Von der Kritik als amerikanischer Über-Romancier gefeiert, kann sich das lesende Volk für Don DeLillo nur zögerlich erwärmen. Sein neues Werk „Cosmopolis“ soll das ändern.

Männer. Immer wieder sind es Männer, die alleine in Zimmern sitzen. DeLillos Romane sind bevölkert von Männern, entrückt von der Welt – und doch mittendrin, die Gegenwart so präzise betrachtend, dass es einem die Sprache verschlägt Einer sitzt in Manhattan, östlich des Greenwich Village. In „Great Jones Street“ schweigt er, um sich gegen die eigene Vermarktung zu wehren. Dem Rockstar Wunderlick, von DeLillo bereits 1973 porträtiert, ist nicht mehr klar, was er mitzuteilen hat. Was aus Rebellion und Protest wird, wenn er in der Multimedia-Maschinerie vervielfältigt und vom Manager und dessen Firma „Transparanoia“ wie eine Marionette kontrolliert wird, das ahnte DeLillo schon vor 30 Jahren.

Die Männer, die in DeLillos Romanen so auftreten wie der letzte Gast einer Bar im Morgengrauen, sitzen – wie auch Nicholas Branch in „Libra/Sieben Sekunden“ – einsam in einem Zimmer und suchen nach Erklärung und Sinn. Im Fall von Branch ist es „die wahre Geschichte“ hinter dem Mord an John F. Kennedy.

DeLillo war sicher nicht der erste Erzähler, der den JFK-Mythos aufgriff. „Es war mir lange nicht klar, dass ich je einen Roman darüber schreiben würde“, sagt Don De-Lillo heute. „Erst spät fiel mir auf, dass es in meinen früheren Romanen ein, zwei Verweise auf Lee Harvey Oswald gab. Ich machte mir erstmais Gedanken darüber, als ich zum 20. Jahrestag 1983 einen Essay für den ROLLING STONE schrieb, der sich um Attentäter und vermeintliche Attentäter in Amerika drehte.“ Der Essay führte direkt zu „Libra“, DeLillos achtem Roman.

Noch einmal 20 Jahre später sitzt der Schreiber selbst in einem Zimmer, wir fahnden nach Themen, zu denen er nicht ständig befragt wird. Sein Widerwille, sich der Presse zu stellen, hat ihm den Ruf des verschrobenen Autoren eingebracht, zurückgezogen wie Salinger, unbekannt wie Gaddis und mysteriös wie Pynchon. Die beiden letzteren verehrt er, doch das Image desjenigen, der sich auch aus taktischen Motiven versteckt, missfällt ihm. „Im Verlagsgeschäft, zumal in den USA, wird man als Einsiedler abgetan, sobald man einmal ein Interview ablehnt. Und aus dieser Schublade kommt man nicht wieder raus. Anfangs habe ich wirklich kaum Interviews gegeben, aber als ‚Libra‘ veröffentlicht wurde, schien es sinnvoll, mich den Fragen und Kommentaren zu stellen, weil’s nun mal um ein monumentales Ereignis in der Geschichte der USA ging.“

Auch dass wir heute hier sitzen, in einem Zimmer des Deutschen Historischen Museums in Berlin, ist auf Kennedy zurückzuführen. Zu JFKs 40. Todestag wurde DeLillo eingeladen, aus „Libra“ und „Unterwelt“ zu lesen. Natürlich ist er auch hier, um über „Cosmopolis“ zu sprechen, den 14. Roman (zählt man das 1980 unter dem Pseudonym Cleo Birdwell verfasste „Amazons“ mit).

In „Cosmopolis“ bleibt der Protagonist nicht lange in seiner Wohnung. Der Cyberkapitalist Eric Packer verlässt seine 48-Zimmer-Wohnlandschaft und verbringt den Rest des Tages in einer gepanzerten Stretch-Limousine. „Schon am Morgen fühlt er seine Sterblichkeit“, erläutert DeLillo im Gespräch ohne Umschweife, worauf die letzte Reise Eric Packers zusteuert. „Es geht ihm so wie jedem von uns, wenn wir um drei Uhr nachts aufwachen und an Tod und Vergänglichkeit denken. Mit dem Unterschied, dass Packer beginnt, selbstzerstörerisch zu werden. Der schulmedizinische Ausdruck dafür ist: Ikarus-Komplex.“

Der eine Tag im Leben Packers findet im April 2000 statt, exakt zu der Zeit, als Dotcoms zu Notcoms wurden, die New Economy wie eine schillernd bunte Seifenblase zerplatzte. „Die Zeit hat in diesem Roman die Tendenz, schneller zu vergehen. Ich glaube, in den 90er Jahren ist das tatsächlich passiert: Es herrschte enormer Druck, Geld zu machen, auf Unternehmensebene genauso wie auf der Straße, sodass wir irgendwie alle in der Zukunft lebten. In der Zukunft von enormen Investitionsmöglichkeiten und nicht regulierten Märkten. Firmenlenker wurden zu Popstars, Konzerne schienen wichtiger als Regierungen, und einfache Leute starrten auf Computerbildschirme, sahen ihrem Geld bei der Arbeit zu. wickelten via Internet Transaktionen an der Börse ab. Und dann im Frühjahr 2000… dann fiel es in sich zusammen und ist nicht mehr so, wie es mal war.“

Dass das Buch als Parabel auf die USA nach dem 11. September gelesen werden kann, ist natürlich auch DeLillo klar. Geschrieben habe er es allerdings vorher. „Mein Konzept war. dass Eric Packer in einer beschleunigten Zeit lebt, so dass er tatsächlich sein ganzes Leben an einem einzigen Tag lebt. Er hat Sex mit vier verschiedenen Frauen, er hat fünf, sechs verschiedene Drinks, er erschießt einen Mann, ein anderer wartet darauf, ihn zu erschießen… Es ist nicht ein Tag im Leben, es ist ein Leben im Tag…“

1936 geboren, in der Bronx aufgewachsen, war der Schriftsteller DeLillo ein Spätstarter. Als Texter für Ogilvy & Mather lernte er Macht und Manipulierkeit von Worten kennen und fürchten. Worte – für Burroughs Viren, für Ploog Waffen – sind für DeLillo vor allem Werkzeuge, die er fasziniert beobachtet und mit jener Vorsicht handhabt, die man von Chirurgen erwartet. Leser oder Literaturbeamte interessieren ihn nicht annähernd so sehr wie „geschriebene Worte. Und wenn ich dann bei Lesungen fühle, wie das anderen, vor allem jungen Menschen etwas gibt», das hat schon was. Das habe ich nach acht oder neun Romanen das erste Mal erlebt.“

Den schreibenden DeLillo allerdings, wenn er dann allein in seinem Zimmer an der Olympic-Schreibmaschine sitzt, motivieren diese Reaktionen nicht. „Es ist ein problematischer Zustand, in dem sich der Schriftsteller befindet. Ich habe ein Erfolgserlebnis, wenn mir ein Satz gelingt, der wahr und schön ist. Hinter Geschichte und Politik steht immer die Sprache. Das ist es, was mich interessiert: die Sprache, wie ich sie bearbeite und überarbeite. Und es macht Spaß. Das ist das große Geheimnis aller Autoren, etwas, das sie auch voreinander verheimlichen: dass es Spaß macht, Fiction zu schreiben. Aller Probleme zum Trotz.“

DeLillo war 35 Jahre alt, als sein erster Roman erschien. „Americana“ ist eine Road-Novel, in der kein Kerouac mehr durchs Land reist, um sich zu entdecken, sondern Film und Werbung die Scheuklappen justieren, mit denen wir die Welt wahrnehmen. Alles sehr ehrgeizig, postmodern. Noch amerikanischer ist „End Zone“, in dem zwei Themen auftauchen, die in der Literatur bislang nicht behandelt wurden. Während die etablierten Autoren darüber brüten, wie sie einen zeitlosen Klassiker zu Papier bringen könnten, schrieb DeLillo über Nuklearkriege und American Football, auch darüber, wie im Sport die Gewalt proportional zur Einschaltquote zunimmt. Dann, 1973, „Great Jones Street“.

In den USA wurde er zu einem „writer’s writer“. ROLLING StoNE würdigte ihn, andernorts taten es so etablierte Querköpfe wie Nelson Algren, der im „LA Times Book Review“ jubelte: „Sein Witz ist so chirurgisch, dass man nicht einmal merkt, wenn eine Arterie durchtrennt wurde. Man lacht nicht, bis man sieht, dass man blutet.“ Dieser messerscharfe Blick, die sorgfältig gewählten Worte bei gleichzeitiger Verweigerung, das Beschriebene zu bewerten, zeichnen DeLillos Werke und Worte bis heute aus.

Vom Ansatz her kompliziert, voller Axiome und Gleichungen ist,.Ratner’s Star“, wo der Protagonist im ersten Satz „eine Sony 747 besteigt, die zu einem entfernten Land abheben soll“. Im folgenden Roman „Spieler“ läuft De-Lillo bei vergleichbarem Intro zu Hochform auf: Die komplette Eingangssequenz ist eine Melange zwischen den Gesprächen im abgedimmerten Licht einer Boeing, vermischt mit denen des dort gezeigten Bordfilms, Klängen aus der Pianobar und einer über die Leinwand tobenden Entführung auf einem Golfplatz. Mitten aus dem Zeitalter des Information-Overkills.

Was DeLillo nach „Ratner’s Star“ schrieb, größtenteils hierzulande erhältlich, variiert Gedanken zu Krieg, Terror und der Rolle, die sowohl Globalisierung als auch Massenmedien dabei spielen. DeLillo ist ein Kind der Sixties, die mit J.F. Kennedy so zuversichtlich begannen, deren Ideale dann aber im medialen Zynismus der Neuzeit unter die Räder kamen. „Kennedy stand für einen Neustart in die Zukunft. Seine drei Jahre als Präsident waren geprägt von Zuversicht. Sicher, in der Administration gab’s vieles, von dem wir nichts wussten; andererseits verlieher uns das Gefühl, dass wir an einer sich positiv entwickelnden Zukunft teilhaben werden.

Die Sixties waren für mich eine unglaubliche Zeit. Jede Woche passierte etwas Unglaubliches. Mitten in amerikanischen Städten standen Panzer, es gab Attentate und Attentatsversuche, dann Vietnam, was alle unglaublich aufwühlte. Dann Nixon, Watergate.

Heute ist das anders, die Stimmung hat etwas Willfähriges, die Menschen wollen nicht protestieren, obwohl sie wissen, dass Sachen schieflaufen; zumindest machen sie es nicht mehr mit der Vehemenz von früher. Vielleicht wird sich das ändern. Heute kommt die Bedrohung von außen, von einer kleinen Gruppe Terroristen, die irgendwo auch die Vergangenheit repräsentiert, und die uns dazu gebracht hat, unser Verhältnis zur Zukunft anzuzweifeln. Amerikaner glauben, sie hätten die Zukunft erfunden. Doch die steht seit dem 11.9. auf wackligen Füßen.“

Dreht sich im Freundeskreis ein Gespräch um Dylan oder Tarantino, so sind die Positionen ziemlich klar: Man mag sie, oder man mag sie nicht, wenn ja, dann ist man sich schnell einig, welche Werke herausragend, eher schwach oder ziemlich abgründig waren. Anders bei Miles Davis oder Jean-Luc Godard: Hier können die sonst vernünftigsten Menschen nächtelang debattieren, ob „Bitches Brew“ oder „Kind Of Bitte“, ob „Außer Atem“ oder „Weekend“. Dasselbe gilt für die Romane von DeLillo, der von sich selbst behauptet, „die wichtigsten Einflüsse waren für mich wahrscheinlich nicht so sehr Schriftsteller als viel eher der Europäische Film, Jazz und abstrakter Expressionismus“. „Unterwelt“ hat ihn zum Überstar gemacht, auch hierzulande hat fast jeder mal in den 965 Seiten geblättert, sich über das als „Great American Novel“ gefeierte Monumental-Epos vielleicht aber auch gewundert. Ein paar Jahre nach Jubel und Lorbeeren darf man es auch etwas lauter sagen: Wirklich lesbar ist das vermutlich nur für wenige. Um den überwältigenden Erfolg zu verstehen, mag es hilfreich sein, sich daran zu erinnern, wie händeringend im angloamerikanischen Sprachraum seit jeher nach dem das Jahrzehnt subsummierenden Meisterwerk gesucht wird. In den 50em gab es Kcrouacs „Unterwegs“, zuvor Fitzgerald, später – als Sargnagel der Sixties – Hunter S. Thompson, als Spielverderberei der hedonistischen 80er Tom Wolfes „Fegefeuer der Eitelkeiten“. „Wem ist es gegeben“, fragte die Intelligenzija, „diesen großen amerikanischen Roman zu schreiben? Wer kann solches Material erfinden, wer kann die Wahrheit über eine Alzheimer-Kultur der verlorenen Zusammenhänge einfangen?“

Wie gesagt: „Unterwelt“ befriedigte diese Nachfrage vielleicht, spülte aber DeLillo auch auf Regale und Nachtschränkchen, auf denen er nichts verloren hat. Um Spannung im Sinne von John Grisham oder Stephen King geht es nicht, auch nicht um Unterhaltung im Sinne von Hera Lind oder Harry Potter. Es geht um die Themen und Fragen einer Welt, die so nicht existierte, als Thomas Mann seinen „Zauberberg“ meißelte.

Nach den frühen Romanen, aber bereits vor „Unterwelt“ lieferte DeLillo drei Meisterwerke ab. Visionen und Ideen von Reality-TV-Shows, Drogen und allgegenwärtigen Kameras sind hier die Hauptthemen. So auch in der von Konsumterror und einer Umweltkatastrophe überschatteten Satire „Weißes Rauschen“. „Eins der allerbesten Bücher, die ich je gelesen habe“, ließ T.C. Boyle seinerzeit verlauten. „Es gibt in den USA ungeheuer wenige, die sich auf Satire so verstehen wie DeLillo.“

Damit betrat der writer’s writer den Ring der wahren Schwergewichte, der Klassiker von übermorgen. Auf „Weißes Rauschen“ folgte „Libra“, dann „Mao II“, in dem Massenmedien, Sprache, Terrorismus und Religion genial zusammengeführt werden. Hier haben wir die Essenz von DeLillos Kosmos und Arbeit. Es gibt nicht einen Protagonisten, auch keine Action im herkömmlichen Sinn, wohl aber ungeheure Spannung und Anspannung. Bill Gray sitzt vor seiner schweigenden Schreibmaschine, beguckt die einzelnen Lettern auf dem Papier, während draußen die Welt tobt, Fotografen Bilder von Terroristen schießen, diese wiederum mit Metaphern und Symbolen arbeiten, durch die ihre Taten erst Bedeutung erhalten. Dass Don DeLillo in ein paar Jahrzehnten als Visionär neben Kafka, als Stilist neben Hemingway genannt werden wird, steht eigentlich außer Zweifel. Sympathischerweise interessiert ihn das nicht weiter.

Zurzeit beschäftigt ihn etwas ganz anderes – kein Roman über den 11. September, soviel ist sicher. „Mehr will ich dazu aber auch nicht sagen. Es ist nicht Fiction, und es ist auch nicht eine riesige Idee, obwohl sie vielleicht noch zu etwas Größerem werden könnte. Das Thema hat nichts mit dem Zustand dieser Welt zu tun, auch nicht mit Geschichte oder Politik. Es geht um etwas anderes.“

Meisterwerk oder nicht – interessanter als das Gros neuer Veröffentlichungen wird es mit Sicherheit auch dieses Mal sein.

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