Warhols Kinder

Der erstaunliche Erfolg von Antony & The Johnsons

Bereits im Jahr 2003 stand Antony Hegarty erstmals auf deutschen Bühnen. Beziehungsweise: Die meiste Zeit saß er, weil er den ganzen Abend auf seinen großen Auftritt warten musste. Nach anderthalb Stunden rabenschwarzer Langeweile hatte Lou Reed meist ein Einsehen, legte sein Edgar-Allen-Poe-Buch beiseite und überließ seinem Freund aus dem samtenen New Yorker Untergrund einen seiner besten Songs: „Candy Says“. Und Antony erhob seine eh schon sehr hohe Stimme und rettete so für viele Besucher das Konzert. „I’m gonna watch the blue birds fly over my shoulder/ I’m gonna watch them pass me by/ Maybe when I’m older/ What do you think I’d see/ If I could walk away from me.“

Zwei Jahre später zierte eine Fotografie, die den tragischen Warhol-Superstar Candy Darling, für den Reed das Lied einst schrieb, auf dem Totenbett zeigt, das Cover von „I Am A Bird Now“. Auf diesem schon zweiten Album von Antony und seiner Begleitband The Johnsons war nun Lou Reed der Gastsänger. Auch Devendra Banhart, Boy George und Rufus Wainwright übernahmen Rollen in diesem Songzyklus, der vordergründig davon handelt, im falschen Körper geboren zu sein. Doch dass es hier um mehr geht, als um die Selbstverwirklichung eines New Yorker Künstlers, der gern Frauenkleider trägt, wurde Kritikern und Popfans ziemlich schnell klar. Fast ein bisschen unheimlich war zunächst der Erfolg von „I Am A Bird Now“, das von Freiheit und Selbstbestimmung handelte, von Schönheit und Hoffnung. Mit diesem Album warfen Antonv & The Johnsons in politisch dunklen Zeiten die große, Licht spendende Wunschmaschine namens Pop wieder an.

Paul McCartney, der dieses Maschinchen einst überhaupt erst in Gang gesetzt hatte, machte 2005 sein bestes Album der letzten 30 Jahre, „Chaos And Creation In The Backyard“. Radiohead-Produzent Nigel Gordich hatte den künstlerischen Ehrgeiz des Ex-Beatle neu entfacht, ihn zu mehr Sorgfalt beim Songwriting ermahnt und die zur Begleitung vorgesehene Tourband des Studios verwiesen, so dass McCartney alle Instrumente selbst spielen musste, so wie einst auf seinen solistischen Großtaten „McCartney“, „McCartney II“ und teilweise ja auch schon auf dem „Weißen Album“ der Beatles. Tocotronic kehrten nach dem Pop ihres weißen Albums auf „Pure Vernunft dar/niemals siegen“ zu puristischen Sounds zurück, die Texte ihres Sängers Dirk von Lowtzows wurden zugleich jedoch immer verrätselter.

Die Go-Betweens und die drei Damen von Sleater-Kinney, die Robert Forster und Grant McLennan 2000 bei ihrem Comeback zur Seite gestanden hatten, veröffentlichten 2005 fantastische Alben, die den Abschied schwer machten. Sleater-Kinney lösten sich nach dem von Dave Fridmann gewohnt übersteuert produzierten, unbehauenen, zeppelinesken „The Woods“, auf. Grant McLennan starb ein Jahr nach dem Erscheinen des sonnigen Pop-Meisterwerks „Oceans Apart“, auf dem er in „Boundary Rider“ die Geschichte seines größten Songs „Cattle And Cane“ wieder aufgenommen hatte, überraschend an einem Herzinfarkt. „And then the railroad, the railroad takes him home/ Through fields of cattle, through fields of cane.“

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