Wohlklang ohne Ausweg: Die Zukunfts-CD kommt in hochauflösendem Surround

Das Rauschen im audiophilen Blätterwald über die Ablösung der CD ist inzwischen zu einem allerorten vernehmbaren Lobgesang über neue Sound-Erfahrungen - auch für den Normalhörer - angeschwollen. Mit der DVD-AUDIO und dem Konkurrenzprodukt SACD stehen sich jedoch zwei Bewerber gegenüber, deren Schicksal noch dieses Jahr in die entscheidende Phase gerät.

Es besteht kein Zweifel, dass DVD-Audio die CD ablösen wird“, behauptet Alexander Wfelzhofer, Geschäftsführer der Firma Warner Vision Germany, räumt aber ein, dass „der Zeitraum, in dem dies geschehen wird, noch offen ist“. Das zum Warner-Konzern gehörende Unternehmen kümmert sich um die Vermarktung von VHS-Kassetten, DVDs und zuletzt eben auch um DVD-Audio. Mit einer tatsächlich „Ohrgasmus“ genannten Kampagne wollte Warner Vision auf die aufregenden Vorzüge der DVD-Audio hinweisen, die mit einem hochauflösenden Mehrkanalklang einen neuen Hörgenuss verspricht. Den größten kommerziellen Erfolg aber konnte die ebenfalls Ende 2002 beim Mitbewerber BMG erschienene DVD-Audio-Version der Elvis-Presley-Compilation Jtlrh-30No.lHils“erne(zn.Sie verkaufte weltweit mehr als 15 000 Einheiten, davon die Hälfte in den USA. Eine stattliche Zahl für ein neues Medium, sicher, aber im Vergleich mit den CD-Verkäufen des Elvis-Albums oder jeder anderen halbwegs erfblgreichen Compact Disc doch noch recht bescheiden.

Warum also die ganze Aufregung um ein Thema, das außer ein paar Audiophilen und HiFi-Freaks anfänglich kaum einen interessierte? Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist die Super-Audio-CD, kurz SACD, inzwischen aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und macht der zaghaft am Markt angenommenen DVD-Audio mächtig Druck. Hinter dem Wettbewerb, der von Weitem an einen Systemkrieg ä la „VHS versus Beta“ erinnert, steckt zum anderen jedoch eine tiefere, weitaus dramatischere Problematik, die sich auf einen schlichten Nenner bringen läßt: die Krise der Musikindustrie.

Schon im insgesamt dritten Jahr in Folge schrumpft der Tonträgermarkt. Seit dieser Zeit sind Umsatz und Anzahl der verkauften Platten um fast 30 Prozent eingebrochen. Wäre dies stattdessen der Automobilindustrie passiert, wäre längst der nationale Notstand ausgerufen worden. Da es jedoch die Plattenfirmen traf, die man eher für Ausgeburten wie die No Angels oder vermeintliche Superstars abwatscht, als sie an der mühevollen Aufbauarbeit von Bob Dylan bis Herbert Grönemeyer misst, herrschte eine gewisse Häme vor, die sich mitunter bis zur Schadenfreude steigerte. Aufsich allein gestellt, reagierten die Chef-Etagen mit den üblichen Mitteln von Fusionen bis Entlassungen und hielten nach dem rettenden Strohhalm Ausschau.

Den zeigte, ganz deus ex machina, die Filmindustrie mit der Einführung der DVD auf. Ausgestattet mit hoher Bild- und Tonqualität sowie zusätzlichen Features machte die DVD aus dem Videoabend eine luxuriöse Heimkino-Session mit Surround-Sound. Die Tonträgerbranche zog nach und stellte die Musik-DVD mit Konzertfilmen, Clip-Compilations und Dokumentationen vor – zur Freude des Markts, der prompt reagierte. In den vergangenen zwei Jahren verzeichnete die Musik-DVD Wachsrumsraten von über 100 Prozent Und auch in 2003 sehen die Prognosen nicht schlecht aus. Trotzdem machen mitderweile hinter vorgehaltener Hand die ersten Unkenrufer auf sich aufmerksam. Eine Verdoppelung, ja Verdreifachung ist an sich durchaus erfreulich, aber Zuwächse von einem sehr niedrigen auf ein nicht mehr ganz so niedriges Niveau könnten aus einem Strohhalm vielleicht auch nur ein Strohfeuer machen. So gingen in Deutschland in 2002 etwa drei Millionen Musik-DVDs und 300 000 DVD-Audios sowie SACDs, aber im Vergleich dazu 224 Millionen Tonträger über die Ladentische.

Zudem könnte die demonstrativ zur Schau gestellte optimistische Maske bald ihr Grinsgesicht verlieren. Denn die Archive, aus denen man in den ersten Jahren fleißig vorhandene VHSFilme, Konzerte und Dokumentationen – mit ein paar Interviews als drangeklatschte Bonusfeatures – holte, werden leerer. Die Clip-Collections für U2 und Konsorten gibt es inzwischen, und nicht einmal Madonna geht so häufig auf Tour, als dass man regelmäßig DVD-Nachschub produzieren könnte. Hinzu kommt, dass Konzertmitschnitte, aufgenommen im aufwändigen 5.1-Klang und gefilmt mit zusätzlichen Kameras produktionstechnisch nicht zu den billigsten Übungen gehören. Und schließlich ist Musik – Zusatznutzen hin, Bonusfeatures her – nun einmal zum Hören und nicht zum Sehen da.

Da lag es nahe, die Vorteile der DVD nun für ein überwiegend auditives Medium zu nutzen – der radikal verbesserte, hochauflösende Klang, zusätzlich auch die höhere Kopiersicherheit, die in den Zeiten von Web-Vandalismus und Download-Dramen eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft ist. Also: Auftritt der DVD-Audio und der SACD, zweier konkurrierender Formate mit zumindest vergleichbaren Eigenschaften. Dabei hatte die von den Unterhaltungsriesen Sony und Universal bevorzugte SACD den Vorteil, dass sie auch in ihrer frühesten Entwicklungsphase abwärts kompatibel war – das heißt, auf herkömmlichen CD-Playern abspielbar. Ihre Sound-Charakteristika aber (Luxusklang, 24 Bit-Auflösung bei 96 Kilohertz, Mehrkanalklang) offenbart sie nur auf SACD-Spielern. Da aber niemand wusste, welche Chancen die SACD langfristig haben würde, hielten sich die Käufer bei der Anschaffung der Geräte zurück.

Und da schlug die Stunde der DVD-Audio, die aus den Vermarktungsfehlern ihrer Mehrkanalschwester gelernt hatte und in einer zweiten Generation auf allen DVD-Spielern läuft, von denen inzwischen sechs Millionen in deutschen Haushalten stehen, also offenbar nicht nur in den Kämmerchen erklärter Cineasten. Im herkömmlichen DVD-Player erklingen DVD-Audio-Scheiben zwar im 5.1-Sound, nicht jedoch im hochauflösenden HiFi-Klang. Was tun? Die Rettung kam dieses Mal aus der Hardware-Industrie, die im Herbst vergangenen Jahres erstmals so genannte Kombi-Player auf den Markt brachte (siehe Kasten). Die können nun alles abspielen, was klein, rund und glänzend Ist: unter anderem auch DVD, DVD-Audio, CD und SACD – sowohl 5.1 wie auch hochauflösend.

Mit diesen Geräten, die im Weihnachtsgeschäft erstmals passable Verkaufszahlen erreichten, holte vor allem der Universal-Konzern zum großen SACD-Schlagaus. Umgehenderschien noch 2002 der bislang nur auf mies klingenden CDs erhältliche Backkatalog der Rolling Stones aus den 60er Jahren rundum erneuert auf SACD. Selbiges gilt nun für den ebenfalls von Universal vertriebenen, kompletten Katalog von The Police, der nun als Superaudio-CD auf Neu- und Wiederkäufer wartet. Und auch die SACD-Veröffentlichung des Pink-Floyd-Klassikers „Dark Side Of The Moon“ wirbelte schon lange vor Erscheinen soviel Mondstaub auf, dass die nicht minder hochwertigen DVD-Audio-Titel, unter anderem von Neil Young, Doors, Eric Clapton oder auch R.E.M. und Disturbed, nicht mithalten konnten. Geht damit die Rechnung der Plattenfirmen auf, den Konsumenten zu einem Wechsel des Mediums überzeugen zu können, und wenn ja, welches der beiden Formate macht das Rennen?

„Die SACD ist von der Idee her der logische CD-Nachfolgersie hätte nur ein paar Jahre früher kommen müssen. Zumindest von den technischen Werten ist sie einer DVD-Audio etwas überlegen“, urteilen die Brüder Giorgio und Martin Koppehele, zwei Münchner Produzenten, die mit Teil zwei ihres DVD-Projekts „Ambra“ soeben ein Referenzprodukt im DVD-Segment veröffentlicht haben. „Inwieweit die von der SACD wiedergegebenen Frequenzen in den Wohnzimmern dann noch wirklich wahrnehmbar sind, ist ein anderes Thema“, ergänzen sie. „Aus der Sicht des Musikproduzenten kommt die DVD-Audio vom Handling her dem modernen Tonstudiobetrieb mehr entgegen als die SACD, die spezielle Technologie benötigt. Die ist noch sehr selten anzutreffen und zur Zeit extrem teuer. Das Entscheidende an beiden Formaten ist, dass sie dem Konsumenten mit Multichannel-Sound ein völlig neues Hörerlebnis bieten. Das ist viel wichtiger als eine höhere« Audiobandbreite.“

Es ist derzeit noch offen, ob DVD-Audio, SACD oder beide sich durchsetzen. Dennoch muss die Frage berechtigt sein, was wir als Hörer eigentlich davon haben, wenn die Musik nun von allen Ecken des Wohnzimmers auf uns einströmt, die „Bohemian Rhapsody“-Chöre plötzlich quer durch den Raum schallen. Jeder, der sich einmal vor eine 5.1-Anlage gesetzt hat, wird unumwunden zugeben, dass die Musik wirklich anders klingt. Aber auch besser?

Danach wurde auf einem Branchentreff in Amsterdam jüngst Daniel Miller gefragt, Chef des englischen Mute-Labels (Depeche Mode, Moby). Wie ihm denn diese neuen SACDs der Stones gefallen, wollte jemand wissen. Weil Miller mit Who, Kinks und eben auch Jagger/Richards aufgewachsen ist und diesen Sound, den gerade eine Vertrautheit stiftende Patina ausmacht, nicht missen will, meinte er nur lapidar: „I think they sound crap.“ Scheiß-Aussichten also? Nun, wir werden sehen, oder genauen wir werden hören.

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