Von Tieren und tieferer Moral

We’re still taiking!“, sagt et In der Tür des Hotelzimmers steht die Betreuerin von der Plattenfirma und mahnt zum Aufbruch: Der Flieger nach Paris gehe in einer Stunde.

Seal zuckt lächelnd mit den Schultern. „Wir nehmen den nächsten.“

Dies sei aber der letzte Flug heute.

„Tja, dann müssen wir wohl noch eine Nacht hier bleiben.“

Ob die demonstrative Dringlichkeit nun gespielt ist oder nicht: Das gewichtige Gesprächsthema, dessentwegen er die PR-Panik auslöst (morgen früh warten in Paris schließlich die nächsten Interviewer), ist jedenfalls das Cover von „Human Being“, seines neuen, dritten Albums. Nackt, aber mit digital verzerrter Anatomie (verlängerte Gliedmaßen, angespitztes Kinn), präsentiert sich Seal in Raubtier-Pose – fast Tier, halb Pan, halb TeufeL „Ich wollte den Betrachter bereits mit dem ersten optischen Eindruck aus der Reserve lokken“, erläutert er mit dem Stolz des überzeugten Provokateurs. „Das Bild hat etwas Unheimliches, Bedrohliches -wo meine Musik doch eigentlich… schön ist Ich wollte Erwartungshaltungen und Vorurteile bewußt konterkarieren.“ Moral und Message also, bevor man die Platte aufgelegt hat Vielleicht ist es das Erfolgsgeheimnis des Sealhenry Samuel: alles ernstzunehmen, nichts hinter der gefälligen Fassade zu verstecken – und dadurch eine emotionale Intensität zu vermitteln, die dem gewöhnlichen Pop-Schaffenden gänzlich fremd ist Vielleicht ist es auch das Dilemma, das ihm den Erfolg anfangs vergrätzte: einerseits Popstar zu sein (coole Videos und die obligate Model-Liaison inklusive), andererseits aber jedwede Oberflächlichkeit zu hassen. „We’re never gonna survive unless we are a little crazy“, philosophierte er im Einstands-Hit „Crazy“ – ließ das unkonformistische Motto dann aber von Trevor Horns schwelgenden Arrangement verbrämen.

Hörn hat – trotz zwischenzeitlichem Zerwürfnis – auch diesmal produziert: JHuman Bring“ klingt gewohnt üppig bis bombastisch, harmonisch bis konturenlos. Die sparsam produzierten Titel sind denn auch die interessanteren: „Princess“ verläßt sich nur auf Stimme und Akustikgitarre – und ist Sealzuträglicher als der wuchtige Titelsong, der uns darüber informiert „daß wir sterblich sind – und Liebe folglich unser natürlicher Impuls sein sollte“.

Zumal in seiner Wahlheimat L. A. registriert er „Angst vorm Selbst, Angst vor der Wahrheit“. Gegen solche Ängste will er ansingen – und dabei die eigene Verletzlichkeit nicht kaschieren. „Nackt vor der Kamera zu stehen, bedrohlich animalisch zu wirken, dennoch aber ein human being zu sein – das ist die Message.“ Weitere Fragen – auch die indiskrete zur Romanze mit Tatjana Patitz – verbietet die Höflichkeit Sieh zu, daß Du den Flieger kriegst!

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates