WM-Blog: Don’t believe the hype!

Gerechtigkeit und Ergebnisse bei einer WM der Überraschungen - WM-Blog, Folge 10

Der Filmjournalist, Kritiker und ROLLING-STONE-Autor Rüdiger Suchsland schreibt hier über die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.

WM-Blog: Don’t believe the hype!

„Es gibt keine Gerechtigkeit im Fußball, es gibt nur Ergebnisse.“

Uli Hoeneß

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Diese WM ist immer noch eine große Freude: Zwar häufen sich die 1-0’s, aber immer noch gibt es Tore satt, spannende, abwechslungsreiche, kämpferische Spiele. Und auch in der zweiten Runde der Gruppenphase wurden wieder allerlei Vorhersagen über den Haufen geschmissen, Favoriten entthront.

Glaubte man nach der ersten Runde an Brasilien, Deutschland, Niederlande und Italien als große Favoriten, und war sich sicher, England und Spanien würde nach ihren Auftaktniederlagen ein Comeback gelingen, Uruguay dagegen nicht, sind England und Spanien nun bereits beide draußen. Italien ist als frischgekürter Geheimfavorit vorläufig wieder entthront, bei Brasilien, Deutschland und den Niederlanden nach mäßigen zweiten Spielen ist die Begeisterung wieder abgeklungen.

Dafür gibt plötzlich neue Top-Teams: Frankreich, Chile, Kroatien und sogar Costa Rica, sowie das Comeback-Kid der Runde: Uruguay, denen man erst gar nichts, nach dem souveränen Spiel gegen England aber plötzlich alles zutraut.

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Überhaupt die Latinos! Soviel lateinamerikanische Überlegenheit war nie: 16 Begegnungen zwischen lateinamerikanischen und außeramerikanischen Teams endeten 13 Mal mit einem Latino-Sieg!! Und zwei der drei europäischen Siege waren die Spiele von Frankreich gegen Honduras und Schweiz gegen Ecuador. Die darf man vielleicht nicht zu ernst nehmen. Lediglich der Sieg der Niederlande gegen Chile gilt als ein ernstzunehmender europäischer Erfolg gegen ein Latino-Team.

Manche Neunmalklugen behaupten zwar jetzt, es sei doch klar gewesen, dass sich die Lateinamerikaner „zu Hause“ wohl fühlen, und besonders erfolgreich spielen. Das ist Unsinn und nur aus beschränkter eurozentrischer Perspektive richtig: „Zu Hause“ fühlen sich Argentinier, Uruguayos und Chilenen in Brasilien schon mal eh‘ nicht, und Kolumbianer und Mexikaner sind hier so zuhause wie Dänen und Holländer in Griechenland.

Und unter dem Klima leiden alle gleich. Oder glaubt man, dass alle Latinos heimlich vor dem Spiel doch ein paar Coca-Blätter kauen und in der Pause Mate-Tee schlürfen?

Nein – was man an dem chaotisch bis komplexen Verlauf der WM sehen kann, ist neben konkreten Schwächen – die innere Leere von Spaniens Spielern nach dem CL-Finale – auch das Aufkommen der Underdogs. Ein Globalisierungsphänomen. Viele der Spieler aus den „kleineren“ Latino-Teams spielen zudem in ausländischen, meist europäischen Ligen: 7 Mexikaner, 13 Honduraner, 15 Ecuadorianer, 16 Costa-Ricaner, 20 Chilenen, 22 Kolumbianers, 24 Uruguayaner.

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Was man aus alldem lernt, ist nicht, dass man auf Voraussagen nichts geben soll, oder dass alles eh nur Zufall wäre, oder das die FIFA ihre schon schmutzigen Finger auch noch durch Ergebnismanipulationen verdreckt – wobei diese WM der Überraschungen mit ihrem „alles ist möglich“ ja schon marketingmäßig der FIFA gut in den Kram passt. Was man lernen kann, ist nicht dem schnöden Schein zu vertrauen, nicht der Stimmung des Tages, sondern etwas nachhaltiger auch in seinen Gedanken zu sein. Ein gutes Spiel macht noch keinen Weltmeister.

„Blöde Binsenweisheit“ antworten jetzt drei Viertel aller Fußballfans, und haben doch Deutschland nach dem Portugal-Spiel hochgejubelt, Italien zum Favoriten erklärt, und gemeint, England sei stark wie seit 1966 nicht mehr und Bosnien werden gestimmt Nigeria schlagen und Gruppenzweiter hinter Argentinien. Und jetzt?

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Jetzt sollte man sich auch wieder nicht vom Eindruck des Augenblicks täuschen lassen. Nehmen wir Frankreich: Ohne Frage stark. Aber 3 Tore gegen Honduras und 5 gegen die Schweiz (die gut hätten 7 sein müssen) sind auch nicht zu überschätzen. Frankreich wäre nicht das erste Team, das in der Vorrunde drei Siege einfährt und dann sang- und klanglos rausfliegt. Erst wenn sie eines der starken Teams aus Europa oder Lateinamerika schlagen, gehören sie wirklich zu den Favoriten. Aber immerhin sind die Franzosen und ihr Spiel schön anzusehen.

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„Wie kann man die Brüder hassen?“ sagte der spanische Wirt Juan nach Portugals zweitem Spiel. Da hatten wir ihn gefragt, warum er den portugiesischen Ausgleich gegen USA in der fünften Minute der Verlängerung bejubelt hatte? Portugal wird sich diesmal auch insofern als Bruder Spaniens erweisen, als dass sie so oder so nach Hause fahren.

Im Vorfeld zu einer der stärksten WM-Teams hochgejazzed, entpuppten sich die Portugiesen als schlafmützige Langweiler. Gut, zwei Verletzungen und eine Sperre setzten ihre stärksten Spieler neben Ronaldo außer Gefecht. Aber was bitte will man mit diesem Ronaldo? Er ist eben kein Messi, der in der letzten Minute ein Spiel entscheidet, er ist kein Robben, der mit Einzelaktionen immer Gefahr bringen kann. Er ist ein Schönwettergott, der toll spielt, wenn seine Mannschaft gut drauf ist, und im Nichts verschwindet, wenn die einen bräuchte, der vorangeht, und sie mitreißt. Ronaldo fehlen genau die entscheidenden Qualitäten eines großen Spielers, wie sie auch ein Maradona, ein Cruyff, ein Lineker selbstverständlich hatten.

Wer vorgestern Nacht das Spiel der Portugiesen gegen die Amerikaner sah, der konnte noch zwei Dinge erkennen: Erstens in wie schwacher Augenblicksform die Portugiesen sind, wie ideenlos und leergespielt. Und wie stark die Amerikaner sein können und immer dann sind, wenn man nicht mit ihnen rechnet.

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Das sollte sich die deutsche Nationalmannschaft hinter die Ohren schreiben. Hochgehyped wurde auch sie – wie immer während der Gruppenphase einer WM.

Natürlich kommen jetzt wieder die Stimmen: „Typisches zweites Spiel“… Aber sein wir doch ehrlich: Wie soll jemand, der sich schon von Ghana verunsichern lässt, gegen Holland, Italien oder Argentinien gewinnen?

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