Wolfgang Doebeling über den Trend zu harten Konsonanten und einen weiteren Sieg der Effizienz über schnöde Ästhetik

Die Leier war immer dieselbe, gebetsmühlenhaft: „Zu englisch“, sagte Sony. „Tja, wenn sie deutsch singen würden…“ zaunpfahlwinkte BMG, und Virgin erkannte auf „nicht Viva-tauglich“. Was die Popnauts aus Bonn als Botschaft mit auf den Weg bekamen, nach ausgiebigem Klinkenputzen bei der Industrie, läßt keinen Spielraum für Interpretation. Der kleinste gemeinsame Nenner gibt den Ausschlag, treudeutsch ist Trumpf. In allen denkbaren und undenkbaren Variationen.

Wer hätte je im Alptraum daran gedacht, daß hinten ein Hit herauskommt, wenn man vorne Pur, ein paar Dark-Wave-Scheiben, schwarze Klamotten und ein Reimlexikon durch den Fleischwolf dreht? Sie müssen sich an Sterne krallen, damit sie nicht herunterfallen. Heiliger Mummenschanz, wer hat bloß die Uhren zurückgedreht?

Die Ossis, werden viele sagen. Doch so simpel ist es beileibe nicht. Die Debilisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft war bereits in vollem Gange, als die 16 Millionen ihre Zelte hinterm Mond abbrachen, Supermärkte stürmten und die Abstimmung an der Kasse zugunsten heimatlicher Produkte entschieden. Nein, die Wende mag die Talfahrt in die teutonische Tiefebene beschleunigt haben, aber die Volksmusik boomte schon in den späten Achzigern, und das Kulturgut Schlager hat nicht erst Konjunktur, seit uns die Prinzen das Fürchten vorm Sächseln lehren.

Vor 15 Jahren war es ja schon einmal soweit, daß der Pop-Provinzialismus fast über den internationalistischen Morse-Code obsiegt hätte, als unter dem eher harmlosen Rubrum „Neue Deutsche Welle“ binnen kurzem eine Flut albernster Auszählreime über uns zusammenschlug. Ich will Spaß, ich geb Gas. Ein Jahr lang geriet alles zum Hit, was fröhlich furzte und deutsch kalauerte, dann war der Spuk vorbei.

Darauf dürfen wir indes diesmal nicht hoffen. Zu lange litt die deutsche Musikindustrie unter der Schmach, nichts weiter zu sein als Absatzmarkt für die Kreativen in Anglo-Amerika, zu lange schon beschied man sich mit der lukrativen, aber fürs Selbstwertgefühl undankbaren Funktion des Erfüllungsgehilfen. Damit mußte endlich Schluß sein. Wäre ja auch gelacht, wenn die besten Kühlschrank-Konstrukteure und Autobauer der Welt ausgerechnet vor Popmusik kapitulieren müßten.

Das ist denn auch des Pudels Kern: Nationalismus spielt nicht die geringste Rolle; nicht am deutschen Wesen soll die Welt genesen, registriert man mit Erleichterung, es geht allein um Effizienz. Und da fahrt man halt mehrspurig. Risikostreuung nennt man das und setzt vor allem auf zwei Renner: den durchlauferhitzten, homogenisierten und halbdebilen Technohouseblubbermix von Captain Jack bis Scooter, der unter dem treffenden Gütesiegel „Eurodance“ erfolgreich in die Nachbarländer exportiert wird, und eben das Schlager-Derivat Deutschpop, bei Bedarf angereichert mit Rap oder Reggae, Rock oder Punk. Hauptsache deutsch.

Und wo es das nicht ist, muß eben ein wenig nachgeholfen werden. Zimperlich ist man dabei nicht, sitzt man doch am längeren HebeL Die Musik wird geklont, das Marketing klotzt. „Hart, deutsch und ab in die Charts“, wird ganzseitig und unmißverständlich ein Act namens Megaherz beworben, als ob die Abfolge dieser Reizwörter einen Automatismus in Gang brächte und die Hitparaden bereits sturmreifgeschossen wären.

Ganz soweit ist es noch nicht, aber man arbeitet mit Hochdruck an der Sprach-Gleichschaltung einheimischer Newcomer. Hatte der Verlag der Lemonbabies den Mädels noch durch die Blume mitgeteilt, daß sie es „viel leichter hätten“, wenn sie doch bloß deutsch singen würden, stellt man heute Bands oft klipp und klar vor die Wahl: Muttersprache oder Vertrag ade. Da kommt so mancher junge Mensch zuerst ins Grübeln und, bei ästhetischer Labilität, ins Wanken. Die Gruppe Rallye ließ sich nicht lange bitten und wurde für ihre Kooperation mit recht guten Verkaufszahlen belohnt Die Cucumber Men aus Hamburg gaben dem Drängen ihrer Firma nach und deutschten ihre Texte ein, allerdings bislang noch ohne zählbaren Erfolg. Der dürfte sich spätestens dann einstellen, wenn sie konsequent die letzte Hürde nehmen und sich fortan Die Gurkenmänner nennen. „Ich habe zu oft erlebt, daß Musiker, die vorher englisch gesungen haben, auf deutsche Texte umgestiegen sind, um einen Plattendeal zu kriegen“, klagt Martin Brujah, Sänger der Garagen-Combo Painted Air, und fügt hinzu: „Ich verachte sie inbrünstig!“

Nachvollziehbar, aber ebenso ohnmächtig in einem Klima der Duselei und von oben verordneter Kraut-Diät, auf die sich selbst der internationale Medienriese MTV setzen ließ. Seit einigen Monaten schon moderiert man dort auch in Deutsch. Damit wir Idioten endlich verstehen können, was abgeht. Die Welt, ein Dorf? Nur geträumt.

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