Wie bei Keith im Keller

Das Meer rauscht, als könnte es kein Abwässerchen trüben, sozialverträgliche 20 Grad im Schatten verscheuchen auch die letzte November-Depression, und der Himmel über der Cala St. Vicenc ist meist beneidenswert ungetrübt Standesgemäßes Wetter über einem mehr als standesgemäßen Studio-Quartier. Die völlig umgekrempelten BAP haben die tristen Wintermonate Januar und Februar in Köln gelassen, um in einem Schlösschen an der Nordostküste Mallorcas ihr zweites gemeinsames Album „Äff im zo“ aufzunehmen.

„Majestät brauchen Sonne.“ Die Parole prangt in der Größe eines Stadion-Transparents über den Fenstern des opulenten Foyers, in dem das Mischpult, eine 24-Spur-Maschine und Batterien von Instrumenten residieren. „Idealer hätten wir es nicht treffen können“, schwärmt Wolfgang Niedecken. Angesichts der gängigen RTL2-Bilder vom südlichsten Bundesland sieht er sich trotzdem im Erklärungsnotstand: „Ich musste auch erst alle Ballermann-Klischees über Bord werfen.“ Ein Probe-Urlaub habe da Wunder gewirkt Außerdem: „Wir standen in der verregneten Eifel, und die Proben für das Album waren so schön, dass uns klar war: Das Ding können wir nicht in einem verregneten Keller im Ruhrgebiet aufnehmen.“

Weiterer Vorteil des InselStandorts: Karneval-Allergiker Niedecken musste am Rosenmontag keinen Narren sehen. Die kleine Bucht des heiligen St. Vizenz ist so weit entfernt vom Ballermann-Spaßterror wie Buster Keaton von Stefan Raab. Sogar das Großkapital ist hier feingeistig: Don Jaime, der Patron der Gegend, gefallt sich als Kunstmäzen und hatte nichts dagegen, dass in den mausetoten Reisemonaten eine Rockband das kleinste seiner Hotels unsicher macht. „Ursprünglich wollten wir den Speisesaal zum Studio umfunktionieren“, erzählt „Locke“, langjähriger Drum-Techniker bei Niedecken und Co. Die breiten Fensterfronten hätten aber bei jedem Schritt wie die Hölle geklappert.

Da wurde plötzlich aus einer Fata Morgana Wirklichkeit: Wenige Meter vom Hotel Niu entfernt thront ein leer stehendes Spuk-Schlösschen über der Bucht, in dem sich gerade Handwerker zu schaffen machen wollten. „Don Jaime wollte es umbauen. Ferienwohnungen oder so“, erinnert sich Niedecken. Der ungekrönte Inselfürst ließ sich schnell dafür begeistern, die Mini-Residenz kurzfristig zum Studio mutieren zu lassen. „Da innen eh alles umgemodelt werden sollte, hatten wir Narrenfreiheit, konnten bohren, dübeln und verlegen, wie wir wollten“, schwärmt Locke. Als der Sattelschlepper ausgeräumt und der Baumarkt in Pollenca geplündert war, hatten sich die feudalen Räume des „Ca’n Franc“ trotzdem nur unwesentlich verändert.

Alte Holzbalken, halbmeterdicke Natursteinmauern, gut fünf Meter hohe Decken und ein fast unanständig idyllischer Blick aufs Meer. Die Band spielt nur eine verglaste Holztür vom Mischpult entfernt. „Das könnte man nicht besser malen“, schwärmt Multi-Instrumentalist Jens Streifling.

Doch nicht nur das Auge spielt an der Cala Vicenc mit. „Das Schloss hat einen so perfekten Naturhall, dass wir fast umgefallen sind“, erzählt Streifling. „Die Gitarren-Amps klingen da ganz anders, fast wie bei Keith Richards im Keller, als die Stones ,Exik On Maine Street‘ aufnahmen.“ Das Ambiente macht Beine: Am 8. Januar landen die ersten BAP-Leute auf der Insel, am 15. sind schon Töne auf Band. Overdubs gibt es nur bei ein paar Gitarren und den Chören. Produzent ist die gesamte Band, der Komponist des jeweiligen Stücks – Helmut Krumminga, Streifling oder Niedecken – hat allerdings Veto-Recht. „Die Arbeitsweise hat uns zusammengeschweißt“, findet Streifling und berichtet von „unheimlichen Respekt voreinander“.

Es herrscht Ressortprinzip: Jeder hat die Oberhoheit auf seinem Gebiet und redet dem anderen nicht rein“, so Niedecken. „Wenn Helmut Gitarre spielt, sagt er, wann er zufrieden ist, und es gibt keine Quatschereien vom Produzenten.“ Wenn sieben Egos unter einen Hut zu bringen sind, wird es aber doch wenigstens zwischen den beiden Gitarristen mal krachen? Streifling sieht das locker: „Ich empfinde mich gar nicht als Gitarristen, spiele im Studio nur die Rhythmus-Parts.“ Selbst das sei früher ein Problem gewesen: „Major hatte den Standpunkt: Jch bin der Gitarrist, und du spielst im Studio gar nichts!'“

Wenn man bei der Studioarbeit zusieht, kommt man schon ins Staunen: Da verbinden sieben von Alter, Herkunft und Karriere sehr verschiedene Musiker Professionalität mit dem Enthusiasmus einer Schülerband. Jeder ist bei der Sache, manchmal bis fünf Uhr morgens. Selbst alte Rhythmus-Experten wie Drummer Jürgen Zöller oder Basser Werner Kopal bleiben am Wochenende bis in die Nacht neben den Reglern sitzen und verfolgen, wie Streuung, Krumminga, Keyboarder Michael Nass und Percussionistin Sheryl Hackett die Background-Chöre fabrizieren. Jeder zieht am gleichen Strang, keiner versucht den anderen auf der Überholspur abzuhängen“, schwärmt der 53-jährige Zöller. Er habe „so viel Spaß wie noch nie bei BAP“.

Der Unterschied zur Produienten-Ara Heuser/Wollrath ist greiibar. Auch Band-Boss Niedecken wirkt, als habe er gerade einen Eisernen Vorhang abgeschüttelt: „Ich bewundere seine Bissigkeit“, so Streifling. „Kaum war die ,Tonfilm‘-Tour vorbei, stand Wolfgang schon wieder auf der Matte: Jungs, wir müssen für die nächste Platte proben.“ Niedecken betont zwar, dass er vorhabe, nicht mehr über früher zu reden. Trotzdem spricht er davon, dass es „wie eine Befreiung ist, jetzt so arbeiten zu können, wie man sich das als Band vorstellt“. Jens Streifling wird über einer Tasse Kaffee schon deutlicher: „Bei den Aufnahmen zu, Comics &Pin-Ups‘ herrschte totales Wirrwarr im Studio: viele Mixer, keine Linie. Die Band war keine Einheit. Jetzt hört man eine durchgehende Note, die Stücke passen zusammen, der Sound fließt.“ Der 35jährige Sachse hält die frühen bis mittleren BAP-Besetzungen ohnehin nicht für die Erfinder des musikalischen Schießpulvers: „Das war doch Mumpfrock: breit und matschig.“

Um so etwas garantiert zu verhindern, sollte eigentlich Daniel Lanois an die Regler rücken. Wim Wenders, der BAP seit der „TbnfiW‘-‚Ibur mit der Kamera begleitet, hatte den Kontakt hergestellt. Niedecken: „Lanois hat sich unsere Sachen auch angehört, wollte aber nach anderthalb Jahren mit U2 lieber wieder an seinen Solo-Sachen arbeiten.“ Ein paar Tipps und etwas Trost hätte der Produzenten-Guru trotzdem parat gehabt: „Mick Jagger hatte sich auch gerade eine Absage eingehandelt.“

Dafür hat Wenders seinen Tour-Film „Vill passiert“ inzwischen derart ausziseliert, dass er die Premiere nicht etwa im Kölner Capitol, sondern im Februar auf der Berlinale anpeilt Aber reif für den „Buena Vista Social Club“ fühlt sich Niedecken trotz der inzwischen 50 Kerzen auf seinem Geburtstagskuchen nicht: „Morgens im Spiegel rasiere ich mich und keinen 50-Jährigen.“

Was auf der Insel dann schließlich reif wurde, ist vielleicht das beste BAP-Album seit „Zwesche Salzjebäck un Bier“. Das verdankt sich weniger der radiokompatiblen Hit-Single „Affunzo“, sondern den Stücken mit textlichem Tiefgang und Überlänge, die bei den alten BAP wohl Opfer der „Schere im Kopf* geworden wären, wie es Niedecken formuliert. Das zielt auf die Parole von der „internationalen Popmusik“, die sich Major lange Jahre auf die Produzentenfahne geschrieben hatte. Mit hannoveranischem Rock’n’Roll hat zum Beispiel das ad« Minuten lange „Chippendale Desch“ wenig zu tun. Niedecken erzählt darin die Lebensgeschichte seiner am 1. Juni 2000 gestorbener Mutter Eva.

Der Autor lächelt entspannt, während er über die Entstehung des Songs plaudert: „Alles andere als ein Trauerkloß-Lied. Dafiir war sie eine viel zu lustige Frau.“ So richtig bewusst scheint es ihm nicht zu sein, dass er damit das Pendant zu seinem unbeabsichtigten Gassenhauer „Verdamp lang her“ geschrieben hat. Genau wie die Akustik-Ballade „Istanbul“, deren bitterer Text von einigen alten Bekannten aus dem Musikgeschäft handelt, stark an „Wellenreiter“ erinnert. Allzu bohrende Nachfragen wehrt Niedecken ab: „Namen will ich da nicht nennen, dann werden nur alte Geschichten wieder hoch gekocht. Außerdem bin ich selber auch gemeint.“

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