute‘ und ‚Changing Man‘ zu spielen.“ Sagte es, sprang vom Plastiksessel auf, ging dem unverkennbaren Mann im schwarzen Gilet und der lila randlosen Brille die Hand schütteln und verschwand mit ihm im nächsten Container. In diversen Gangarten vorgetäuschter Nonchalance mit Gitarre unterm Arm fanden sich dort auch die anderen Bandmitglieder, sowie ihr zwanglos barbrüstiger Chef ein, um mit dem altvorderen Meister dessen Gastprogramm zu üben. Ganz offensichtlich war das für sie genauso aufregend wie nachher beim Konzert für den ergrauten Mod neben mir, der ein „Fucking hell!“ nach dem anderen ausstieß. Glatt besser als Twittern beim Fernsehen.

Unser Autor Robert Rotifer ist Musiker und Korrespondent in London. Nächsten Monat schreibt dann wieder David Fricke aus New York.

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