Verfluchte Leidenschaft

Plattensammler leben oft in ihrer eigenen Welt – und wenn die mit dem Planeten der restlichen Menschheit zusammenkracht, gibt es Fragen: Was passiert mit übervollen CD-Regalen? Darf man wichtige Alben bei Ebay verhökern? Und wie lebt man mit der materiellen Last der Tonträger? Eine Reportage über Nostalgiker, Systematiker und das Leiden am Musikspaß.

Die Plastikhülle trägt eine dünne Schicht Staub, das Cover wirkt matt und ungepflegt. Dieses Album war mal begehrt, jetzt provoziert es nur noch ein Niesen. Es ist das Debüt der Band Marcy Playground aus dem Jahr 1997, inklusive der Hit-Single „Sex And Candy“, wie ein verblichener Sticker verrät. Kurz blitzt der Frühling 1997 auf: Zwischenprüfung an der Uni, viel Liebe und Stress mit der Freundin, Ostern im Schnee, das Video von „Sex And Candy“ auf VIVA Zwei, damals noch neu und aufregend.

Vielleicht mal wieder Marcy Playground hören? Die ganze Platte? Beim Öffnen der Hülle fallen gleich die kleinen Plastikdinger heraus, die die CD in der Box fixieren sollen, sodass dann auch das Scheibchen selbst auf den Boden fällt und auf dem Parkett festzukleben scheint. An dieser Stelle endet das Vorhaben. „Sex And Candy“ wird via iTunes heruntergeladen, das Video auf YouTube geschaut, die anderen Songs bekommen keine Chance mehr, die CD segelt samt Hülle in einen Karton mit anderen Platten, die allesamt dieses Wohnzimmer nicht mehr sehen werden. Stattdessen beginnt die trübe Karriere allen Trödels: kurzes Asyl im Keller oder auf dem Dachboden, dann verscherbelt oder zerschreddert.

Und das Urteil steht fest: Es lohnt sich nicht, nur für das kurze Aufblitzen des Frühlings 1997 ein Produkt im Wohnzimmer aufzubewahren, das staubig, ungepflegt und kaputt ist sowie – wenn es in Massen auftritt – verteufelt viel wiegt und Platz wegnimmt. Und weil immer mehr Menschen so denken, trennen sie sich von ihren physischen Plattensammlungen – vor allem, wenn diese hauptsächlich aus CDs bestehen.

Damit fällt eine Menge Müll an: In den Neunzigern, der Hochzeit der CD, gingen weltweit pro Jahr rund vier Milliarden Stück über die Ladentische. Immerhin, die Scheiben sind prima recycelbar. Jeder Werkstoffhof freut sich über die Abgabe von CDs, denn der Kunststoff Polycarbonat ist in der Medizintechnik sowie Automobil- und Computerindustrie sehr gefragt. Seit 2006 findet man Müllbehälter für alte CDs auch immer häufiger im öffentlichen Raum. Darin landen Gratis-Beigaben und Werbe-CDs, alte Rohlinge mit noch nie angeschauten Fotos, aber auch gekaufte Singles und Alben.

Anders bei Gero Langisch, 35 Jahre, aus Berlin. Der hatte eines Tages die Lust auf seine CDs komplett verloren und vollzog den drastischen Schritt: Ausverkauf! Heute sagt er, ein bisschen fühle sich das an, als habe er damals seine Seele verkauft. Er lacht, weil das so pathetisch klingt. Aber die gedankenverlorene Pause danach zeigt: Da ist was dran.

Bis vor zwei Jahren besaß der ehemalige Label-Inhaber, der heute Zeitungen in Sachen Online-Marketing berät, rund 10.000 CDs. Die meisten hatte er sich in den Neunzigern angeschafft, für einige Zehntausend Euro. „Ich habe früher die CD sehr intensiv genutzt, auch über die Musik hinaus“, sagt er. „Ich habe in den Booklets die Dankeslisten studiert und mir manche Platte durch die vielen Durchläufe schöngehört, damit ich vor mir selber die Investition der 30 Mark rechtfertigen konnte.“ Die Wohnungen, die er in dieser Zeit hatte, wurden von CD-Regalen geprägt. Sie waren für ihn das, was die Vitrinen mit Pokalen für den FC Bayern sind: „Ich wollte schon zeigen, was ich habe. Was ich höre. Was ich bin.“

Als Gero Langisch ein Junge war, hieß sein Land noch DDR, und die Popmusik, die er kannte, war brav und gleichgeschaltet. Mit zwölf kaufte er sich im Ungarn-Urlaub ein Ärzte-T-Shirt, „Die beste Band der Welt“, und er bezweifelte das nie. Dann entdeckte er Punkrock und Hardcore. Über Umwege kam er an Mixtapes aus dem Wes-ten, 90 Minuten Musik, zwei Songs pro Gruppe: Agnostic Front, Jingo De Lunch, Slime – jeder Name eine neue Welt.

„Die Tapes waren meine Bibeln“, sagt er. Als dann die Wende kam und er eigenes Geld verdiente, begann er damit, diese Welten näher auszuleuchten. Er kaufte und kaufte. Investierte jede Mark in Tonträger.

Auf den Blick zurück folgt Wehmut. „Meine Sammlung repräsentierte mein Leben, machte mich stolz, beglückte mein Herz.“ Er spricht in der Vergangenheitsform, denn das ist nun vorbei. Nicht nur, dass Langisch die Musik heute nicht mehr so wichtig ist und er Geld und Zeit in andere Dinge investiert: Bei einem Umzug im Jahr 2007 wurde dem Berliner zum ersten Mal bewusst, dass ihn seine Platten störten. „Die Schlepperei ist ein einmaliges Ärgernis, das ist vertretbar. Als nerviger empfand ich, dass die CDs in ihrer Masse unweigerlich sofort das neue Wohnzimmer dominierten. Und zwar auf unverhältnismäßige Weise, denn erstens hatten die Platten ihren Nutzwert verloren und zweitens taugten sie schon länger nicht mehr dazu, mit ihnen anzugeben.“

Früher ging das noch. Doch die Welt der Statussymbole hat sich verändert. Cool und clever ist heute, was klein ist – den Wandel bekommen auch Autofahrer zu spüren, die jahrelang um ihre Premiumwagen beneidet wurden und nun Spott ernten, wenn sie mit einem BMW auf Parkplatzsuche sind. Zudem findet die Distinktion heute in sozialen Netzwerken statt: auf Facebook posten, welche tolle Sängerin man entdeckt hat. Aus dem Club twittern, wie geil die Band des Abends ist. Auf last.fm eine Streber-Playlist zusammenstellen.

Gero Langisch gab seiner Plattensammlung damals noch ein paar Monate. Dann entschied er, dass das Festhalten an den meisten seiner Tonträger nur noch albern sei, und handelte: 2009 verkaufte er den Großteil seiner CDs. Das Vinyl behielt er, dazu ein paar ausgesuchte CDs, die ihm besonders am Herzen liegen. „Das war keine leichtfertige Entscheidung“, sagt er. „Aber komischerweise betrachtete ich die Musik, die ich sonst mit so viel Emotion verbinde, in diesem Augenblick sehr rational. Ich dachte an die neue Wohnung und fragte mich: Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Ein Bekannter stellte Hunderte Platten auf die üblichen Verkaufsplattformen, den Rest vertickte Langisch beim Ankaufdienst Momox.de. „Da gibt es zwar nicht viel, aber die Leute holen die Dinger sogar ab.“ Praktisch – und Hauptsache weg!

Was erst noch schwerfiel, entwickelte die Dynamik eines Gero-Langisch-Schlussverkaufs. 2,50 Euro gab es durchschnittlich für eine CD; Alben, die um die 6 Euro einbrachten, waren die absoluten Schätzchen der Sammlung. Ein dramatischer Werteverfall im Vergleich zum Einkaufspreis, doch der Verkäufer war zunächst einmal erleichtert: Die CDs waren weg. Aufatmen! Und zunächst kein schlechtes Gefühl. Die Musik lag ja digitalisiert vor.

Dass er dennoch mehr verkauft hatte als nur die Tonträger an sich, merkte Langisch erst später. „Zunächst ärgerte ich mich über ein paar CDs, die ich besser behalten hätte sollen, weil es sie im Netz nicht gibt.“ Zum Beispiel Fischmob-EPs oder die CDs vom Hardcore-Label Revelation Records. Mit der Zeit kam dann die Gewissheit, dass durch den Verkauf der CD-Sammlung seine Vergangenheit verblasste wie ein Foto, das in der Sonne liegt. „Ich habe mir die Chance auf Nostalgie geraubt“, sagt er. Die Chance, noch einmal wie früher an sogenannten Themenwochenenden die Britpop-Platten der Jahre 1995 bis 1999 durchzuhören – und zwar wirklich durchzuhören, ohne Skips und doppelten Boden.

„Musik, die ich auf der Festplatte habe oder über das Netz höre, konsumiere ich anders. Ich habe weniger Geduld, muss mir nichts mehr schönhören, gebe Durchschnitt keine Chance und bin eher immer auf der Suche nach etwas Neuem, als in Ruhe bewährte Musik zu hören.“ Mittlerweile bekennt er sich zu einer leisen Trauer über den Verkauf der Tonträger: „Da ist nicht nur mehr Platz im Wohnzimmer, da ist auch eine Lücke. Und die wird bleiben.“

Gäbe es ein Online-Forum für Lücken-Büßer wie Gero Langisch, die Beteiligung wäre rege. Leute, die ihre ganze Sammlung verkaufen, findet man heute in allen Ländern, in denen der Tonträger als identitätsstiftendes Produkt in der Krise steckt. Auch in den USA, wo Steve Gritzan aus New Jersey seit 17 Jahren mit Platten handelt. Die Spezialität seines Ladens Iris Records ist der Ankauf ganzer Sammlungen, Vinyl und CD. Mindestens einmal pro Woche kommt jemand in seinen Laden, um Tabula rasa zu machen. Auch auf Plattenbörsen in Europa kauft Gritzan regelmäßig Bestände auf, und alle Verkäufer verhalten sich ähnlich: „Zunächst sind sie cool. Reden davon, wie vernünftig es ist, sich von den Platten zu trennen, vor allem von den CDs.“ Die Stimmung kippt meistens, wenn Gritzan, der vorher als Broker an der Wall Street gearbeitet hat, ihnen einen Preis für die Sammlung nennt. „Ich ziehe keinen über den Tisch, aber es ist, wie es ist: CDs sind die beschissenste Investition aller Zeiten.“

Was er auch daran merkt: „Früher kamen regelmäßig die Jungs von den Street-Gangs in meinen Laden, um gestohlene CDs zu verticken. Seit zwei Jahren kommt keiner mehr. Die Jungs von der Straße haben längst begriffen, dass die Dinger nichts mehr wert sind.“

Dem Sammler, der sich trennt, fällt diese Erkenntnis ungleich schwerer. Wenn Steve Gritzan verkündet, dass CDs, die einmal zwölf Dollar gekostet haben, nun nur noch einen einzigen einbringen, reicht die Reaktion von Ärger über Enttäuschung bis hin zu echter Depression. „Heute hatte ich einen Kunden hier, der mir eine CD-Sammlung brachte, die – Pardon – echter Müll war. Zerkratztes Zeug von Bands, die im Leben keine Sau mehr interessieren werden. Mein Angebot war dementsprechend, und es war für ihn ein Schlag in die Magengrube: Seine Sammlung, die ihm hoch und heilig war und ihn sein bisheriges Leben lang begleitet hatte, soll für andere wertlos sein?“

Er hat die CDs trotzdem verkauft. Aus Trotz die Platten wieder mitzunehmen, ist nur selten eine Option, denn hinter der Entscheidung, die Platten loszuwerden, stecken zumeist zwingende Gründe. Steve Grit-zan, der viel und gern über die psychologischen Aspekte des Plattenkaufens nachdenkt, führt eine kleine Statistik über die Verkaufsmotive, die er in den 17 Jahren aufgeschnappt hat. Auf Platz eins: akute Platzprobleme – und zwar vor allem dann, wenn jahrelange Single-Männer schließlich doch eine Frau gefunden haben und nun mit ihr zusammenziehen. Rang zwei: die totale Abkehr von der Musik zugunsten von neuen Hobbys, der Familie oder anderen Sammelleidenschaften. Rang drei – und hier spricht er, gerade 50 geworden, plötzlich leiser: der Tod. „Die Rock-Generation kommt jetzt in das Alter, in dem Sterbefälle normal werden.“ Und Tausende Tonträger zu erben – egal, ob gut erhaltenes Vinyl oder zerkratzte CDs -, das ist für viele Leute nun einmal eher Last als Freude.

Zum Beispiel für Nancy Reagan. Als Ronalds First Lady 1981 ins Weiße Haus einzog, fand sie im dritten Stock Regale mit mehreren Hundert amerikanischen Rock-, Pop- und Jazz-LPs. Wo es eine Bibliothek gibt, sollte es auch eine Diskothek geben, hatten die Bosse diverser Plattenfirmen Anfang der Siebziger entschieden und dem damaligen Präsidenten Nixon eine große, aber fade Sammlung amerikanischer Alben geschenkt. 1979 wurde die Sammlung dann von geschmackvollen Beratern des Präsidenten Carter qualitativ aufgewertet: Bowie, Captain Beefheart, Randy Newman, Sex Pistols, Ramones – alles da. Von den Reagans aber nicht geschätzt. Das Paar ließ die Platten in den Keller packen. Treibende Kraft hinter der Maßnahme soll Nancy gewesen sein, die Vinyl-beladene Regale im Zentrum der Macht für kindische Platzverschwendung hielt.

Wie tolerant war dagegen Sheila Peel! Die Frau des mittlerweile verstorbenen weltberühmten DJs John ließ zwar nicht begeistert, aber zumindest klaglos zu, dass ihr Mann jede erdenkliche Ecke auf seinem Anwesen in Suffolk mit Schallplatten, Tapes und CDs vollstopfte. Ein Gast des Hauses bezeugte, selbst im Badezimmer habe er wacklige Fliesen und Nischen entdeckt, hinter denen John Peel Tonträger verstaut habe. Auf Nachfrage habe der DJ verwundert mitgeteilt, dass ihm Wegschmeißen oder Verkaufen überhaupt noch nie in den Sinn gekommen sei. Schließlich sei dies alles seine Musik. Und zwischen Tonträger und Lied zu trennen, das sei seine Sache nicht.

Ähnlich denkt auch Johannes Schrievers, Kulturmanager und Hochschuldozent aus Bochum. Er besitzt genau 20.747 LPs, CDs und Musik-DVDs, dokumentiert in einer genau geführten Excel-Liste, die über jeden Zweifel erhaben ist. „Ich bin ein Systematiker“, sagt er. Will heißen: Wenn er sammelt, vergisst er nicht die Ratio. Einerseits. Andererseits sitzt er derzeit in einem in seinen Augen eigentlich „untragbaren Chaos“: Die zwei Räume im obersten Stock seines Elternhauses dienen nicht nur als Büro, sondern auch als Refugium des Sammlers mit seinen knapp 21.000 Tonträgern. Erst zwei Mal hat seine Frau diese Räume überhaupt betreten. Die Wohnung der beiden ist ein paar Kilometer entfernt, und die, nun ja, Sammlung seiner Frau befindet sich dort: 20 CDs. Dafür braucht man keine Liste. „Sie ist Diplom-Ökonomin, sie kann sehr gut loslassen“, sagt Schrievers.

Andere Sammler würden vielleicht über die mickrigen Bestände seiner Frau herziehen. Johannes Schrievers nicht, denn loslassen – das kann er einfach gar nicht. Er sei ja schon froh, dass er die Sache mit dem Ranschaffen mittlerweile einigermaßen im Griff hat. „Ich kaufe heute gemäßigter als früher. Ich leide nicht mehr so sehr, wenn etwas, das ich unbedingt haben möchte, nicht sofort da ist.“

Wobei, was am Tag des Gesprächs passierte, war schon höchst ärgerlich: Da hatte der Paketbote das neue, nur direkt über die Bandhomepage bestellbare neue Album von Mr. Mister dabei, klingelte aus unerfindlichen Gründen aber nicht und warf die Abholkarte in den Briefkasten. Eine Platte, die also eigentlich heute den Weg in seine Excel-Tabelle finden sollte, lagert noch irgendwo bei der Post. „Dann halt morgen“, lacht der rationale Schrievers. Man nimmt ihm diese Lockerheit nicht ganz ab, denn der emotionale Sammler gleichen Namens leidet sehr unter der Pflichtvergessenheit des Paketboten.

„Der Begriff Leid ist tatsächlich nicht zu hoch gegriffen“, gesteht er. Er hat sich – Systematiker eben – im Vorfeld des Termins Gedanken gemacht, auf wie vielen Ebenen seine Leidenschaft tatsächliches Leid hervorruft. Drei hat er definiert: Da ist zunächst einmal der Drang nach Vollständigkeit. Genesis, Magnum oder Styx hat Schrievers komplett – unter rein qualitativen Gesichtspunkten ganz sicher keine Notwendigkeit. Es kam schon vor, dass er nach einer Bandauflösung aufatmete: endlich keine neuen Alben mehr. Doch dann kommen die Soloprojekte, Nachfolgebands und Raritätensammlungen, und es geht oft wieder von vorn los. Der zweite Leidfaktor: der Hang des Sammlers zur Perfektion. Alle LPs sind eingetütet, die CDs samt Hülle, so gut es geht kratzerlos. Die Schadensprävention kostet Mühe und Zeit, Schrievers nimmt sie auf sich.

Die Nummer drei: Ein neues Medium schafft den Durchbruch. Der Wechsel von LP auf CD war für alle Sammler hart, die der Compact Disc auf rationaler Ebene Vorteile zusprachen. Welche Alben auf CD nachkaufen, welche nicht? Eine quälende Frage, die bis heute mit jeder CD-Deluxe-Edition quälender wird. Als Anfang des 21. Jahrhunderts die DVD auf den Markt kam und die VHS-Videos verdrängte, verweigerte sich Schrievers zunächst – knickte 2004 aber doch ein und sammelt seitdem auch Musik-DVDs.

„Es ist schon eine Form von Sucht“, sagt er und zollt Gero Langisch Respekt, der losgelassen hat, mit einer Art kaltem Entzug. Auch Johannes Schrievers hat das Szenario schon einmal durchgespielt: Wie wäre es, die Sammlung zu verkaufen? Er könnte die Musik behalten, als Dateien auf einer Festplatte, und das Material loswerden, das sein Refugium mittlerweile so sehr beansprucht, dass er gezielt die Mitte der zwei Räume belas-ten muss, um die Statik seines Elternhauses zu schonen. Doch das wird – bei allem Leid – nicht passieren. Um das zu erklären, zeigt er auf die Platten, die sich in bunten Farben aneinandereihen und übereinanderstapeln. Er riecht die unterschiedlichen Gerüche alten Vinyls, aufwendiger Digi-Packs oder Special-Editions aus Metall. Dann sagt er: „Ich kann durch diese Räume gehen wie durch die Flure einer Uni-Bibliothek – nur, dass ich nicht am Wissen der Welt entlangschlendere, sondern an einem Querschnitt meines Lebens.“

Dann geht Johannes Schrievers los. Er fängt hinten an, beim Komplettwerk von Neil Young, den er erst recht spät schätzen lernte, der Liebe wegen. Denn wenn eine Frau, die man mag, „Tonight’s The Night“ liebt: Wie soll man da widerstehen? Er bleibt bei Wang Chung stehen, die er in den Achtzigern in seinem Bochumer Plattenladen des Vertrauens hörte: von vielen als One-Hit-Wonder abgestempelt aber doch so viel mehr. Er dringt zu Phil Collins vor, zur „Face Value“-LP, in der für ihn mehr Erinnerungen stecken als in jedem Fotoalbum, und er stoppt bei George Benson und dessen wenig erbaulicher „20/20“-LP, der allerersten Platte, die Johannes Schrievers in seiner noch jungfräulichen Datenbank erfasste. 1986 war das, auf einem Atari-Computer.

So viele Platten. So viele Blitzlichter. Gestern bei Ebay geschaut: Das Debüt von Marcy Playground gibt es dort für lächerlich wenig Geld. Noch mal kaufen? Eine verlustfreie Kopie der im Karton entsorgten CD? Wäre doch schön, noch mal den Frühling von 1997 im Haus zu haben.

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