Van Morrison – „Common One“

"Sie müssten gezwungen werden, mal ein Jahr lang keinen einzigen Ton zu veröffentlichen, dann hätte man endlich Zeit, die alten Platten zu hören", wünschte sich kürzlich ein ebenfalls im Musikjournalismus tätiger Freund ob der Veröffentlichungsflut, die jeden Tag neue Platten in seine dunkle Kellerkemenate schwemmt. Aus der Zeit fallen müsste man. In die Spalte zwischen den Momenten gleiten, wie Arno Strine in Nicholson Bakers "Die Fermate". Statt obsessiv Frauen zu entkleiden, wie Strine dies tut, könnte man Musik hören, während die übrige Welt angehalten ist. Erlösung deluxe.

Als „Common One“ 1980 erschien, oder sollte man lieber schreiben: auftauchte, war Van Morrison längst aus der Popwelt gefallen und hatte für viele seinen Zenit schon überschritten. Er hatte nach Lehr- und Wanderjahren mit seiner Kapelle Them 1968 mit „Astral Weeks“ die intensivste, ekstatischste Phänomenologie der Liebe (und somit auch des Schmerzes) vorgelegt, die sich vorstellen lässt, und damit künstlerisch alles erreicht.

Danach musste er zwangsläufig einen Schritt zurückgehen und Songs wie „Old Old Woodstock“ oder „Starting A New Life“ singen, das Landleben preisen und Alben wie „Hard Nose The Highway“ mit seinen fallenden Blättern und grünen Wiesen aufnehmen. Doch in Songs wie „Listen To The Lion“ oder „You Don’t Pull No Punches, But You Don’t Push The River“ schien auch in den 70ern die unheimliche sexuelle wie spirituelle Energie von „Astral Weeks“ ab und zu durch, bevor sich Morrison dann 1977 mit „A Period of Transistion“ erstmals im Muckertum verlor. „Into The Music“ von 1979 war dann wieder ein feines Album, doch niemand schien sich mehr wirklich für Morrison zu interessieren.

Dann also „Common One“, eine vollkommen entkörperlichte spirituelle Versenkung. Die Songs heißen „Haunts Of Ancient Peace“, „Satisfied“ oder „Spirit“. Selbst ein Stück wie „Wild Honey“ ist weniger Begehren als das begehrende Subjekt zurückgeworfen auf sich selbst. Morrison schien seinen inneren Frieden gefunden zu haben. Die beiden zentralen Stücke „Summertime In England“ und „When Heart Is Open“ sind mit einer Länge von jeweils über 15 Minuten weniger Popsongs als vielmehr Landschaften.

In „Summertime In England“ wird jeder Name ­ Wordsworth, Coleridge, T. S. Eliot, William Blake, James Joyce -, jeder (mythische) Ort ­ Avalon, Bristol, Kendal, the church of St. John – zum Repräsentanten ganzer Bedeutungskontinente. Wenn Morrison sich in Wiederholungen und Widersprüchen verliert, befinden wir uns längst jenseits von Langenscheidt. „It ain’t why/ It just is“. Und am Ende macht alles Sinn, wenn er flüstert: „And you listen to the silence/ Can you feel the silence?²

Ist die Impression „Summertime In England“ ein sonnendurchfluter Spätsommertag, so legt sich im erhabenen „When Heart Is Open“ die Dämmerung über das Land, es wird kühler und Van Morrison stapft im Mantel, mit dicken Stiefeln und Wanderstab über die Hügel und die nahegelegenen Wälder Südwestenglands. So zu sehen auf dem Plattencover. Der Tag legt sich zur Ruhe, da ist kein Begehren mehr, nur noch Kontemplation. Dieser wenig konkrete Sound ist Miles Davis ­ „In A Silent Way“. Morrison geht vollkommen in den ruhigen Bach der Musik ein, seine Stimme ist zurückgenommen nun ganz Instrument, „between the viaducts of your dreams“, wie er auf „Astral Weeks“ sang.

Dass Van Morrison kurz danach für einige Zeit Scientology verfällt, dass er niemals mehr ein Album mit einer solchen Strahlkraft aufnehmen wird und sich später völlig im Muckertum verliert, ist in diesen Momenten gleichgültig. Man sitzt da mit diesem entrückten Album. Aus der Zeit, ja aus der Existenz gefallen. Diese Musik mag nicht die Erlösung aus dem Leben sein, aber doch ein schöner Trost. „When there¹s no comin’/ And there’s no going“

Polydor, 1980

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