Viele Rollen als öffentliche Frau: Neneh Cherry ist mit ihrem neuen Album „Man“ bei sich selbst angekommen

Eine Karriere in Bildern: Da ist vor zehn Jahren diese Frau, die schwanger durch ihr zweites Video tanzt. Da ist dieses grelle, orangefarbene Stretchkleid, das bei ihrem ersten internationalen Promo-Termin keine Fragen zuläßt. 1988 erscheint Neneh Cherrys erstes Album. Es heißt „Ran Like Sushi“. Da ist dieser blau glänzende Mund, er haucht „I Got You Under My Skin“ und füllt den ganzen Fernseher. Ein paar Jahre später tollen zwei Kinder durch ein Haus in Schweden. Die Mama stapft in Sneakers durch den Garten, zupft Karotten, pflückt den Salat. Und beantwortet alle Fragen.

1992 erscheint das zweite Album, „Homebrew“. 1993 zieht sie nach New York, 1994 mietet sie ein Haus in Spanien, 1995 spendiert sie Youssou N’Dour mit „Seven Seconds“ einen Hit, 1996 bringt sie ihre dritte Tochter zur Welt. Kaum Bilder mehr, nur Nachrichten. 1996 sitzt sie in einem Londoner Hotel, sagt: „Ich ziehe immer noch gerne durch die Welt, doch bei mir selber bin ich angekommen.“ Neneh Cherry hat ihr drittes Album fertig. Es heißt „Man“. Die erste Single heißt „Woman“. Neneh Cherry hat sich treiben lassen, hat viele Rollen gespielt in ihrem Leben als öffentliche Frau. Sie war Rotzgöre, sie war Sex, war Kumpel, Kämpferin und Mutter, und sie wollte immer etwas sagen. Jetzt erklärt sich eigentlich alles von selbst: „Man – Woman“. Das ist das Thema, das alles beherrscht, der Urgrund der Natur, der Ursprung aller Konflikte.

Ihre Rastlosigkeit ist einer neuen Tiefe gewichen. Neneh Cherry weiß, daß sie kein jugendlicher Popstar mehr wird. Dafür hat sie von Anfang an zuviel gesucht. Die Jagd nach Trends ist vorbei, „das Nachtdub-Leben habe ich hinter mir“. Die Musik auf „Man“ lehnt sich zurück, operiert nicht mit Break-Beats, sondern mit Gitarren. Neneh Cherry rockt. „Yeah. Man ist so eingeschränkt, wenn man viel mit Maschinen arbeitet. Man muß warten, bis irgendein blödes Programm lädt, muß speichern… Ich wollte mehr Anarchie, mehr Feuer im Arsch.“ „Man“ ist Ganzheitsprogramm, ist Rock und Soul, mal kräftig, mal zart – das Album ist Neneh Cherrys neue Erkenntnis: „Früher wollte ich immer stärker sein, wollte alles können. Heute nehme ich mir die Freiheit, schwach zu sein oder wütend oder traurig.“ Und: „Es ist ein Album von Leben und Tod. Während der Aufnahmen war sie mit ihrer dritten Tochter schwanger, und es starb ihr Stiefvater, der Jazz-Musiker Don Cherry, an Leberkrebs – unter ihrem Dach in Spanien. „Er war acht Monate bei uns. Es gab für mich in dieser Zeit nur zwei Dinge, die mir sinnvoll erschienen: zu arbeiten oder bei ihm zu sein. Wenn ich sang, hatte ich das Gefühl, von einer Klippe zu springen. Es ist sehr hart, wenn das Schicksal seinen Lauf nimmt und du nichts ändern kannst.“ Die Unberechenbarkeit des Lebens hatte sie schon früh kennengelernt. Die Mutter Künstlerin, der Stiefvater Musiker, das Gefühl des Andersseins in einem Dorf in Schweden: „Als Kind hätte ich gerne normaler gelebt.“ Ihren Töchtern versucht sie deshalb in erster Linie ein Gefühl von „Sicherheit und Beständigkeit“ zu geben. „Man braucht im Leben eben eine Basis.“ Cherrys eigene Konstante ist Lebens- und Arbeitsgefahrte Booga Bear. Mit ihm und Langzeitkollege Johnny Dollar hat sie all ihre Alben produziert, er ist der Vater von zweien ihrer Töchter. Die Liebe am Arbeitsplatz stört das Zusammensein nicht: „Wir verstehen uns blind, die Musik gibt der Beziehung eine ungeheure Intensität.“ Ihr neues Album hat sie auf einen neuen Weg gebracht, glaubt sie: „Ich spüre einen Enthusiasmus wie noch nie.“ Sie will diesmal keine Pause machen, will weiter „üben, schreiben, toben, sein“. Sie ist glücklich und zufrieden, dankbar für ihr Leben, und wenn zufallig doch mal eine gute Fee vorbeikommt, möchte sie in aller Bescheidenheit nur noch eines: „Einen Führerschein. Ob du es glaubst oder nicht – die große Neneh Cherry, Übermutter und Vorzeigefrau, hahaha, kann noch nicht einmal selbst Auto fahren.“ Aber dafür gibt es ja schließlich auch „Man“.

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