Wir Kinder vom Bahnhof Rock

Irisch, jung, wild: The Strypes befeuern die Rockmusik der Sechziger mit neuer Energie

Die sehen so aus, als seien sie direkt aus dem Jahr 1965 auf die Bühne gestolpert. Die vier jungen Iren mögen hier im New Yorker Ed Sullivan Theater gelandet sein, scheinen aber eigentlich aus dem London der „Blues Explosion“ zu stammen – aus der Ära der Who, der Small Faces und der frühen, noch pausbäckigen Rolling Stones. The Strypes -Gitarrist Josh McClorey und Bassist Pete O’Hanlon (beide 18), Drummer Evan Walsh (17) und Sänger Ross Farrelly (16) – proben für einen Auftritt in der David-Letterman-Show, haben aber schon am Nachmittag ihre Kampfmontur angelegt: enge Jacketts, Röhrenhosen und -Walsh ausgenommen -eine Haar-Gardine, die bis über die Augen reicht. Der Schlagzeuger, ein lausbubiger Dynamo mit hellen Locken, gemahnt eher an Keith Moon, der sich gerade bei der Jimi Hendrix Experience bewirbt.

Die Strypes fegen durch „What A Shame“, einen zweiminütigen Tornado von ihrem Debütalbum „Snapshot“, der mit pophistorischen Referenzen nur so zugepflastert ist: Wir hören den Furor der frühen Chess-Singles, wir hören die instrumentalen Freakouts der Yardbirds, wir hören die martialische Unerbittlichkeit der Ramones. (Durchaus zu Recht nennt Farrelly ihre Musik „Speed Blues“.)

Sid McGinnis, der Gitarrist von Lettermans Haus-Band, formt seine Lippen zu einem „Oh, my God!“, starrt ungläubig auf die Bühne und geht anschließend zu O’Hanlon, um sich die Attack-Einstellung auf seinem Bass erklären zu lassen. Als sie am Abend live vor Publikum spielen, kommt Letterman hinter seinem Schreibtisch hervor und kriegt sich gar nicht mehr ein: „How about that? Yeah! Fantastic! Way to go!“ Die Strypes quälen sich gerade mal ein müdes Grinsen ab. Sie sind diese Reaktion bereits gewohnt.

Die Band, in einem nordirischen Kaff namens Cavan zu Hause, hat ein ganzes Heer prominenter Bewunderer – darunter Jeff Beck, Roger Daltrey, Paul Weller und Noel Gallagher -, seit sie 2012 eine hausgemachte EP mit Bo-Diddley-, Slim-Harpo-und Motown-Coverversionen auf iTunes veröffentlichte. Beck nahm sie in Empfang, als sie 2012 ihren ersten Trip nach London machten. Studio-Legende Chris Thomas (der als Toningenieur für die Beatles und als Produzent für die Sex Pistols arbeitete) kam noch einmal aus dem Ruhestand, um sich als Berater bei „Snapshot“ einzubringen. Elton John war von ihrem Video zu Bo Diddleys „You Can’t Judge A Book By The Cover“ so elektrisiert, dass er sie gleich für seine Managementfirma Rocket Music unter Vertrag nahm. „Ich flippte total aus“, so John. „Ich konnte einfach nicht glauben, wie jung sie waren. Sie schienen von einem anderen Planeten zu kommen.“

Ihr frühreife Aneignung des britischen R&B und seiner schwarzen amerikanischen Wurzeln hat sogar schon Auswirkungen auf die demografische Zusammensetzung ihres Publikums. „Snapshot“ (mit Eigenkompositionen von Mc-Clorey und dem Rest der Band) war in England ein Top-fünf-Hit -und ihre Shows in Irland und England lösen inzwischen eine Manie aus, die man gewöhnlich nur von Boybands kennt. „Die ersten Reihen werden jünger und jünger“, sagt Chris Difford von der Band Squeeze, der als Berater und Produzent der Iren fungiert. „Man hat fast den Eindruck, als würde das Publikum diese Art von Musik zum ersten Mal hören -was vermutlich tatsächlich der Fall ist.“

Eine frühe Version der Band, von Walsh, O’Hanlon und McClorey gegründet, spielte ihren ersten Gig 2007 in der Grundschule der drei Freunde. (Walsh war elf!) Nachdem Farrelly 2011 dazugestoßen war, absolvierten die Strypes 200 Shows in einem Jahr -genug, um ihre Eltern davon zu überzeugen, dass eine konventionelle Schullauf bahn nicht mehr infrage kam. „Sie hingen in London mit Leuten wie Jeff Beck ab, um Montag früh wieder in der Klasse zu sitzen und sich mit Mathe rumzuschlagen“, sagt Niall Walsh, Evans 53-jähriger Vater, der als ihr erster Manager fungierte und noch heute als Mädchen für alles mit auf Tour geht. „Alle Eltern kamen zu der Überzeugung, dass wir -wenn wir die Jungs schon spielen lassen -ihnen dann auch alle Hindernisse aus dem Weg räumen sollten.“

Fragen nach ihrem Alter und den musikalischen Vorbildern beantworten sie stets höflich (und mit einem unüberhörbaren Dialekt), aber ohne jegliche Kompromissbereitschaft: „Die Leute behaupten, dass wir diese älteren Bands nachäffen würden“, sagt O’Hanlon später bei einer Cola im Band-Hotel. „Ich hab auf meinem Bass nicht die gleichen Einstellungen wie John Entwistle, Josh hat nicht den gleichen Gitarrenton wie Jimmy Page. Wenn wir Musik machen, ist es unser ureigener Stil.“ Er vergleicht -kein Scherz -die Strypes mit „einem Bund Möhren. Die Zusammenstellung der Möhren ist immer eine andere. Sie ist nie völlig neu, aber sie ist immer anders.“

„Die ersten drei Alben der Black Keys waren doch auch purer Blues“, sagt Farrelly, der ohne die Mod-Sonnenbrille und aus der Nähe so jung aussieht, wie er tatsächlich ist. „Niemand hat sie gefragt:,Warum spielt ihr Musik, die schon vor eurer Geburt gespielt wurde?‘ All die Bands, die wir mögen -die Small Faces, The Jam – waren auch erst 16 oder 17, als sie anfingen. Wenn man erst einmal in der Lage ist, gute, vernünftige Musik zu machen, sollte das Alter keine Rolle mehr spielen.“

Walsh macht aus seinem Desinteresse an modernem Pop und HipHop keinen Hehl: „Ich kann damit einfach nichts anfangen“, sagt er, „es bedeutet mir rein gar nichts.“ Stattdessen erzählt er von der ersten Begegnung mit den Kinks und Chuck Berry, die er über die Plattensammlung seines Vaters kennenlernte. Die weiterführende Entdeckung der Animals, der frühen, blueslastigen Fleetwood Mac und der Pubrock-Helden Dr. Feelgood waren „das Tor zu der rohen Emotion“ der amerikanischen Blues-und R&B-Pioniere wie Johnny Otis, Elmore James und The Coasters.

Zumindest in einem Punkt sind die Strypes aber genauso veranlagt wie der Rest ihrer Generation: Sie betrieben ihre Nachforschungen online, sahen sich Clips auf YouTube an und lasen Band-Bios auf Wikipedia. „Wir schauten uns Beatles-und Stones-Videos an“, so McClorey, „und wurden in dem Kasten mit ähnlichen Empfehlungen auf die Yardbirds aufmerksam. Wir schlossen die Yardbirds ins Herz und entdeckten dann auf der Rückseite ihres Covers den Namen Howlin‘ Wolf -und so ging’s immer weiter.“

Walsh kann nachvollziehen, dass „die Leute aus unserem Alter den großen Bohei machen“, verweist aber auch darauf, dass die Strypes eigentlich nur „die naheliegendste Sache der Welt“ machten: „Männliche Teenager gründen nun mal Bands.“

„Sie tauchte vor eineinhalb Jahren auf“, sagt Walsh und zeigt auf eine hässliche Beule an der linken Hand, direkt zwischen Daumen und Zeigefinger. „Sie stört mich eigentlich nicht im Alltag, aber verdammt empfindlich ist die Stelle schon.“

Als sie drei Tage zuvor in Toronto spielten, habe er einen Knacks gehört und dann gesehen, wie „sich ein dicker Knubbel bildete“, direkt unter dem Knöchel. „Wir hielten noch 40 Minuten durch. Angesichts der Schmerzen spielte ich sogar noch schneller als gewöhnlich -einfach, um fertig zu werden.“ Nach dem Gig verkündete ihm ein Arzt, dass sein Gelenk ausgekugelt sei. Und in der rechten Hand habe er ebenfalls eine Sehnenentzündung. Es war der Preis, den er für sein langjähriges Maschinengewehr-Schlagzeugspiel zahlt: Walsh trommelt bereits seit seinem dritten Lebensjahr.

„Es ist natürlich ein Anlass zur Sorge“, sagt Vater Walsh, der als Physiotherapeut arbeitete, bevor er sich auf die Band seines Sohnes konzentrierte. „Es ist einfach das Resultat ihres mörderischen Arbeitspensums. Es gibt nie Zeit zum Ausruhen.“ Er fragt sich allerdings auch, ob das Problem mit der Hand „durch einen unglaublichen Wachstumsschub ausgelöst wurde. Leute, die ihn seit Januar – als wir zum letzten Mal in Amerika waren -nicht mehr gesehen haben, fragen:,Was ist denn mit dir passiert?‘ Mir fällt es nur an seinen Jeans auf: Der Saum sitzt nun über dem Schaft seiner Stiefel.“

Man vergisst allzu schnell, dass die Strypes fast noch Kinder sind. Niemand von ihnen raucht, keiner hat bislang eine feste Freundin. McClorey, der Älteste, trinkt dann und wann ein Glas Bier. Und was Drogen angeht: Am Abend vor der Letterman-Show wurde Walsh und O’Hanlon Koks angeboten, als sie in New York über die Straße gingen. „Für mich ist das Zeug für’n Arsch“, meint der Drummer. „Hab absolut keinen Bock darauf.“

In ihrem Heimatort Cavan leben Walsh, O’Hanlon und McClorey noch immer bei ihren Eltern. Als ich ihn frage, was der schwierigste Aspekt des Tournee-Lebens sei, antwortet der Gitarrist wie aus der Pistole geschossen: „Ich vermisse meine Eltern.“ Farrelly kommt aus Killeshandra, einem Dorf in der Nähe. Seine Mutter muss ihn noch immer zu den Proben fahren, die in Walshs Schlafzimmer stattfinden -dort, wo die Strypes auch gegründet wurden.

Die Eltern sind praktisch ebenfalls eine Band: In den Achtzigern spielte Niall Walsh bei einer Gruppe namens Fireflys, die ein paar Singles aufnahmen und einmal im Vorprogramm des Tom Tom Club auftreten durften. Tommy McClorey fungiert als Fahrer für das Krankenhaus, wo Niall früher arbeitete, und war nebenher Roadie der Fireflys. Er sang auch mit Farrellys Mutter in einer Pub-Band. Niall und O’Hanlons Vater Peter, ein Lehrer und Bleiglas-Künstler, waren einst Klassenkameraden.

Evan, Pete und Josh wuchsen zusammen auf und hingen nach der Schule in Evans Schlafzimmer ab. Sie machten zusammen Amateurfilme, kreierten fiktive Episoden der Fernsehserie „Doctor Who“ und stellten die Videos dann auf YouTube. Musik war in Evans Elternhaus allgegenwärtig. „Mein größter Einfluss war Niall“, sagt McClorey. „Als ich vier, fünf Jahre alt war, hörte ich dort ständig die Beatles und Stones.“ Nialls Frau Ann erwies sich ebenfalls als unschätzbare Hilfe. „Sie hat ein unglaubliches Musikwissen“, so Niall. „Wir nennen sie ,Google‘. Wenn man irgendwas wissen will, braucht man nur sie zu fragen.“

Die Band kommt ohne Leittier oder Sprachrohr aus. McClorey fing mit dem Songschreiben an, nachdem die Band 2011 ihren ersten Auftritt in Dublin hatte. Auf der Rückfahrt nach Cavan kam ihm die Idee zu „She’s So Fine“, das von einem Muhammad-Ali-Poster in seinem Schlafzimmer inspiriert wurde. (Der Text greift den Ali-Slogan „Float like a butterfly, sting like a bee“ auf und verkehrt ihn ins Gegenteil.) McClorey ist auch das einzige Bandmitglied, das HipHop hört – und „What A Shame“ schrieb, als er Jay Zs Rap-Flow auf „Dirt Off Your Shoulder“ zu dechiffrieren versuchte.

„Aber Evan ist derjenige, der uns wirklich zur Musik brachte“, betont Farrelly. „Er lebt Musik mit Haut und Haaren. Als wir anfingen, wählte jeder von uns ein paar Songs aus, die wir uns draufschaffen wollten. Seine Songs waren die, die am Ende Bestand hatten, weil’s einfach die besten waren.“ McClorey stimmt zu: „Evan ist ein Dickschädel. Er hat uns auf Kurs gehalten.“

Im Lauf der nächsten Stunde taut Walsh sichtlich auf, als er über Bo-Diddley-B-Seiten oder Chuck-Berry-Raritäten dozieren kann – und natürlich auch weiß, wer der Sänger des Originals von „Some Other Guy“ war, das die Beatles zu ihren Cavern-Club-Zeiten coverten. (Richtige Antwort: Richard Barrett.)“Er war schon immer auf diesem Trip“, sagt sein Vater und erzählt von einem Amateur-Video, das Evan im Alter von sieben Jahren zeigt. „Er interviewt seine Schwester Becky über ihr neues Album: ,Hast du denn schon eine Akustik-Version in Betracht gezogen?‘ Er hörte überhaupt nicht mehr mit den Fragen auf.“ Niall lacht. „Und sie war damals erst vier Jahre alt.“

Seine Verbissenheit war der Motor, um die Proben -die oft von 13 Uhr bis nach Mitternacht gingen -auch eisern durchzuziehen. „Wir hatten konkrete Vorstellungen“, so Evan. „Wir wollten ein Repertoire auf bauen -und zogen den Plan konsequent durch.“ Walsh nennt den „frühen“ Elvis Costello und dessen Attractions als Vorbild, da sie „die Songs einfach in ihre Bestandteile zerlegten. Das gefiel uns: Mach so viel Lärm, wie’s nur geht – und spiel so schnell, wie du nur kannst.“

Und genau auf diese Weise nahmen sie denn auch „Snapshot“ auf -„so spontan und direkt, wie’s nur irgendwie ging“, erklärt Walsh. „In den meisten Fällen blieb’s beim ersten oder zweiten Take.“ Seine Vorstellung fürs kommende Album, das man gerade mit Difford in Dublin in Angriff genommen hat: „Mehr davon, aber lauter.“

„Die Strypes“, glaubt Elton John, „haben als Songschreiber gerade erst an der Oberfläche ihrer Talente gekratzt. Ich werde mit großer Neugier verfolgen, ob sie sich analog zu Mick & Keith bei den Stones entwickeln werden -ob sie diese R&Bund Blues-Elemente in kommerziell orientierten Rock verpacken können. Es ist alles eine Frage der Erfahrung. Und sie sind erst seit eineinhalb Jahren in diesem Geschäft.“

Difford ist der Überzeugung, dass sich der Fortschritt auf organische Weise einstellen wird. „Evan ist der beinharte Rhythm-&-Blues-Freak, während Josh für alles offen ist – von den Arctic Monkeys bis zu Big Bill Broonzy. Als Basis einer Band ist das nicht das Schlechteste.“

„Der Druck ist jedenfalls da“, räumt O’Hanlon ein, „aber irgendwie ist es auch ein angenehmer Druck. Wir haben uns auf gut Glück auf den Weg gemacht und sind verdammt weit gekommen. Jetzt marschieren wir weiter. Behalten einen klaren Kopf. Und bemühen uns, nicht wie Arschlöcher rüberzukommen.“

„Wir kennen uns nun schon so lange“, fügt er verschmitzt hinzu. „Wir können uns doch jetzt nicht einfach so auflösen.“

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