Unser Bio-Elend

Bioprodukte sind eines der letzten Refugien, in dem sich noch bis Oberkante Unterlippe mit Vorurteilen prassen lässt. Auf beiden Seiten: Bio-Esser sind entweder gutmenschelnde späte Muttis mit genug Geld in der Tasche, um drei Euro pro mickriger Babytomate zu zahlen, oder nervöse Teesocken mit Umweltkrankheitshypochondrie, die sicher sind, dass entweder das Handy oder die Pestizide an der Gurke ihnen den Garaus machen. Und Bio-Hasser sind ignorante, rotgesichtige Kreophagen, die Nachhaltigkeitspredigten ihrer Gegenspieler entweder genüsslich ironisieren und das Nicht-PC-Sein als state of the art propagieren oder sie gleich ungeduldig vom Tisch wischen, weil solche Gedanken doch nur beim Geldvermehren stören. Das macht die Sache enorm kompliziert und sorgt dafür, dass jede neue Meldung, die mit ökologischer Ernährung zu tun hat, immer sofort zwischen diesen beiden Seiten zerrieben werden kann. So wie diese: Den Biobauern schwimmen momentan angeblich die Felle davon (sinnbildlich gesprochen, in Wirklichkeit würden Biobauern ihre Felle bis zum letzten Haar verwerten). Denn die Flächen, die in Deutschland von Biobauern bewirtschaftet werden, werden seit 2011 stetig kleiner, obwohl die Nachfrage nach Bioprodukten steigt. Biobauern, die oft aus der herkömmlichen Landwirtschaft kommen und seltener als gutmeinende Quereinsteiger zum giftfreien Ackerbau stießen, haben die Nase voll von den schlechten Erträgen, den -im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft – niedrigen Subventionen und der vielen Handarbeit.

Der Grund hierfür sei die günstige Bio-Konkurrenz aus Osteuropa, sagen die einen, und dass die Supermarktketten, die Ware für ihre eigenen Bioproduktreihen einkaufen, keinesfalls auf die regionale Herkunft, sondern nur auf den Profit achteten. Die Regierung müsse also Quoten für ihre diversen Bio-Gütesiegel einführen und die Siegel selbst noch einmal überdenken -bekanntlich sind die Kriterien derart unterschiedlich, dass zum Beispiel bereits ein geringer prozentualer Anteil an „fair gehandeltem“ Produkt ausreicht, um einen „Fair Trade“-Auf kleber zu rechtfertigen.

Die anderen nehmen genau das als Grund dafür, am Konstrukt selbst zu zweifeln: Wenn die Gütesiegel ohnehin nicht verlässlich seien, wenn zudem tatsächlich ab und an auch Biobauern heimlich ihre Hühnchen quälten, dann könne man doch gleich das ganze Ökogefasel in die Gelbe Tonne treten, die ja nun zu allem Überfluss neuerdings auch noch einen zum Heulen schlechten Leumund hat. Schließlich gebe es, so geht die Argumentation weiter, dermaßen viele Baustellen, an denen man ansetzen müsse, um diesen verdammten ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, dem könne man nie ganz beikommen. Und solange niemand mit eindeutig generationsübergreifend manipuliertem Genom oder bösen Pestiziderkrankungen im Hospital liege, müsse man sich eh nicht sorgen.

Beim ökologischen Fußabdruck denke ich immer an Marilyn Monroes klitzekleine Dreiecke und Pfennigabsatzlöcher vor dem Chinese Theatre in Hollywood und daran, wie freundlich ignorant die Menschen damals mit ihrer Umwelt umgingen. Bei mir wirkt gegen diese Ignoranz ja am besten Hochkultur. Wenn ich höre, dass für Kopf kissen aus lebendigen Gänsehälsen schmerzhaft herausgezupfte Daunen verarbeitet werden, kann ich mein Haupt nicht mehr darauf betten, weil ich den großen Lyriker Heinz Erhardt rezitieren muss: „Ich schlaf nicht gern auf weichen Daunen/denn statt des Märchenwaldesraunen/ hör ich die geliebten kleinen/gerupften Gänschen bitter weinen./Sie kommen an mein Bett und stöhnen/und klappern frierend mit den Zähnen/und dieses Klappern klingt so schaurig/ wenn ich erwache, bin ich traurig.“

Gäbe es ähnlich beeindruckende Gedichte über jede der vielen Ökobaustellen, zum Thema Internetshopping, zum Müllvermeiden, zum Fleischkonsum -ich hätte einen ökologischen Fußabdruck von 35. Einen vernünftigen Reim auf ‚Sweatshop‘ suche ich zwar noch, auch das Dichten mit den Wörtern ‚Kerosin‘ und ‚Currywurst‘ fällt mir nicht leicht, aber hier ist schon einmal ein Zweizeiler, den ich mit „Trenne nie st/denn es tut ihm weh“ im Kopf erdachte: „Trenne stets den Dreck/denn es hat doch Zweck.“ Nicht ganz Erhardt, aber ein Anfang.

Unsere Autorin trinkt am liebsten Champagner von glücklich gestorbenen Champagnerschweinen. Im nächsten Monat schreibt wieder Uwe Kopf diese Kolumne.

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