Wir sind Serge, wer bist du?

Der große Chansonnier, Komponist, Lüstling und Knallkopf Serge Gainsbourg verstand sich allerbestens mit seinem bösen Ich. Nun kommt sein Leben in die deutschen Kinos – als bizarres Schauermärchen mit Sex und Musik. Von Jürgen Ziemer

Selten rauchte er weniger als fünf Päckchen Gitanes am Tag, und er war ein Genie. 1958 schrieb der Dichter Boris Vian über das Debütalbum von Serge Gainsbourg: „Ihr seid verdammte Narren, wenn ihr, Du Chant À La Une!‘ nicht kauft.“ Doch der Appell half wenig, und dem Songschreiber mit den abstehenden Ohren blieb nichts anderes übrig, als weiter in den Clubs des Pariser Rive Gauche andere Sänger am Klavier zu begleiten. Die Presse mochte ihn nicht, sein Blick auf die Welt sah wenig Erfreuliches. In „Le Poinçonneur Des Lilas“ zum Beispiel schilderte Gainsbourg das Schicksal eines ticketknipsenden U-Bahnbeamten: „Ich mach Löcher, kleine Löcher“, lautet dessen Mantra, und im schnellen Rhythmus des jazzigen Chansons hört man das Räderwerk-Rattern eines ausweglosen Lebens sowie die hektische Monotonie der Bahnstation. Die Löcher in den Fahrkarten wecken im Kopf des poinçonneur die Sehnsucht nach dem Ende, dem letzten großen Loch in der Erde: „Wo niemand mehr von Löchern spricht“. Gainsbourg hatte vor dem Schreiben des Songs einen Metroangestellten gefragt „Woran denken Sie den ganzen Tag?“ Die Antwort: „An den Himmel, Monsieur.“ Ob er es selbst in den Himmel geschafft hat? Hier gehen die Meinungen auseinander, denn der Mann war sein Leben lang eine schreibende, singende, schauspielernde und inszenierende Kontroverse. Manche würden sagen: ein Arschloch, wenn auch ein charmantes.

Doch als der Träger des Ordens „Croix d’Officier dans l’ordre des Arts et des Lettres“ am 2. März 1991 im Alter von 62 Jahren starb, herrschte in Paris ehrliche Trauer und Betroffenheit. Auf den Straßen um Gainsbourgs Wohnung in der Rue de Verneuil gab es Szenen wie seinerzeit am Dakota Building nach den Todesschüssen auf John Lennon. Im Radio liefen ausschließlich Gainsbourgs Chansons, und Präsident Mitterand stellte in einem Nachruf fest: „Durch seine Liebe zur Sprache und sein musikalisches Genie hat er das Chanson auf die Stufe der Kunst erhoben und so die Sensibilität einer Generation dokumentiert.“

In Deutschland, wo man die virtuose Sprache des Poeten nicht verstand, wurde nur ein einziger Gainsbourg-Song zum Hit – „Je T’Aime … Moi Non Plus“. Dessen schlüpfrig gestreichelte Orgel und der viril pumpende Bass nahmen Airs Raumfahrt-Chill-out „Moon Safari“ um Jahrzehnte vorweg.Die fast liturgische Melodie ist von einer slicken Eleganz, und der gar nicht so schweinische, eher surreale Text von Salvador Dalí inspiriert. Doch alles, was die Leute interessierte, war das verzückte, minutenlange Stöhnen der Schauspielerin Jane Birkin und das verlangende Brummeln ihres Lebens-partners Serge Gainsbourg. „Eine beschämende Obszönität“, wetterte die Vatikanzeitung „L’Osservatore Romano“. „Ein Welthit!“ antworteten die internationalen Charts.

Spätestens von da an spielte Gainsbourg in den Medien die Rolle des verkommenen Lüstlings vom Dienst. Ein Mann, der die Frauen liebte. Ein Franzose durch und durch, ein Querkopf, der immer wieder aneckte und es sich leisten konnte, weil seine Kunst so außergewöhnlich war. Eine französische Institution – doch im Rest der Welt interessierten sich für den literarischen Songschreiber hauptsächlich die Intellektuellen und Pop-Hipster späterer Jahrzehnte.

Das Leben des Monsieur Gainsbourg ist eine traumhafte Filmvorlage – aber zu schade für die Faktenhuberei eines gewöhnlichen Bio-Pics. Das dachten sich auch die Produzenten Marc du Pontavice und Didier Lupfer, als sie den am 14. Oktober in Deutschland startenden Film „Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte“ keinem erfahrenen Regieprofi anvertrauten, sondern Joann Sfar, der es als ideenreicher Zeichner von Comics wie „Die Katze des Rabbiners“ zum Kultstatus gebracht hat. Für seinen ersten Spielfilm hatte sich der 39-Jährige klare Ziele gesteckt: „Ich wollte nicht hingehen und in Gainsbourgs Privatleben herumschnüffeln, um herauszufinden, wer er wirklich war“, sagt er beim Interview in Paris. „Ich wollte, dass dieser Film die Energie eines Sergio-Leo-ne-Westerns hat und so viel Eleganz wie ein Fred-Astaire-Film.“

Zunächst wollte Sfar dieses Ziel mit einer außergewöhnlichen Besetzung der Hauptrolle erreichen. Die Schauspielerin und Sängerin Charlotte Gainsbourg sollte ihren eigenen Vater spielen. „Wir haben sechs Monate lang zusammen gearbeitet, als sie plötzlich alles abbrach und sagte, es sei zu schmerzhaft“, erzählt der Regisseur. Sfar hatte dann in einer aufwändigen Recherche alles zusammengetragen, was Gainsbourg je in der Öffentlichkeit gesagt hatte, um aus den Zitaten eine Art posthume Autobiografie zu formen. Dabei kam einiges zusammen, denn wie Andy Warhol liebte auch Serge Gainsbourg ein Leben in den Medien: Er pöbelte in Talkshows, wurde sentimental in Interviews, und Frauen wie Brigitte Bardot und Jane Birkin garantierten ihm eine hohe Präsenz in der Klatschpresse. Im Film lässt Sfar den exhibitionistischen, aber dennoch scheuen Eigenbrötler durch das Labyrinth seiner eigenen Fantasien krabbeln und kreiert auf diese Weise ein surreales Märchen. „Es ist, als wäre ich diesem Typen um vier Uhr morgens in einem Nachtclub begegnet. Er erzählt mir von seinem Leben, aber weil er total betrunken ist, erinnert er sich nur noch an die Hälfte. Wenn ich Gainsbourgs Kindheit zeige, ist das die Kindheit eines alten Mannes, der viele Details vergessen hat und deshalb die Dinge anders wertet und gewichtet.“

Und so beginnt „Gainsbourg“ dann auch mit den sehr komischen Erlebnissen eines ausgesprochen altklugen Kindes namens Lucien Ginsburg – bezaubernd gespielt von Kacey Mottet Klein. Der Sohn des aus Russland eingewanderten jüdischen Pianisten Joseph Ginsburg und seiner Frau Oletchka besucht schon früh die Kunstschule. Im Alter von zehn Jahren erhält Lucien von der Polizei einen gelben Judenstern, den er trotzig wie einen Sheriffstern trägt. Regisseur Sfar legt seinem Helden den schönen antifaschistischen Satz in den Mund: „Oh nein, Monsieur, das ist nicht mein Stern, das ist Ihrer!“

Die Kinder in Luciens Klasse tuscheln über ihn, weil er exakt so aussieht wie die fiese Karikatur eines Juden, die überall auf Plakatwänden angeschlagen ist. Als sich der kleine Ginsburg selbst auf einem der antisemitischen Bildern zu erkennen glaubt, wird die kartoffelköpfige Gestalt per Filmtrick lebendig und folgt Lucien wie ein fettes Riesenbaby.

Die Mittel, mit denen Sfar seine Geschichte erzählt, sind außergewöhnlich. Eine seiner Bedingungen an die Produzenten war die Zusammenarbeit mit DDT, dem spanischen Special-Effects-Team, das auch „Pans Labyrinth“ ausgestattet hat. „Ich wollte ein Puppenspieler-Element in meinem Film, eine visuelle Kraft, wie man sie aus expressionistischen Stummfilmen kennt oder vom Schwarzen Theater in Prag“, betont Sfar. Die Episode mit dem anhänglichen jüdischen Kartoffelkopfmonster ist dabei nur ein kurzes Intermezzo im Rahmen der kindlichen Vorgeschichte. Doch wenn der vor allem als Theaterschauspieler bekannte Éric Elmosnino die Rolle des erwachsenen Serge Gainsbourg übernimmt, stellt ihm der Regisseur ein bizarres Alter Ego zur Seite: eine groteske Gestalt, die aussieht wie Murnaus „Nosferatu“. Doug Jones – der Pan aus „Pans Labyrinth“ – spielt diese dunkle, aggressive Seite von Gainsbourg, versteckt hinter Maske und Prothesen. Er ist der risikofreudige „Monsieur Hyde“ zu Elmosninos freundlich-zögerlichem „Docteur Jeckyll“. Das funktioniert als erzählerisches Stilmittel sehr gut, vermittelt aber leider ein falsches Bild des echten Gainsbourg, der immer beides gleichzeitig war – liebenswerter Kerl und gemeiner Stinkstiefel.

Noch vor der Veröffentlichung seines von Jazz und Existenzialismus durchdrungenen 1958er-Debüts „Du Chant À La Une!“ ändert Lucien Ginsburg seinen Namen in Serge Gainsbourg: „Ich habe mich damit nie wohl gefühlt“, sagt er später in einem Interview. Vor allem der Vorname Lucien stört ihn: „So heißen Friseure.“ In „Serge“ dagegen schwingt das russische Erbe mit, der Geist Tolstois.

Doch auch der neue Name ändert nichts am weiterhin schleppenden Verlauf der Karriere. Gainsbourg versucht es mit Auftragsarbeiten für prominentere Kollegen. Ausgerechnet Juliette Gréco, eine Ikone des anspruchsvollen Chansons, zeigt schon bald Interesse. Doch das erste Treffen mit der Muse der Existenzialisten ist ein Desaster: Der Songschreiber ist so nervös, dass er ein Glas Whisky vom Tisch stößt. Als er die Scherben einsammelt, steht die Gréco vor ihm – im Film sehr überzeugend verkörpert von Anna Mouglalis. Gainsbourg flüchtet ans Piano, doch alles, was ihm einfällt, ist ein Chanson von Charles Aznavour. „Wenn ich etwas von Aznavour hören wollte, hätte ich nicht nach Gainsbourg geschickt“, kommentiert die Gréco spöttisch. Doch dann spielt Serge sein „La Javanaise“, und es ist der Beginn einer langen Freundschaft.

Die EP „Juliette Gréco Chante Serge Gainsbourg“ sorgt für einen Popularitätsschub. Einige von Gainsbourgs Chansons sind sogar ausgesprochen erfolgreich – zumindest wenn sie von Größen wie Yves Montand, Petula Clark oder Brigitte Bardot gesungen werden. Doch um den breiten Mainstream zu begeistern, sind die Texte einfach zu literarisch, oft auch zu zynisch, obszön und hart. In „En Relisant Ta Lettre“ liest der Protagonist nach dem Selbstmord seiner Geliebten ihren Abschiedsbrief und korrigiert dabei die Grammatik- und Schreibfehler. In die Charts kommt man mit solchen Themen nicht.

Mit „Gainsbourg Percussions“ gelingt dem Vielarbeiter 1964 eins seiner innovativsten Alben. Der Abstecher in eine frei erfundene Weltmusik stellt Percussion-Instrumente, afrikanische Rhythmen und exotische Frauenchöre in den Mittelpunkt und ist dabei durchdrungen von einer sinnlichen Sehnsucht nach den Tropen. Das ansteckende Gelächter, das auf „Pauvre Lola“ zu hören ist, stammt von France Gall, jenem kniestrümpfigen Backfisch, der Gainsbourg ein Jahr später den ersten kommerziellen Triumph bescheren sollte.

Joann Sfars Film hat nicht die Zeit, sich auf musikalische Details einzulassen. Doch die erste Begegnung von Monsieur Gainsbourg mit der knapp 18-jährigen France Gall – weiße Spangenschuhe, weiße Kniestrümpfe, weißes Minikleid – ist ein echter Höhepunkt, der damit endet, dass das kleine Mondgesicht aus voller Kehle ihren späteren Hit „Baby Pop“ plärrt. Mit Gainsbourgs „Poupée De Cire, Poupée De Son“ wird France Gall 1965 sogar den Grand Prix D’Eurovison gewinnen und Gainsbourg wird dank ihr der graumelierte Pate des Yéyé, einer tüchtig gezuckerten Variante der britischen Beat-Explosion. Eine Kosmetikfirma fragt sogar um Erlaubnis für eine Linie mit „Baby Pop“-Produkten. Und Frankreich liebt bis heute die Figur der Pop-Lolita.

Der fast 40-jährige Gainsbourg lebt nun in einem goldenen Dreieck aus Alkohol, Gitanes und Mädchen. Doch erst die Affäre mit Brigitte Bardot setzt dem Ganzen die Krone auf: „Man weiß nicht, ob er im Bett nur Brigitte Bardot erobert hat oder gleich die ganze französische Nation“, grübelt Regisseur Sfar, der die Begegnung des Traumpaars wie einen Triumphzug inszeniert: Zu den pompösen Klängen von „Initials B.B.“ rauscht das heißeste Bébé der 60er-Jahre durch den Flur zu Gainsbourgs Wohnung: Minirock, hüfthohe Lederstiefel, riesige Sonnenbrille, wehende blonde Mähne, und am Handgelenk einen perfekt passenden afghanischen Windhund. Hätte Darstellerin Laetitia Casta einen echten Schmollmund, man könnte sie unmöglich vom Original unterscheiden.

Die Beziehung zwischen der sinnlichen B.B. und dem intellektuellen Serge ist ein Gesamtkunstwerk des Pop. Ganz Frankreich rätselt, was die glamouröse Schönheit an einem hässlichen Kerl wie Gainsbourg findet. In Silvie Simmons‘ Biografie „Serge Gainsbourg – Für eine Handvoll Gitanes“ vermutet Marianne Faithfull: „Serge war auf die gleiche Art attraktiv wie Mick Jagger. Er war ein Mann, von dem man wusste: Wenn man mit ihm ins Bett geht, wird man sehr befriedigt wieder herauskommen.“ Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Brigitte Bardot selber sagt: „Er gab mir das Gefühl, wunderschön zu sein.“ Denn hinter der Fassade des Verführers war Gainsbourg ein sensibler, äußerst zuvorkommender Mann.

Die Episoden mit der schönen Blondine lassen den „Gainsbourg“-Film bisweilen wie „Ein Amerikaner in Paris“ aussehen, wie eine farbenprächtige Liebesgeschichte mit Musik. Die dunk-le, depressive Seite des Stadtneurotikers kommt in Joann Sfars Version der Geschichte leider etwas zu kurz.

Die Nachfolgerin der Bardot, die englische Schauspielerin Jane Birkin, serviert der Regisseur zunächst als echtes Zuckerpüppchen im superkurzen Häkelkleid. Aus der mit über zehn Jahren Dauer ungewöhnlich langen Beziehung geht 1971 die gemeinsame Tochter Charlotte hervor. Das im selben Jahr erschienene Meisterwerk „Histoire De Melody Nelson“ ist ebenfalls von der Liebe zu seiner 20 Jahre jüngeren Lebensgefährtin inspiriert – auch wenn Gainsbourgs Leidenschaft für Nabokovs „Lolita“ mal wieder schmutzige Kapriolen schlägt. Das Konzeptalbum handelt von der 15-jährigen Engländerin Melody, die von einem älteren Herren im Rolls-Royce angefahren wird, wobei ihr Kleid nach oben rutscht und „die unschuldigen weißen Höschen sichtbar werden“. Eine der ganz großen Sternstunden des Pop, schwül und sensibel zugleich.

Gesundheitlich geht es Gainsbourg immer schlechter. 1973 hat er seinen ersten Herzinfarkt, und natürlich raucht er im Krankenhaus weiterhin seine Gitanes. Als nach drei Tagen immer noch keine Meldungen über seinen kritischen Zustand in den Zeitungen stehen, lädt Gainsbourg selber die Journalisten ein. Im Rahmen eines Bettkanten-Interviews versichert er, dass ihn niemand vom Arbeiten und vom Rauchen abhalten könne.

Doch es ist ja nicht allein das Rauchen. Auch das Trinken wird im Leben des Künstlers immer wichtiger, erst recht, als dicht hintereinander sein Vater Joseph und die geliebte Bullterrier-Hündin Nana sterben. Auch die Ehe mit Jane Birkin beginnt zu kriseln, nicht zuletzt wegen seiner Eifersucht. Lucy Gordon, die aus 500 Bewerberinnen gecastet wurde, verkörpert die Birkin mit Hingabe und großem Talent. Tragischerweise begeht die 30-jährige Schauspielerin nur wenige Wochen nach Ende der Dreharbeiten Selbstmord: „Mir war damals nicht ganz klar, was es bedeutete, als sie während des Drehs zu mir sagte:, Ich werde anschließend in mein Leben zurückkehren, und ich fürchte, es wird so öde sein, wie es immer war'“, erinnert sich Joann Sfar, der „Gainsbourg“ Lucy Gordon gewidmet hat.

Als sich die Beziehung mit Jane Birkin dem Ende nähert, scheint auch in Serge Gainsbourg etwas zu zerbrechen. Er nennt sich jetzt bevorzugt „Gainsbarre“ und sieht nun auch wie der Säufer aus, der er längst ist. Seine Musik bekommt immer mehr den Charakter von Statements – „Aux Armes Et Cætera“ gehört dazu. Das erste französische Reggaealbum entsteht auf Jamaika, mit Sly Dunbar, Robbie Shakespeare und Musikern der Wailers, inklusive des legendären Chors The I-Threes, zu dem damals auch Rita Marley gehört. Doch es sind Welten, die hier aufeinanderprallen: die streng gläubigen Rastas und der desillusionierte Bonvivant. Man hat sich anfangs wenig zu sagen. Das Studio ist eine Bretterbude, in der Ecke gackern Hühner. Philippe Lerichomme, Gainsbourgs musikalischer Leiter, weist ihn vor den Aufnahmen noch einmal darauf hin: „Bitte keine sexuellen Anspielungen!“ „Okay“, verspricht Serge, „ich singe die Marseillaise.“ Dann zündet er sich die obligatorische Zigarette an, erklärt den Musikern: „It’s a French war song“, und durch das Bretterbuden-Studio pumpt ein zukünftiger Klassiker des französischen Pop.

Auch die Tour zum Album wird ein großer Erfolg, nur in Straßburg versuchen radikale Nationalisten, die Verunglimpfung der Marseillaise durch eine Reggae-Band zu verhindern. Doch Gainsbourg lässt sich nicht aufhalten. Er geht allein auf die Bühne, wo er die Nationalhymne unter dem stürmischen Beifall seiner Fans a cappella singt. Die verächtliche Geste, die er danach seinen Kritikern zeigt, lässt Joann Sfar im Film den jugendlichen Lucien Ginsburg ausführen. Er zeigt den müde gewordenen Gainsbarre, wie er in einer berührenden Szene beim Verlassen der Bühne traurig auf sein jüngeres Selbst blickt. Hätte sein Leben vielleicht anders verlaufen können? Auf jeden Fall ging im Lauf der Zeit etwas verloren.

Bambou, die letzte Frau in Gainsbourgs Leben, ist dann auch nur noch eine Fußnote. Ein schönes Gesicht, das natürlich auch einige Songs geschenkt bekommt. Die Farben von „Gainsbourg“ haben da längst ein klinisch kaltes Blau angenommen. Wie ein Untoter stolpert auch der echte Gainsbarre durch sein Leben, er arbeitet wie immer, dreht auch als Regisseur noch Filme. Doch „Charlotte Forever“, mit seiner 14-jährigen Tochter als Hauptdarstellerin, wird ebenso zum kalkulierten Skandal, wie das auf ähnlichem Terrain provozierende Duett „Lemon Incest“. In einer Fernsehshow verbrennt Gainsbourg einen 500-Franc-Schein, in einer anderen lallt er Whitney Houston ins Ohr: „Ich würde Sie gerne ficken.“ Ein Herzinfarkt jagt den Nächsten, kurz vor seinem Tod will man Gainsbourg wegen einer Arteriosklerose sogar die Beine abnehmen. Einen Tag nach seinem Tod erscheint ein Remix von „Requiem Pour Un Con“ – zu Deutsch: „Nachruf auf ein Arschloch“. Ein Zufall, aber ein typischer.

All das erspart uns Joann Sfar, nicht einmal den populären Whitney-Vorfall baut er ein: „Wenn man den Dichter Charles Bukowski verehrt und sich an ihn erinnern möchte, zeigt man ja auch nicht, wie er einmal in eine Studioecke gepinkelt hat.“ Das ist sicher richtig. Doch die Schönheit von Gainsbourgs Kunst liegt in ihrer Ambivalenz, in ihrem Drang zur Grenzüberschreitung. Sfar hat aus einem neurotisch genialen Grenzgänger eine liebenswerte Kinofigur gemacht. Sein Film ist die poetische Variation eines Lebens für die Kunst und die Frauen.

Und so endet „Gainsbourg“ in der milden Hoffnung, dass auch in Gainsbarre bis zuletzt noch etwas von der heiteren Verspieltheit Lucien Ginsburgs steckt. Für ein deutsches Publikum, das wenig bis nichts über den Mann weiß, ist es sicher die beste Möglichkeit, in ein faszinierendes künstlerisches Universum einzusteigen.

Außerhalb von Frankreich wurde Gainsbourg erst nach seinem Tod so richtig entdeckt. Elektroniker wie Leftfield und David Holmes sampelten und remixten seine Songs, Bands wie Air, Stereolab, St. Etienne oder The High Llamas orientierten sich an seinem kunstvollen Songwriting, und Jarvis Cocker träumt vermutlich sogar davon, eines schönen Tages als Serge Gainsbourg aufzuwachen. All das – wie auch nun der Film – ist allerdings keinem Hype oder modischen Trendbewusstsein geschuldet: Es ist eine aufrichtige Verbeugung vor einem der Allergrößten des Pop.

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