Wird Sean Combs aussagen? Plus andere brennende Fragen, die wir noch haben

Was ist mit Opfer-3 passiert? Wie wird sich Combs verteidigen? Wird seine vielzitierte Stabschefin Kristina Khorram aussagen?

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Da der Prozess wegen Menschenhandels und Beteiligung an organisierter Kriminalität gegen Sean Combs in die sechste Woche geht, ist mittlerweile ein Großteil des streng geheim gehaltenen Falls öffentlich. Die Geschworenen hörten tagelang emotionale Aussagen der beiden Hauptzeuginnen: Casandra „Cassie“ Ventura und eine Ex-Freundin, die unter dem Pseudonym „Jane“ auftritt.

In verstörenden Details beschrieben die Frauen, wie Combs sie mit Drogen versorgte und durch mehrtägige sexuelle Marathons mit männlichen Escorts dirigierte. Sie sagten, Combs habe gedroht, intime Videos zu veröffentlichen oder finanzielle Unterstützung zu entziehen, wenn sie sich weigerten. Beide berichteten von gewalttätigem Verhalten: Türen wurden eingetreten, sie erlitten blaue Augen.

Eine ehemalige Assistentin sagte aus, Combs habe sie mit vorgehaltener Waffe entführt, eine andere berichtete von einer Vergewaltigung in einem Mitarbeiterbett in seinem Haus. Musiker Kid Cudi beschrieb Combs als „Marvel-Superschurken“, der in sein Haus eingebrochen sei, seine Weihnachtsgeschenke geöffnet und 2012 angeblich seinen Porsche in Brand gesetzt habe. Ein Hotel-Sicherheitsmann sagte aus, Combs habe ihm 100.000 Dollar in einer Papiertüte übergeben, um Videoaufnahmen zu kaufen und verschwinden zu lassen, auf denen zu sehen ist, wie Combs Ventura im InterContinental Hotel in L.A. brutal schlägt.

Wird Sean Combs aussagen?

Während die Staatsanwaltschaft ihre Beweise weitgehend präsentiert hat, steht Combs‘ Verteidigung noch aus – viele Fragen bleiben offen. Rolling Stone sprach mit Experten und wertete Transkripte aus, um Antworten auf die drängendsten Fragen zu erhalten.

Während des gesamten Prozesses zeigte sich Combs aufmerksam, beugte sich vor, reichte seinen Anwälten Notizen und nickte so „eifrig“ in Richtung der Geschworenen, dass der Richter ihm mit Ausschluss aus dem Gerichtssaal drohte.

Combs hat in der Vergangenheit ausgesagt – etwa 2001, als er sich erfolgreich gegen Waffenbesitz-Vorwürfe verteidigte. Auch als CNN letztes Jahr ein Video veröffentlichte, das ihn zeigt, wie er Ventura tritt und schleift, reagierte er rasch mit einem Entschuldigungsvideo.

„Ich bin mir sicher, Sean Combs will aussagen. Ich bin mir aber ebenso sicher, dass seine Anwälte ihm dringend davon abraten“, sagt David Ring, ein Klägeranwalt, der u.a. Evgeniya Chernyshova gegen Harvey Weinstein vertrat.

Experten halten eine Aussage Combs’ für „extrem riskant“, da dies die Tür für eine Vielzahl an früheren Verfehlungen öffnen könnte.

Verteidigerin Teny Geragos sagte in ihrem Eröffnungsplädoyer, Combs sei ein „Jerk“, ein schlechter Freund – aber das sei nicht angeklagt. „Sean Combs hat ein schlimmes Temperament“, erklärte sie. „Er ist nicht angeklagt, weil er gemein war, sondern wegen organisierter Kriminalität.“

„Normalerweise verlieben sich Geschworene in Promis auf dem Zeugenstand – das wird hier nicht passieren“, so Ring. „Sie hassen ihn bereits. Selbst wenn sie ihn nicht verurteilen, werden sie ihn nicht mögen. Eine Aussage würde daran nichts ändern.“

Falls er doch aussagt, würde das wohl über eine Woche dauern und ein Urteil über den 4. Juli hinaus verzögern.

Warum wurde niemand sonst angeklagt?

Als Combs’ Anklageschrift letzten September veröffentlicht wurde, war von „versiegeltem Angeklagten 1“ die Rede – viele vermuteten weitere Anklagen. Doch Experten wie die ehemalige Staatsanwältin Alyse Adamson sagen, das sei nicht zwingend.

Die meisten mutmaßlichen Mitverschwörer arbeiteten unter Combs. Einige – wie seine Assistenten George Kaplan und Jonathan Perez – sagten unter Immunität aus. Es ist möglich, dass andere Deals gemacht haben oder mangels Beweisen nicht angeklagt wurden. Viele der mutmaßlichen Delikte wie Bestechung oder Brandstiftung sind zudem verjährt.

„Es muss eine Verschwörung geben, aber die Regierung muss nicht alle Verschwörer anklagen“, sagt Ring.

Wird Kristina Khorram aussagen?

Khorram, auch „K.K.“ genannt, war seit 2013 Combs’ Stabschefin. Er bezeichnete sie einst als seine „rechte Hand“. Die Staatsanwaltschaft nannte sie am 5. Juni eine „Agentin und Mitverschwörerin“.

Ventura sagte, Khorram habe täglich mit ihr kommuniziert und gewusst, dass Combs gewalttätig war. Auch in der Bestechung des Sicherheitsmanns war Khorram offenbar involviert. Jane sagte, Khorram habe sie angewiesen, Ecstasy für Combs zu schmuggeln.

Trotzdem deuteten Staatsanwälte am Freitag an, sie würden ohne Khorrams Aussage abschließen. Sie könnte entweder zu risikoreich sein – oder selbst ein Ziel der Ermittlungen.

Was wissen wir über Combs’ Verteidigung?

Combs’ Team argumentiert, dass sein Privatleben kriminalisiert werde. Er sei polyamor, „kinky“, eifersüchtig und Teil der Swinger-Szene. Sie räumen häusliche Gewalt ein, betonen jedoch: „Häusliche Gewalt ist kein Menschenhandel.“

Die Verteidigung betont, die Opfer seien erwachsene Frauen gewesen, die Entscheidungen selbst getroffen hätten. Zeugen sagten aus, Combs habe hohe Arbeitsmoral und seine Privatsphäre sei mit dem Beruf verwoben. Das sei kein Verbrechen.

Einziger bislang angekündigter Verteidigungszeuge ist Psychiater Dr. Sasha Bardey, der die Aussagen von Dr. Dawn Hughes entkräften soll.

Was ist mit Opfer-3 und Opfer-5?

Kurz vor Prozessbeginn verschwand die mutmaßliche „Opfer-3“ aus dem Fall. Sie tauchte erstmals in einer Anklage im März auf. Anders als Ventura oder Jane war sie keinem konkreten Tatbestand zugeordnet. Die Staatsanwaltschaft beschuldigte Combs, sie unter einem Liebesvorwand zur Prostitution gezwungen zu haben.

Ende April stimmte sie einer Aussage unter Klarnamen zu, war dann aber unauffindbar. Später wurde bestätigt: Es handelt sich um „Gina“, eine On-Off-Freundin Combs’. Sie war ein ständiger Streitpunkt zwischen Ventura und Combs.

Eine SMS eines Sicherheitschefs an Combs aus 2015, in der er warnt, Combs würde bei einem Polizeieinsatz „100 Prozent festgenommen“, durfte nicht als Beweis eingebracht werden.

Ob „Opfer-5“ noch aussagen wird, ist unklar. Die Person wurde nicht namentlich genannt, Verteidiger beanstandeten jedoch Teile der Aussage. Ein Richter ordnete an, dass diese nur eingeschränkt zulässig sei.

Spielten Zivilklagen eine Rolle im Strafverfahren?

Neben dem Strafverfahren drohen Combs über 50 Zivilklagen. Mehr als ein Dutzend davon betreffen Vorfälle zwischen 2004 und 2024. Doch diese spielten im Strafprozess bislang kaum eine Rolle.

Einzige Ausnahmen: Die Designerin Bryana „Bana“ Bongolan und Ex-Bad-Boy-Künstlerin Dawn Richard. Beide stützten Venturas Aussagen.

Richard durfte nicht über eigene Vorwürfe gegen Combs sprechen. Bongolan hingegen erzählte von Kontrollsucht, Überwachung, einem Messerwurf und Todesdrohungen. Combs soll sich „Teufel“ genannt haben und sie beinahe vom Balkon gestoßen haben.