Vorwort

Ich war neun jahre alt, als ich die beatles zum ersten mal hörte. In der Merseyside um Liverpool, wo ich meist meine Schulferien verbrachte, lernte ich ein Mädchen kennen, das mir ein schlechtes Promo-Foto mit ihren Autogrammen schenkte. Es muss 1962 oder 1963 gewesen sein. Das Foto war amateurhaft ausgeleuchtet, und auch mit ihrem visuellen Selbstverständnis haperte es: Ringo hatte seine Haare zurückgekämmt, als könne er sich mit dem Pilzkopf noch immer nicht anfreunden. All das spielte für mich keine Rolle, weil ich in die Band völlig vernarrt war. Und seltsamerweise waren auch unsere Eltern und ihre Freunde auf diese kleine Band aus Liverpool richtig stolz. Aus Englands Norden hatten es bislang nur Komiker zu nationalen Ehren gebracht. Selbst Parlophone, das Beatles-Label, hatte damals überwiegend Komiker unter Vertrag. Man hatte fast den Eindruck, als hielten sich die Beatles selbst für einen Novelty Act, dessen Lebenserwartung möglicherweise begrenzt war.

Ich war genau in dem richtigen Alter, um von der Beatlemania voll erwischt zu werden: Jedes Foto wurde ausgeschnitten, jeder Pfennig vom Taschengeld für Singles und EPs gespart, alle Auftritte im Lokal-Fernsehen verfolgt. Und meine Erfahrung wurde millionenfach in der ganzen Welt wiederholt.Natürlich hatte es bereits vergleichbare Phänomene gegeben, aber die Beatles erreichten ein Level, das bislang Charlie Chaplin, Brigitte Bardot und Elvis Presley vorbehalten schien, jedenfalls weitaus höher angesiedelt war als die hohle Exklusivität von Astronauten, Ex-Präsidenten und anderen großen Nummern.

Jede Platte war ein neuer Schock. Im Unterschied zu fanatischen R&B-Evangelisten wie den Rolling Stones klangen die Beatles, als seien sie aus dem Nichts gekommen. Sie hatten bereits ihren Buddy Holly, die Everly Brothers und Chuck Berry verdaut – und vor allem: Sie schrieben ihre eigenen Songs. Was bislang die Ausnahme war, sollte von nun an die Regel werden. Und John Lennon und Paul McCartney waren außergewöhnliche Songschreiber; McCartney war und ist ein wahrhaft virtuoser Musiker, George Harrison war nicht der Gitarrist, der wilde und spontane Soli abbrannte, aber man konnte die Melodien fast all seiner Breaks mitsingen – und am wichtigsten: Sie fügten sich immer nahtlos in die Arrangements ein. Ringo Starr spielte die Drums mit einem einzigartigen Feel, das niemand kopieren konnte, auch wenn sich viele gewiefte Schlagzeuger daran versuchten. Und vor allem: John und Paul waren ganz wunderbare Sänger.

Als Songschreiber schwebten Lennon, McCartney und Harrison über den Wolken. Unfassbar, Songs wie „Ask Me Why“ oder „Things We Said Today“ nur als B-Seite zu veröffentlichen! Oder Perlen wie „Paperback Writer“/“Rain“ und „Penny Lane“/“Strawberry Fields Forever“ auf eine Single zu verbannen! Diese Platten waren Ereignisse – und nicht bloße Appetithäppchen für das kommende Album. Und dann wurden sie wirklich erwachsen: Aus simplen Lovesongs entwickelten sich hintergründige Geschichten wie „Norwegian Wood“ – und dann noch komplexere Inhalte, die man nie und nimmer in Pop-Lyrics erwartet hätte.

Sie waren die erste Gruppe, die die akustischen Vorgaben der Aufnahmetechnik in Frage stellten, ohne sich dabei in Gimmicks zu verrennen. Toningenieure wie Geoff Emerick entwickelten – nach den kreativen Vorgaben der Band – innovative Techniken, die wir heute als selbstverständlich voraussetzen. Vor den Beatles standen dort Studiobeamte in weißen Laborkitteln, die mit spitzen Fingern experimentelle Klang-Forschungen betrieben. Völlig undenkbar, dass dort plötzlich Rocker aufkreuzten, die absichtlich alles auf den Kopf stellten. Ein Frevel, leise Vocals mit einem lärmigen Track wie „Strawberry Fields Forever“ zu kombinieren. Man kann gar nicht überschätzen, welche Türen sich dadurch für andere Musiker öffneten – von Motown bis Jimi Hendrix.

Meine Album-Favoriten sind „Revolver“ und „Rubber Soul“. Auf beiden Alben hört man Querverweise – zu R&B, Dylan, Psychedelia -, aber nicht als offensichtliche Reprise. Wenn man „Revolver“ zur Hand nahm, wusste man ohnehin, dass alles anders war. Auf der Rückseite des Covers trugen sie sogar Sonnenbrillen, obwohl weit und breit keine Sonne zu sehen war. Und sie schauten nicht mal in die Kamera! Und die Musik war so seltsam, zugleich greif-bar und plastisch. Wenn ich von diesen Alben meinen liebsten Song auswählen müsste, wäre es „And Your Bird Can Sing“ …, nein: „Girl“ …, nein: „For No One“ … und so weiter und so fort.

„Let It Be“, ihr Abschieds-album, war großartig und zwie-spältig. Ich vermute, dass ungezügelte Ambitionen und die menschliche Natur irgendwann einmal jede Band erwischen. Aber selbst zu diesem Zeitpunkt waren ihre Perfomances noch immer unglaublich. Ich erinnere mich daran, wie ich 1970 zum Leicester Square ging und mir ihren Film „Let It Be“ anschaute. Als ich herauskam, war mir ganz anders zumute.

Jemand gab mir neulich eine Zusammenstellung alter Nachrichten-Clips, in denen die Beat-les auftauchen. Und gerade diese komprimierte Form führt einem plastisch vor Augen, wie schnell ihr Witz und der jugendliche Elan, der ihr öffentliches Image ausmachte, aus dieser Band herausgesaugt wurden. 1965 sitzen sie bei einer Pressekonferenz in Los Angeles und sprechen über ihre letzte US-Tour. Die Anzüge und Krawatten gehören längst der Vergangenheit an. Sie sehen erschöpft und genervt aus und lassen die provokanten Fragen der Journalisten von sich abtropfen. Als einer der Sprücheklopfer sie auf einen „Time“-Artikel anspricht, in dem es heißt, dass „Day Tripper“ von einer Prostituierten handele und „Norwegian Wood“ von einer Lesbe, sagt McCartney: „Genau, wir haben versucht, Songs über Prostituierte und Lesben zu schreiben.“ Und während alle lachen, sagt er nur: „Cut!“ Sie machten den Eindruck, als sei alles gesagt, als sei das Spiel vorüber – auch wenn sie tatsächlich erst danach richtig loslegten.

Der Ausdruck „Beatlesque“ befindet sich nun schon seit geraumer Zeit in allen Wörterbüchern. Man hört ihren Einfluss in Harry-Nilsson-Songs, man hört ihn bei „Around The World In A Day“ von Prince, man hört ihn in den Hits von E.L.O. und Crowded House und in den Balladen von Ron Sexsmith. Man hört auch, dass Kurt Cobain die Beatles verinnerlichte und ihre Ideen mit Punk und Metal vermischte. Man hört sie in Eintagsfliegen wie „Lies“ von den Knickerbockers oder „Shake Some Action“ von den Flaming Groovies. Das stilistische Spektrum und die artistischen Waghalsigkeiten des „Weißen Albums“ ermöglichten es allen nur erdenklichen Musikern – von OutKast bis Radiohead, von Green Day zu Joanna Newsom -, ihre musikalischen Ideen nun auf einer größeren, gewagteren Leinwand auszubreiten.

Und ja – ich gebe gerne zu, dass auch ich mich an den Beat-les-Licks bedient habe. Als ich die Gelegenheit hatte, gemeinsam mit Paul McCartney zwölf Songs zu schreiben, machte ich sogar den Vorschlag, dass er selbst doch die klassischen Beat-les-Harmonien zitieren könne – zumal er später ein völlig neues musikalisches Vokabular kreiert hatte.

1999, nach dem Tod von Linda McCartney, spielte Paul bei einem „Concert For Linda“. Bei den Proben sang ich mit ihm einen Ricky-Nelson-Song. Als nächstes Stück stand „All My Loving“ auf dem Programm. Ich fragte ihn: „Soll ich beim Refrain die zweite Harmonie übernehmen?“ Er sagte: „Warum nicht?“ Beim Konzert war dann alles anders: Kaum dass Paul die ersten Worte gesungen hatte, tobte das Publikum derart, dass der Song im Lärm unterging. Vielleicht verstand ich in diesem Augenblick zum ersten Mal, warum die Beatles sich von der Bühne verabschiedeten. Die Songs gehörten ihnen nicht mehr. Sie gehörten allen.

Wir haben jeweils die Daten der deutschen Erstveröffentlichung der Songs, auf Single oder Album, angegeben. Die Singles wurden in Deutschland zuweilen anders zusammengestellt als in Groß-britannien und anderen Ländern. Die jeweils höchste Chart-Platzierung und die Dauer der Notierung in den Charts stehen jeweils unter den Songtiteln; sie folgen der Verkaufsliste, wie sie in den 60er-Jahren erfasst wurde. In manchen Fällen geben die Quellen allerdings unterschiedliche Platzierungen an.

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