Was ist cool für meinen Kopf?

DER SCHEIN TRÜGT nicht. All die vielen Mädchen und Jungs mit den bunten Kopfhörern, die man seit einigen Jahren verstärkt im öffentlichen Raum sieht, sind zur fixen Größe in der Umsatzstatistik der Gerätehersteller geworden. In den USA gab es etwa zwischen 2009 und 2010 bei den Verkäufen einen Sprung um 30 Prozent. In Deutschland wiederum erzielten „kabelgebundene“ Kopfhörer in den ersten sechs Monaten 2011 gegenüber dem Vorjahr ein Umsatzplus von rund 23 Prozent. Tendenz weiterhin steigend. Es sind die mobilen Musik-oder Audiobook-Hörer, die eine neue, urbane Klientel bilden. Eine Zielgruppe, weitaus größer und vielschichtiger als die Walk-oder Discman-Nutzer vergangener Jahre.

Der Kopfhörer unserer Tage begann seinen Siegeszug als Technik-Gadget der Produzenten-und DJ-Kultur. Ein cooles Arbeitsgerät, das in Kombination mit der Plattenkiste gelegentlich im Außeneinsatz getragen wurde. Von hier aus mutierte der Kopfhörer zum stylishen Mode-Accessoire; wenn ihn Trendmenschen in U-und S-Bahnen oder auf Fahrrädern tragen. Ein Individualisierungsgerät, mit dem man entrückt durch den grauen Alltag laufen kann. „Und genau das finde ich eher merkwürdig. Dieses Sich-nachaußen-Abschotten erscheint mir ein Symptom unserer Zeit“, sagt Cheri MacNeil, besser bekannt unter ihrem Bandnamen Dear Reader. Die lässige Singer/Songwriterin aus Johannesburg lebt seit drei Jahren im Berliner Stadtteil Neukölln und gehört als klassische „bedroom producerin“ zur professionellen Kundschaft der Zunft. Gerade hat sie ihr neues Album „Rivona“ veröffentlicht, das zu weiten Teilen unter Kopfhörer-Einsatz in ihrem Schlafzimmer entstanden ist. Mit dem K140 der Wiener Elektroschmiede AKG nutzt sie seit Jahren ein Vintage-Modell aus den späten Siebzigern. „Für mich die perfekte Lösung. Ein halboffener Kopfhörer mit gutem Klang, den ich mir als Gebrauchtmodell leisten konnte“, sagt sie. „Ich kann allerdings nicht mit einem Gutachten dienen wie eine Weinkennerin für Audiotechnik. Bei mir beschränkt sich das auf ‚klingt gut‘ oder ‚weniger gut‘. Unterwegs höre ich keine Musik, außer beim Joggen meine eigens gemixte Ausdauer-Playlist“, erzählt sie lachend.

Mit dieser Nutzerpraxis steht Cheri MacNeil exemplarisch für eine wachsende (weibliche) Klientel, die sich nicht um Testergebnisse mit allerlei Kennzahlen schert. „Ich wollte sogar bis zu 500 Euro für ein neues Teil ausgeben. Mein Liebling war am Bügel gebrochen, zudem fiel immer ein Kanal aus“, erzählt sie. „Ich habe eine Millionen Reviews studiert und meine Studiokumpels befragt. Am Ende war ich so verwirrt, dass ich aufgegeben und das alte AKG-Teil mit Gaffertape geflickt habe.“ Individuelle Praxis-Anforderungen wie diese entscheiden heute über den Erfolg einzelner Modelle; das gilt gleichermaßen für Profis und Lifestyle-Nutzer. Es reicht jedenfalls nicht mehr, Oberstudienräte in gediegenen Hi-Fi-Fachgeschäften mit Hüllkurven und Sounddiagrammen zu beeindrucken. „Du musst glücklich mit so einem Ding sein. Gute Technik und Funktion verstehen sich da von selbst“, sagt MacNeil, die als Schreiberin für Filmscores (etwa für „Oh Boy“) auch die rein handwerkliche Seite von Song-und Klangdesign kennt. „Ich mag es halt nicht, wenn man beim Produzieren oder Musikhören komplett abgeschirmt ist“, so MacNeil.

Die größte Dynamik in der Produktentwicklung gibt es derzeit bei den „In-Ear“-Kopfhörern, die man in der Billigversion von MP3-Playern kennt. Sennheiser entwickelte etwa zur IFA 2012 mit dem IE 800 eine De-luxe-Variante, die es mit Bügelkopfhörern der Spitzenklasse aufnehmen können soll. Stolzer Preis: Rund 800 Euro. Ganz andere Wege beschreiten allerlei Designmarken, die sich gerne mit Superstars verbünden. Die Firma Monster bedient seit 2006 mit HipHop-Mogul Dr. Dre das coole Mittelklasse-Label Beats Audio. Hier gilt im Technosprech:“Ultimativer Hörgenuss dank aktivem Noise Cancelling.“

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