Vom Tun in den Achtzigern distanziert sich David Bowie heute. Mit den neuen Songs knüpft er an die Qualität seiner frühen Klassiker an

Eine Untersuchung im UK resultierte kürzlich in dem verblüffenden Ergebnis, dass praktisch jede kursierende Pfundnote Kokainspuren aufweist. Stellt man die Summe in Rechnung, die in den 70er und 80er Jahren in gerollter Form allein David Bowies Nase von innen gesehen hat, so kann man sich tatsächlich nur wundern, in welch blendender Verfassung der Thin White Duke sein sechstes Lebensjahrzehnt angeht.

Das österreichische (und aus weiterer Umgebung angereiste) Publikum macht es dem gerade vom britischen Straßenblatt „The Sun“ zum „größten Star des 20. Jahrhunderts“ Gewählten von Anfang an leicht: Die mit über 3000 Leuten gefüllte Libro Music Hall im Herzen Wiens bebt vor Spannung, kritische Ohren versagen umgehend den Dienst, man feiert das Wiedersehen mit dem Idol der 70er Jahre, dem einst die Versöhnung von Avantgarde und Pop gelang und das man lange Jahre vermisst hat – das neue Album „Hours… “ schließt nun da an, wo „Scary Monsters“ 1980 aufhörte, und Bowies Ablehnung der eigenen Arbeit in den mittleren 80er Jahren, die er nachmittags bei seiner Pressekonferenz gut gelaunt verkündete, schlägt sich glücklicherweise im Programm nieder: Von zwei Ausnahmen abgesehen – einem furiosen „China Girl“ und dem Tin-Machine-Song „I Can’t Read“, hoffnungsloser Bastard aus synthetischer Wut und missglückter Ballade und einziger echter Schwachpunkt des Abend – ertönt kein Song, der zwischen 1980 und 1998 entstand. Statt dessen gibt es ein lockeres, durch Spaße, Anekdötchen und angekündigte Einlagen in „interpretative dance“ von der Background-Sängerin Lani Groves und Bassistin Gail Dorsey (die nach zwei Schritten lachend „Fuck you!“ ruft und abbricht) verbundenes Potpourri aus früher, noch früher und heute – 16 Songs, erzählt Bowie, hat er mit seiner Band für die drei europäischen Konzerte eingeübt, „If I’m Dreaming My Life“ kommt spontan dazu („das haben wir wirklich, wirklich, wirklich nicht geprobt!“).

„Life On Mars“ macht den Anfang; viele ähnlich sichere Trümpfe fehlen zwar, doch dafür gibt es so manche Überraschung: „Drive-In Saturday“, jenen Song, den Bowie einst Mott The Hoople als Nachfolge-Hit von „All The Young Dudes“ anbot (die lehnten ab und verschwanden aus der Popgeschichte), „Repetition“ vom 79er Album „Lodger“ (eine höchst seltsame Mischung aus Stampf-Beat, Beziehungsabrechnung – seine Scheidung von Angie lief- und schräger Lakonie), „Word On A Wing“ von „Station To Station“ und „I Can’t Help Thinking About Me“ von 1966 („dies ist der erste Song, den ich als David Bowie geschrieben habe – 80 Prozent von euch waren damals nicht mal geboren!“).

„The Pretty Things Are Going To Hell“ profitiert sehr davon, dass sich der für Reeves Gabreis eingesprungene Ex-Helmet-Gitarrist Page Hamilton bemüht, dessen elektrische Hyperventilation zugunsten eines wärmeren Saitensounds zu vermeiden. Bowie tanzt, beklagt sich über die Allgegenwart der Boygroups, und er lächelt, lacht, lächelt und lacht, immer wieder. Damit diese Stimmung nicht durch „Zugaben-Gekreische gestört wird, kündigt er eine Pause an. Nach ein paar Minuten kommt die Band zurück, spielt weiter und verabschiedet sich schließlich mit „Rebel Rebel“.

Die größte Überraschung ist eigentlich nicht, dass die neuen Songs im Set überhaupt funktionieren, sondern dass sie die besten Momente des ganzen Konzerts sind, weil sie genau jene Qualität haben, die etwa „Ziggy Stardust“, „Rock’n’Roll Suicide“, „Young Americans“, „Station To Station“, „Heroes“, „Ashes To Ashes“ (heute alle nicht gespielt) so unwiderstehlich machte: die Verbindung aus Melancholie und grenzenloser Euphorie in einem emotionalen Mahlstrom. Das, was Bowie die Triebfeder jeder Kunst nannte: zu spüren, wie unendlich schön das Leben ist, und gleichzeitig zu wissen, dass das Ende, der Tod, definitiv dazugehört.

„Alle Lust will Ewigkeit“, schrieb Nietzsche; diese Erkenntnis und die trotzige Kraft, die ihr entspringt, in Musik umzusetzen ist Bowies Stärke, nicht all die Image-Spielereien, mit denen er uns immer wieder überrascht, inspiriert, aber oft auch enttäuscht hat, wenn die tiefe Wahrheit, die aus seinen besten Songs spricht, von lärmender Aktualität übertönt wurde.

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