Wein mir einen Fluss, Charlie

Es geschah an einem ohnehin schon schicksalsschweren Tag, dem 31. Dezember 1999, dass eine Frau, die für ihre blonde Betonfrisur und das fehlerlose Vorlesen von Nachrichten berühmt ist, sich vom so genannten Bildschirm verabschiedete. Tiefbewegt sagte Dagmar Berghoff nach einer sehr kurzen Ausgabe der „Tagesschau“ die Sätze auf, die sie vorher auswendig gelernt hatte, das Lächeln verrutschte ins Entrückte, ja Unentschlossene, aber irgendwie auch Selige, und dann sagte sie, was man in Hamburg so sagt: „Tschüss.“ Aber nur „fürs Erste“ und „von diesem Platz“. An diesem subtilen Wortspiel hatte womöglich ihr Ehemann mitgewirkt, der nichts mehr zu tun hat im Leben und für den Daggi jetzt mehr Zeit aufbringen will. Ihre „Tagesschau“-Kollegen, ein erlesener Kreis von Geistesgrößen wie dem distinguiertenjo Brauner, dem doch nicht schwulen Jens Riewa und dem kecken womanker Jan Hofer, schenkten der Diva einen Roller, auf dem sie fortan betonblond und frischeversiegelt zum Bäcker rollen kann.

Ein weiteres Geschenk der „Tagesschau Allstars“, wie sie sich sehr zu Recht nennen, rollte ein paar Tage später an: der Smash-Hit „Miss You So (Dagmar B.)“, „mit den schönsten Versprechern aus der ,Tagesschau'“, auf welche die schönsten Sprecher aus der „Tagesschau“ immer besonders stolz sind, so als wären es die Gütesiegel im Ablese-Betrieb. Frau Berghoff war die so genannte Chef-Sprecherin im Club, Nachfolgerin der entschlafenen Ablese-Legende Werner Veigel, und veranstaltete als solche zum Abschied ein „Weihnachtsessen“, zu dem die ebenfalls betonblonde Eva Herman leider nicht erscheinen konnte. Dafür soll Jens Riewa dicker geworden sein, aber noch immer nicht schwul. Die Vorleser jedenfalls vermissen „Dagmar B.“, was ein bisschen so klingt wie die Leichen und ferbrecher ohne Nachnamen, die in der „Tagesschau“ vermeldet werden. Der eigentliche Hit ist aber nicht das bemüht lustige Sprechgesangs-Potpourri, ein Konglomerat aus Deutsch-Hip-Hop und, Jeannie“, das Dagmar B. in ihrer wunderbaren Sendung „Lieder des Nordens“ aufN3 schönreden könnte. Sondern „Abschiedsworte der Kollegen an Dagmar B. auf der Innenseite“. Dortselbst gesteht Jan Hofer: „Eigentlich war ich immer ein bisschen verliebt in sie. Bye-bye, permanent-love!“ Oder permanent make-up. Sabine Christiansen, die niemals zu den „Tagesschau Allstars“ gehörte: „Mit Dagmar kamen die Frauen in die Fernsehnachrichten. An eine liebe Freundin – deine Sabine.“ Von Betonblondine zu Betonblondine. Ulrich Wickert erinnert sich: „Mit Dagmar fühlte ich mich im Studio immer wie zu Hause.“ Die blondeste aller Blondinen, Eva Herman, komplimentiert: „Dagmar, du warst der schärfste Chef, den ich je hatte!“ Und sie hatte viele Chefs.

Auch Dagmar B. hatte so manchen Chef. „Bild“ enthüllte noch im Abschiedsjahr, wahrscheinlich auf Zuruf der Beteiligten, die frühe Liaison von Volker Rühe und Dagmar Berghoff. Der Harburger Lehrer, heute ein raunzender Quadratschädel, sei damals am Gymnasium sehr süß gewesen, so Dagmar B., ein fescher Bursche, ja „eine Mischung aus James Dean und Elvis Presley„. Und sie eine Mischung aus Marilyn Monroe und Brigitte Bardot Tasächlich ist Dagmar B. „ausgebildete Schauspielerin“, was in keinem Porträt unerwähnt bleibt, und durfte beim großen Dieter Wedel auch schon mal eine Rolle spielen. Dabei soll sie Wedels Besetzungscouch absolviert haben – wie noch jede Frau, die für den eingebildeten Meisterregisseur vor der Kamera stand.

Am Ende ihrer Tage in der „Tagesschau“ fuhr Dagmar B. unter Blaulicht und ohne Roller zum Hotel Atlantic, wo der Gemahl schon wartete. Dann stieg sie in ein Kleid. Dann war Finis.

Miss you so, Dagmar.

Andere Nervensägen bleiben – etwa die „Tatorte-Kommissare Manfred Krug und Charles Brauer, zwei in der Hansestadt Hamburg tätige Brummbären, deren Verhältnis offenbar an die berühmten Paare der Filmgeschichte erinnern soll: Laurel 8C Hardy, Pat 8C Patachon, Susi 8C Strolch. Die tapsigen Langweiler haben in einer „Tatort“-Folge mal ein sentimentales Liedchen angestimmt, wie man es von Krug noch aus DDR-Zeiten kennt Seitdem wird in jedes hanebüchene Drehbuch ein Duett eingebaut, das mal im Auto, mal in einer Kutsche angestimmt werden kann, nie jedoch direkt am Tatort. Krug und Brauer verlängerten ihren Einsatz sogar in die Wirklichkeit, wo sie in einer Reklame für „Telekom“ glaubhaft die gemütlichen Kneipengänger geben, die aber genau wissen, was mit der modernen Technik so abgeht Selbstverständlich gibt es die weinerlichen Gesänge nun auch auf CD, sie heißt „Tatort – Die Songs“, und darauf zu hören sind, ganz hanseatisch, „Somewhere Over The Rainbow“, „Sentimental Journey“ und „Kann denn Liebe Sünde sein“. Höhepunkt: „Cry Me A River“. Da kann man sich den „Tatort“-Dialog schön vorstellen. Brauer: „Tot Sie war erst 17. Hat als Freudenmädchen gearbeitet“ Krug: „Ein Jammer. Hat sie jemand gesehen?“ Brauer: „Du, guck mal, MannL Hier liegt ja noch das Spritzbesteck.“ Krug: „Wein mir einen Fluss, Charlie.“

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