Wer später stirbt, ist kürzer tot

Nicht bloß die Rolling Stones hören freiwillig niemals auf - es gibt ein Rentenproblem im Rock 'n' Roll

Je mehr die Rockmusik zur Gerontokratie wird, desto dringlicher werden die Fragen nach Erbfolge, Hierarchie und Rente. Auch in diesem Jahr diagnostizierte der 63-jährige Songschreiber Randy Newman auf der Bühne, keiner der zahllosen Musiker, keine der Bands des Rock’n’Roll würden jemals aufhören, sie alle seien noch da draußen. Natürlich sitzt Newman diesbezüglich im Glashaus, wenn ihm auf der Bühne eines Stuttgarter Festivals der 52-jährige Engländer Joe Jackson begegnet, der in den Achtzigern seine Momente hatte. Newman hatte in den Siebzigern einen Hit mit „Short People“, auch schrieb er „You Can Leave Your Hat On“, das in der Interpretation von Joe Cocker zu einem beliebten Stück wurde. Unerbittlich macht sich Newman über seine Schwerhörigkeit und Fehlsichtigkeit lustig – eine leichte Aufgabe für jemanden, der als Knabe für seine Brille verspottet wurde und der Lieder über Artisten mit Tanzbären, fette Jungs auf dem Rummelplatz, Kindesmörder, einsame Alte, zynische Millionäre, impotente Hinterwäldler, unglückliche Transsexuelle, spießige Ehepaare, rassistische Südstaatler und entseelte Angestellte verfasste. Mit „I’m Dead (But I Don’t Know It)“ hat er sich selbst einen vorläufigen Abgesang geschrieben, den er bei jedem Auftritt vorträgt. Das Publikum muss im Chor den Refrain wiederholen. Dieser seltsame Amerikaner wird in Würde alt, weil er nie jung sein wollte. Die Jahre kommen ihm entgegen, er ist noch nicht so alt wie die Figuren in „Ghosts“, „Old Man On The Farm“ oder „So Long, Dad“.

Keith Richards wählt einen anderen Weg, um die Merkwürdigkeit eines faltigen, ausgemergelten Rock-Gitarristen abzumildern: Er verwandelt sich unter aller Augen in einen veritablen Kauz, der schon mal von der Bibliotheksleiter oder von der Palme fällt, weshalb man dann froh sein muss, dass die Tournee doch wieder fortgesetzt wird. So wird man stets daran gemahnt, dass auch die Burschen von den Stones es wohl nicht mehr lange machen werden. Aber freiwillig werden sie nicht gehen. Onkel Keith ist halt ein bisschen sonderbar geworden – wie der Opa, dessen Anekdoten sich schon mal wiederholen und der öfter austreten muss. Doch Keith Richards soll ja Rost pinkeln.

Der – an den Rolling Stones gemessen – noch jugendliche Musiker Chris Rea hat in diesem Jahr seine letzte Tournee veranstaltet, weil ihn eine schwere Krankheit zur Einnahme diverser Medikamente zwingt. Rea mag auch keine Hotelzimmer mehr sehen. Er malt jetzt blaue Gitarren und schreibt mehr Lieder denn je. Seinen früheren Schlagzeuger hätte er beinahe nicht mehr erkannt – die beiden weinten beinahe, als sie einander wiedersahen.

In einer Branche, die den Libertines, den White Stripes, The Darkness und Tokio Hotel eigene Bücher widmet, ist das Bedenken des Alters ungefähr die letzte Gepflogenheit. Dennoch schießen die Alterswerke ins Kraut – Bob Dylan, Leonard Cohen, Donald Fagen gehen wacker voran.Denn künftig werden die Künstler nicht jäh aus dem Leben gerissen wie noch Kurt Cobain und Elliott Smith oder nach tapferen letzten Worten wie Ian Dury und Warren Zevon. Sie werden wirklich alt sein – so alt wie B.B. King, der zumindest behauptet, er habe nun, mit 80 Jahren, seine letzte Tournee beendet. Grienend hudelte er noch einmal auf seiner Gitarre Lucille, dabei auf einem Stuhl sitzend, ein Denkmal seiner Profession, fast 40 Jahre, nachdem ihn die Beatles in einem Song verewigt haben.

Derweil haben die Pixies, 1993 aufgelöst, wieder zusammengefunden – eine neue Platte soll 2007 erscheinen. Das absolute Paradox aber ist die sogenannte Boygroup Take That, die aus nahezu 40-jährigen Männern besteht, denen zu der alten Frage nichts Gescheites einfiel: What can a poor boy do ‚cep tplay in a rock & roll band?

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