‚Verbrechen nach Ferdinand von Schirach‘: Emissär des Elends

Arne Willander über die Krimi-Reihe im ZDF

Josef Bierbichler trägt schwer an seinem Pilotenkoffer. Er spielt den Anwalt Friedrich Leonhardt, der es in Berlin mit merkwürdigen Fällen von Verbrechen zu tun hat: Man weiß manchmal nicht, wer der Täter ist, oder man weiß sofort, wer der Täter ist; man weiß nicht, ob es überhaupt ein Verbrechen ist; oder man weiß nicht, ob Täter und Verbrechen zusammengehören; manche Verbrechen werden bestraft, andere nicht.

In sechs 45-minütigen Filmen zeigt das ZDF „Verbrechen nach Ferdinand von Schirach“, das klingt wie ein Markenname, ein eigenes Genre. Was insofern stimmt, als der Anwalt Schirach in seinen Kurzgeschichten von verzwickten Angelegenheiten berichtet, bei denen Wahrheit und Schuld nicht auf der Hand liegen. Schirach besteht auf dem Unterschied von Recht und Gerechtigkeit, und er lässt seinen Stellvertreter Bierbichler schwerzüngig aus dem Off sagen, dass der Anwalt manchmal nicht wissen will, wie es gewesen ist. Oder ob er belogen wird. Mit dieser Relativität, mit seinen Zweifeln und Einschränkungen ist Ferdinand von Schirach nah bei den melancholischen Polizeifilmen von Jean-Pierre Melville: Wenn die Polizei den Kerl nicht kriegt, dann wird er vielleicht von seinesgleichen erledigt. Wenn die Justiz keine Handhabe mehr hat, dann ist Freiheit womöglich die härtere Strafe. Die Grenzen verwischen sich überall in diesem Zwielicht der menschlichen Leidenschaften. Und keiner ist unschuldig.

Schirach stellt also metaphysische Fragen, aber nicht innerhalb seiner Geschichten, die er mit schlichter, verbindlicher Kanzleiprosa erzählt. Vielen Kritikern fiel dazu Ernest Hemingway ein, weil dessen Stories so knapp und so rätselhaft sind – aber dessen Parabeln muss man interpretieren, weil sie nicht bloß für sich stehen, während man Schirachs Fälle auch lesen kann, weil sie spannend sind und bizarr und von der Wirklichkeit künden. Niemand wird „Großer doppelherziger Strom“ spannned finden.

Aber „Fähner“ ist spannend: Ein pensionierter Arzt hat seine Frau zermetzelt und ruft bei der Polizei an. „Ich hab Ingrid kleingemacht.“ Im Buch wird dann von seinem langen Martyrium berichtet, man versteht den Mann. In Hannu Salonens Film ist schon die Tötung überdeutlich, man sieht noch die Blutlache, in der Edgar Selge steht. Man sieht dann, in Rückblenden, die junge Ingrid Fähner, man sieht Sex am Strand, Aggressionsschübe, Eifersucht, Beleidigungen, Kontrolle, Schläge. Regisseur Salonen bemüht dafür Verfärbungen, eingefrorene Einstellungen, Zooms, Wiederholungen, die Isolation von Details – und so verfährt auch Jobst Christian Oetzmann bei „Tanatas Teeschale“, dem zweiten Film der Reihe. Auch hier ist die Kamera stets in Bewegung, wird der realistische Blick gebrochen, sieht man immer wieder die Stadt von oben und in den Fernsehturm in der Ferne, kreiselt der Baseballschläger, der zum schrecklichen Mordinstrument wurde, werden Inserts eingefügt und Signale gesetzt; dazu gibt es ordentlich hektische Musik und Ton-Effekte.

Es ist die Technik amerikanischer Kriminalserien wie „CSI“ auf einem Sendeplatz, an dem sonst betulich Inspektor Barnaby ermittelt oder sich die Skandinavier in Grüngrau zergrübeln. „Verbrechen nach Ferdinand von Schirach“, produziert von Oliver Berben, hat leider nicht den Rhythmus und den Tonfall von „Verbrechen“ von Ferdinand von Schirach. Aber am Ende, in „Summertime“ und „Notwehr“, spürt man doch die Schwere und Mühe, wenn Josef Bierbichler mit seinem schwarzen Mantel, dem Hut und den klobigen Schuhen über die Flure geht, einen Irrtum bemerkt und einen namenlosen Killer zum Bahnhof fährt, weil der einen Rechtsbeistand nachweisen konnte. Er ist ein Emissär des Elends mehr als ein Advocatus diaboli, aus seiner großzügigen, aufgeräumten Kanzlei geht er in die Straßen von Berlin, müde, vierschrötig, vorsichtig, wissend um die Vergeblichkeit. Einmal wirft er ein Hemd, das ihm gerade geschenkt wurde, in einen Mülleimer am Potsdamer Platz.

Das ist vielleicht die traurigste Szene in diesen sechs kurzen Filmen über das Töten.   

Die weiteren Filme sind in Doppelfolgen am 14. und 21. April um 22 Uhr zu sehen.

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