Während Strokes und Vines Zweitalben machen, debütieren die Kings of Leon

Nachdem bleistiftdünne Krawatten, schwarze Wuschelköpfe und zerrissene Damenstrumpfhosen längst zum Suchprofil aller Rock'n'Roll-Talentsucher gehören, kommen nun bärtige Landeier: Die KINGS OF LEON aus Tennessee spielen messerscharf melodiösen Country-Punk und halten als Priesterkinder und Familien-WG auch Werte hoch, die als uncool gelten. Die alten Könige Strokes und Vines kündigen derweil ihre Rückkehr an.

Bevor Sie alles Wesentliche über die Band Kings Of Leon lesen: Seien Sie sich bewusst, dass der kritische Punkt endgültig überschritten ist. In diesen und den nächsten Monaten werden Ihnen sehr langweilige Bands mit denselben Argumenten verkauft werden, mit denen wir jetzt hier die Kings Of Leon loben – meistens in die Richtung, dass so junge Leute auf so coole Art so tolle Rock’n’Roll-Traditionen aufgreifen, die sie doch in echt gar nicht miterlebt haben, und die jahrzehntelang out waren.

Man kennt die Argumente seit exakt zwei Jahren, seit der Veröffentlichung des Strokes-Albums, aber jetzt erst kommen die schlechten Bands. Die richtig schlechten Bands (ein paar von diesen Platten sind schon da, Sie machen sich kein Bild). Kurze Gegenrechnung: Bis der Trend nach den Wirren des Urknalls einen Namen hatte, bis die ersten Tourneen halbwegs okay gelaufen waren, bis die Entertainment-Unternehmen den Marktwert solide einschätzen konnten, bis die ASiRs in alle Winde geschickt wurden, bis sie zurückkamen und eine Band dabeihatten, bis man denen die Zähne fürs Pressefoto gerichtet hatte – richtig, alles in allem exakt zwei Jahre. Sollten die Pop-Hörer wirklich so dumm und wenig abstraktionsfähig sein, wie sie sich oft gegenseitig darstellen, liegen sogar zwei Gefahren darin. Mit Kokain aufgepäppelte Major-Label-Garagenbands stürmen „Top Of The Pops“ (Gefahr eins), und im Lager der Kenner werden auch wahre Talente irrtümlich mit Mistgabeln und Cocktailpickern verjagt, weil der Hype allen an die Nerven geht.

Schon das erste Stück der ersten Kings Of Leon-EP „Holy Roller Novocaine“ (das Cover mit der Kirsche, auf Vinyl getrimmt, aber nur als CD unlimitert erhältlich) müsste eigentlich auf der Stelle alles klären: „Molly’s Chambers“, ein Headbanger-Riff aus zwei Tönen, auf das sonderbarerweise

in den letzten 50 Jahren keine Rhythm n Blues-Band gekommen ist, gehackt von Bass und zwei Gitarren, die offenbar lange im Schlamm eines Flussdeltas gelegen haben. Der Sänger Caleb FoUowill klingt im ersten Moment so, wie Leute aus den südlichen US-Staaten in Comedy-Filmen parodiert werden, aber er kaut nicht Kaugummi oder Zahnstocher, sondern die Wörter, bis sie weich werden. Es geht um eine Nutte oder ein Groupie, um ein Mädchen wie in „Christine’s Tune“ von den Flying Burrito Brothers, eigentlich um die Verführung an sich. „bu want it, she’s got it!“ ist der gellende Refrain-Schrei, von der Band gehämmert, vom Sänger geheult wie von einem zwar verwundeten, aber trotzdem vergleichsweise gelassenen Buschwolf.

Man hört, wie sie aussehen. Caleb Followill hat einen dunklen König-Arthur-Bart und massive Biker-Haare, manchmal eine große Sonnenbrille, Modell uncooLJeans, T-Shirt. Hey, die Kings Of Leon sind die Ramones aus dem Heustadel! Und sie haben tatsächlich alle die gleichen Nachnamen: Caleb (Gesang, Gitarre), Nathan (Schlagzeug, mit 23 der älteste) und Jared Followill (Bass) sind Brüder, Matthew Foliowill (Gitarre) ist ihr Cousin. Namenspatron Leon ist der Familienvater, ein ehemaliger Pfingstgemeinden-Wanderprediger aus Tennessee, was für eine Story. Für RCA Records gesignt vom A&R-Mann der Strokes. Ethan Johns, der Produzent von Ryan Adams, hat ihre Platte gemacht. Und trotz alledem sind sie wirklich, wirklich gut.

„Wir sind eine Country-Punk-Garage-Familienband“, sagt Caleb im Promotion-Video, und später am Telefon, aus London: „Wir hören es nicht gern, wenn unsere Musik ,typisch Southern‘ genannt wird. Da denkt man an Rednecks, die nicht bis zehn zählen können.“ Um ganz genau zu sein, haben die Kings Of Leon von Creedence Clearwater Revival den rustikalen Soul im Gesang, von The Band die Country-Ball-Stimmung, von Tom Petty den lässigen Gitarrenschlag, von Lynyrd Skynyrd und den Allman Brothers den Straßenstaub, von den mittleren Rolling Stones den scharfen Blues – alles Bands, mit denen man die meisten jungen Leute auch nach den White Stripes noch aus jedem Plattenladen verscheuchen kann. Wir müssen uns auf britische Quellen verlassen, weil die Kings in Deutschland noch nicht aufgetreten sind: Bei zwei Konzerten in London Anfang Juli und beim Glastonbury-Festival sollen sich vor der Bühne unbeschreibliche Szenen abgespielt haben, obwohl die Followills sich während der Auftritte praktisch nicht bewegen. Der „NME“ empfahl den Lesern, sich schnell die gleichen Hosenträger zu kaufen wie Babyspeck-Bassist Jared, weil bald alle Rock’n’Roll-Heads so rumlaufen würden (ein Witz, wie auch immer).

Die Kings OfLeon klingen kein bisschen wie die Strokes, ihr Erfolg und der Tatbestand, dass sie jetzt eine Platte bei einer großen Firma machen durften, haben aber viel mit den Strokes zu tun. Die New Yorker (die noch 2003 ihr zweites Album bringen wollen, siehe unten) sind längst zu einem Symbol geworden, das über die eigentliche Band und ihre Musik hinausweist. Auf dem letzten Plattencover der Folk-Punks The Boggs aus Brooklyn zum Beispiel sieht man, wie einer der Musiker eine Zeitschrift mit Strokes-Titelfoto liest – ein aussagekräftiger Gag, denn auch The Boggs klingen anders, stehen aber Schulter an Schulter mit Casablancas‘ Gang.

Die Strokes verkörpern das musikalisch Fettfreie und Zielgerichtete, das freiwillige sich-Ausklinken aus dem technologischen Fortschritt bei gleichzeitig hohem Traditionsbewusstsein. Und für das Ideal, trotzdem hellwach und sozial angeschlossen zu bleiben dass das Publikum sich danach zu sehnen scheint, liegt wahrscheinlich irgendwie auch an der stolpernden Weltwirtschaft und dem Krieg gegen den Terror. „Die Strokes haben einen ganz anderen Hintergrund als wir“, sagt Caleb Followill. „Aber sie haben das, was sie aufgeschnappt haben, zu etwas völlig Eigenem gemacht. Bei uns war es ähnlich. Auch Johnny Cash hatte immer den Mut zu sagen, was er sagen wollte.“

Nach einer zwölfmonatigen Tour haben sich die vier Australier mit Produzent Rob Schnapf nach Bearsville bei Woodstock zurückgezogen, um an einem Dutzend neuer Songs zu arbeiten. „Hier ist es friedlich“, meint Sänger Craig Nicholls in einem lichten Moment. „Ich habe Zeit, für mich selbst zu arbeiten, in dieser magischen Zone, in der es nur noch Musik gibt.“ Was können wir erwarten? „Das Album wird futuristisch, aber sehr rau.“ Nicholls lässt niemanden die halb fertigen Songs hören, doch Co-Manager Andy Cassell meint: „Es gibt einen Song namens .Amnesia‘ mit so vielen Harmonien obwohl da noch andere Instrumente drauf sind, hörst du nichts mehr außer Craigs Stimme.“ S.HALPERIN Als erstes aufgeschnappt haben die kleinen Followilk die Stones und Led Zeppelin. Der Prediger-Vater schob auf den langen Überlandfahrten zwischen seinen Wirkungsstätten Kassetten ins Autoradio. „Das ging nur, wenn unsere Mutter schlief“, erzählt der Sänger. „Wäre sie wach gewesen, hätte sie gesagt: Eject! Sie mag nur Gospelmusik.“ „Sympathy For The Devil“ oder „Stairway Tb Heaven“ gelten in sehr bibeltreuen Gemeinden ja als Gefahr für die Seelengesundheit „Das war schon ein Problem für uns. Man muss aber wissen, dass unser Vater als junger Mann ein ganz Wilder gewesen war, der Drogen nahm und im Gefängnis saß. Ich glaube, die langen Nächte auf der Straße haben ihn an seine Jugendzeit erinnert, deshalb die Musik.“

Die Familie hatte immer nur kurzzeitig ein festes Zuhause, zwei Söhne wurden in Memphis geboren, einer in Oklahoma City. Sie quartierten sich bei Verwandten und Gemeindemitgliedern ein, waren zwischendurch vier Jahre im Wohnmobil unterwegs. Freundschaften außerhalb des Brüderkreises waren nicht zu halten, und Musik gab es in der Kirche. Zum Lobpreis der wiedergeborenen Christen trommelte Nathan mit sieben, die anderen kamen später dazu. Die Kings Of Leon sehen es rückblickend als Segen, dass man im Gottesdienst ausgelassen musizieren darf und nicht gleich vom Blick der Kunstkritik belastet wird. „Man tut es für Gott, und die Leute sagen dann: Es war eine gute Rockshow“, sagt Caleb.

Die ganze Geschichte ist so schön, dass man sich nicht wundern sollte, wenn sie eines Tages als Mythos entlarvt wird: Der Vater wurde vom Alkoholismus eingeholt, die Söhne wandten sich von der Glaubenspraxis ab, mieteten sich mit dem Cousin ein großes Haus in Mount Juliet, nur 40 Meilen östlich von Nashville, und wurden eine Rockband. Caleb Followill: „Wir haben Sachen gesehen, die uns Angst gemacht haben, deshalb mussten wir raus und eine Pause einlegen.“ Daher kommen die Gestalten, die durch einige der stompenden, gequengelten, bluesigen, reizenden Songs des Kings Of Leon-Albums „Youth And Young Manhood“ (die Worte standen offenbar an einem Ast des Lebensbaumes in der Bibel des Vaters) paradieren. Frauen wie die Schlange im Garten Eden, Trans vestiten, ein Eifersuchtsmörder. Ein Geisdicher, der einer Gläubigen unter apokalyptischen Beschwörungen Sex zur Erlösung anbietet.

Klingt aber alles wenig theatralisch bei den Kings. Und unter der Kruste liegen relativ unversehrt die Wertvorstellungen, die die Band von den Strokes und den anderen abheben. „God and family“ nennen sie als erstes auf der Dankesliste im EP-Cover. Familie, weil sie als Band aus echten Geschwistern auftreten, als ewige, unzerstrittene Wohn- und Wertegemeinschaft: „Das ist unser gemeinsames Leben. Es ist doch nicht ungewöhnlich, wenn man als Familie so eng aufeinandersitzt.“

Über Gott redet Caleb Followill nicht so gern:“Ich weiß nicht, wie streng er wirklich ist. Ich weiß nur das, was mir über ihn beigebracht wurde.“ Natürlich haben sie der großen Hoffnung nach den vielen Kirchenjahren nicht komplett abgeschworen. Er wisse schon, dass Gott ihr momentanes Leben wohl nicht gutheißen würde, sagt er widerwillig. Aber es gebe ja ein Zurück. Und mit gedämpfter Stimme, nebenbei: „Ich habe Gelähmte gesehen, die ihre Krücken zerbrochen haben. Ich habe Taube gesehen, die plötzlich wieder hören konnten. Seeing is believing.“

Keine Nihilisten, obwohl sich die Musik oft so anhört. Entweder hat der Teufel doch nicht alle guten Lieder, oder er hat den Kings ein paar zur Verfügung gestellt, um sie doch noch zu kriegen. Den Leuten, die sie als Rock-Sensation unter Vertrag genommen haben, wäre das vielleicht sogar lieber.

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