Wild und unschuldig

Mit einem überwältigenden Konzert beenden The Wrens ihren Triumphzug durchs Popkönigreich. Nun kommen die vier aus New Jersey bald zu uns

ULU, LONDON: Wenn man aus New Jersey kommt, hat man’s nicht immer leicht. Man bleibt sein Leben lang ein Provinzling. Es gibt nur wenige von dort, die wirklich groß rausgekommen sind. Natürlich der reiche Mann im Arbeiterhemd, bei dessen Konzerten man – seit er Folksongs spielt – so mucksmäuschenstill sein muß wie in der Bibliothek des verkniffenen Oberlehrers Pete Seeger. In New York sagen sogar manche, die aus New Jersey seien ein bißchen dumm. „We’re from fucking New Jersey“, begrüßt Kevin Whelan das Publikum an diesem Abend angemessen prollig, nachdem er seinen Kenny-aus-Southpark-Kapuzenanorak in die Ecke geworten hat. Nicht unbedingt ein guter Einstieg, wenn man an der Uni in London spielt. Dazu kommt noch, daß vier Mittdreißiger, die äußerlich an (von links nach rechts) Daryl Hall, Robin Williams, Adam Yauch und Balou den Bären (hinten) erinnern, nicht unbedingt den Eindruck vermitteln, man könne gleich die Rockshow des Jahrzehnts erwarten. Zumal der erste Song ihres Sets „I Guess We’re Done“ heißt.

Wie man sich doch täuschen kann. Die Wrens lassen vom ersten Akkord an eine Energie frei, die das gesamte Auditorium erstmal einen Schritt zurücktreten läßt. Das erinnert tatsächlich an Springsteen 1975 im „Hammersmith Odeon“. Nach den überdrehten „Per Second Second“ und „Everyone Chooses Sides“ folgt der Showstopper „The House That Guilt Built“: „It’s been so long since you’ve heard from me/ Got a wife and kid that I never see/ And I’m nowhere near what I dreamed I’d be/ I can’t believe what life has done to me.“

Anderthalb Minuten später steht das Haus Kopf. Ein Dutzend Fans steht und kniet plötzlich mit Rasseln in den Händen auf der Bühne und swingt in „Happy“, einen der größten Songs auf dem überhaupt sehr großen „The Meadow lands“, ein. Ein Moment so unschuldig und mitreißend, daß mir die Tränen in die Augen und der Rock’n’Roll in Kopf und Beine steigen. Das ist mir, glaube ich, in dieser Form das letzte Mal 1995 auf einer Oberstufenparty passiert.

Dann geht’s Schlag auf Schlag, „Fast er Gun“ (inklusive Whelan-Sprung vom zwei Meter hohen Verstärkerturm), „Boys You Won’t Remember“, „Hopeless“ – immer weiter rein in den Rausch, in dem einen nichts mehr peinlich ist, sich wildfremde Leute verschwitzt, glücklich und erschöpft in die Arme fallen. Da stört es nicht einmal, daß die Wrens ihren schönsten Song, „She Sends Kisses“. nicht spielen. Als Zugabe folgerichtig „This Boy Is Exhausted“. „I’m way past College/ No ways out, no back doors not anymore/ But then once a while we’ll play a show then that makes it worthwhile“. Ganz genau. Und ich schwöre, am Ende haben mehrere junge Menschen „We love New Jersey!“ gerufen.

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