Wolfgang Doebeling über eine bittersüße Symphonie von The Verve, Naivität beim Sampeln und das böse Erwachen danach

Der Mann kann einem leid tun. Da hat sich Richard Ashcroft sein Leben lang nach Ruhm und Geld gesehnt, trabte mit dieser ehrbaren Hoffnung im Herzen durch so manchen dunklen TunneL Und just, als er endlich triumphierend im Licht steht und „Schuldenfrei!“ jubelt, zieht ihm einer den Boden unter den Füßen weg, einer, der niemals Gefangene macht: Allen Klein.

Die Geschichte ist schnell erzählt. Ashcroft und seine feine Combo, The Verve, waren auf eine fast verschollene LP titeis „The Rolling Stones Songbook“ gestoßen, auf der das Andrew Oldham Orchestra diverse der Stones-Hits via Streicher-Arrangements fahrstuhltauglich machte. Nicht übel, nur ein bißchen bizarr. Oldham hatte 1966 mit Tony Calder sein eigenes Label, Immediate, aufgemacht, schuldete Decca aber noch ein Album seines ominösen Orchesters. Mit dem „Songbook“ war der Vertrag erfüllt. Die Platte verkaufte sich nicht besonders gut, wurde aber immer wieder neu aufgelegt, weil sie vor allem in Amerika zum Soundtrack fürs Shopping avancierte und in tausend Supermärkten und Mails die Menschen zum Geldausgeben animierte. Wie gesagt, a little bizarre. Aber so verdammt lukrativ für den Copyright-Eigner. Und das ist seit den späten Sechzigern besagter Allen Klein.

Zurück zu The Verve. Die verliebten sich vor allem in einen Track der Muzak-Scheibe: die von David Whittaker bearbeitete Strings-Variante von „The Last Time“. So genial fand man das Ding, daß man es einfach klaute, sorry, sampelte. Komplett mit Geigen und Bongos und allem drum und dran. Sodann legte man eine Gesangsmelodie drüber, verfaßte einen Text und fertig war sie, die „Bitter Sweet Symphony“.

Stolze zwei Millionen Mal ging die Single inzwischen weltweit weg, der Durchbruch für eine Band, die seit Jahren dümpelt und schon mehr als einmal abgeschrieben wurde. Ein später Triumph also. The Verve waren über dem Mond, wie der Brite sagt, und freuten sich auf einen warmen Geldregen. Die Hälfte würde an die Stones gehen, das immerhin ahnten sie, doch würde mehr als genug übrigbleiben. „The Stones said they liked it, Oldham really loved it“, erinnert sich Ashcroft an die Tage voller Euphorie, „but then we got a call from this guy in New York, Allen Klein…“

Klein, der die Beatles einst über den Tisch gezogen hatte und an dem sich die Stones seit bald 30 Jahren die Zähne ausbeißen, kannte kein Pardon. Er wollte alles. Und bekam es. „Wir sollten vielleicht nach New York fliegen und mit dem Mann reden“, überlegte Ashcroft in rührender Verkennung der Rechtslage und der Arbeitsweise des Klein-Hirns.

„It’s a bitter sweet symphony, that’s life.“ Indeed. Kein Publishing-Penny also für The Verve. Dafür Sympathiebekundungen von allen Seiten. Noel mischt sich ein, Experte auf dem Gebiet des klugen Melodieklaus, aber mit der Sample-Problematik wenig vertraut. Eine Schande sei das, die Stones hätten doch wahrhaftig genug Geld, tröstet er seinen am Boden zerstörten Kumpel Richard. Der versteht die Welt eh nicht mehr. „It’s just what hip-hop bands do, and they get money and credit for it.“

Wohl wahr. Da wird zusammengestöppelt, was das Zeug hält. Warum mühsam eigene Ideen ausbrüten, wenn man sich aus den alten Hitparaden bedienen kann. Ein ehrer ästhetisches als moralisches Problem freilich, solange man sich beim Sample-Eigner rückversichert Janet Jackson etwa fragte persönlich bei Joni Mitchell nach, ob die deren „Big Yellow Taxi“ in ihr famoses „Got Til It’s Gone“ einbauen dürfe. Dazu gibt es, ganz selbstverständllich, einen Namecheck auf dem Label, ein Dankeschön auf dem Cover und artige Demutsbezeugungen in jedem zweiten Interview. Janet, so nehmen wir verdutzt zur Kenntnis, war „immer schon eine glühende Verehrerin“ von Joni. Man kann’s auch übertreiben.

Oder nehmen wir Puffys bekannte Kitschorgie. Eine coole Million Dollies soll Sting kassiert haben für seinen Beitrag zu „I’ll Be Missing You“; eine so sülzige wie symbiotische Beziehung, hart an der Grenze zum blanken Zynismus. Man erinnere sich an die absurde Szene bei den diesjährigen MTV Video Music Awards in der Radio City Music Hall: Sting rechts vorn im Konfirmandenanzug, heiser und gepreßt seine besten Nummer anstimmend, während sich hinten in waberndem Weiß Puff Daddys himmlische Heerscharen versammeln und mit tränererstickten Stimmen das letzte Tröpfchen Würde aus der Schnulze wringen. Das hat Stil. Warum sich mit Sting-Samples aufhalten, wenn sich der Künstler höchstpersönlich zum Affen machen läßt. There’s no business like show business.

Das hat mittlerweile auch Richard Ashcroft begriffen. Den Lernprozeß beschleunigt hat zweifelsohne der schöne Umstand, daß The Verve die Band der Stunde sind, nicht zuletzt dank „Bitter Sweet Symphony“. Und so sieht Ashcroft die Sample-Komödie inzwischen philosophisch: „It’s horrible, it’s a pisser and it’s a downer, but it’s beautiful. Because, as the song says, you’re a slave to the money and then you die.‘ Who gives a shit at the end ofthe day?“

Eben.

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