Vogelfrei über 1,92

Ulrike Nasse-Meyfarth war der deutsche Hochsprungstar der 70er – mit den längsten Schlaghosen

1968 hatte ich die Olympischen Spiele in Mexiko begeistert verfolgt und war so zum Hochsprung gekommen. 1971 wurde ich schon deutsche Vizemeisterin, 1972, mit 16, sogar Olympiasiegerin über die Weltrekordhöhe 1,92 Meter – für mich war natürlich das das einschneidende Erlebnis des Jahrzehnts. Ich war immer schon relativ groß gewesen, hatte bei den Jungs daher anfangs nicht so viel zu melden gehabt – da kam der Leistungssport gerade recht. Und da stellten sich die Erfolge ohne allzu große Mühe ein.

Dazu muss man aber sagen, dass Sportler in den 70er-Jahren noch nicht den öffentlichen Respekt genossen, den man ihnen heute zollt. Elitedenken war den Deutschen noch unangenehm, das Wort nahm man nicht in den Mund – wir galten gemeinhin als die dummen Athleten. Tatsächlich waren viele meine Studienkollegen an der Kölner Sporthochschule eher Lebenskünstlertypen und kaum an Politik interessiert. Diskussionen über die RAF waren selten, obwohl Schleyer ganz in der Nähe unserer Schule entführt worden war. Es gab Hausdurchsuchungen in meinem Wohnhaus, konspirative Wohnungen der Terroristen wurden entdeckt. Ich erinnere mich gut an das Gefühl, sich nicht mehr wirklich sicher zu fühlen. Und das kam genau zu der Zeit, als man sich vor allem als Frau endlich freier durch die Gesellschaft bewegen konnte. Mehr Freiheit, mehr Unsicherheit, eine seltsame Kombination.

Das Saturday Night Fever erlebten wir übrigens in den Bhagwan-Discos, die ziemlich hip waren. Es war toll zu beobachten, wenn die Jünger dort plötzlich in sich gingen. Dass es denen am Ende auch nur ums Geld ging, habe ich mir gedacht. Natürlich trug ich auch Schlaghosen – obwohl es schwierig war, die in meiner Größe aufzutreiben. Das war selbst eine Art Sport.

Ulrike Meyfarth, Jahrgang 1956, heißt heute Nasse-Meyfarth und arbeitet im Leichtathletik-Jugendbereich bei Bayer Leverkusen.

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