Zen oder die Kunst des Comics

Das war der grauenvollste Titel, der je für einen Comic-Strip erdacht wurde“, schimpfte Schulz noch in den späten Achtzigern über die Redakteure des United Feature Syndicate, die ihn 1950 eingekauft hatten, ihm aber auch den Titel „Peanuts“ vorschrieben. „Damals wusste natürlich niemand, dass ich einen Strip erschaffener, wie ich finde. Würde besitzt, eine gewisse Klasse…“

Mit Schulz kam ein neuer Ton in den amerikanischen Zeitungscomic der frühen Fünfziger, der von den diversen Abenteuer-Genres dominiert wurde. Hier unterhielten sich Kleinkinder mit Erwachsenenproblemen, noch dazu mit Problemen, die in diesen optimistischen, ewige Prosperität, unaufhaltsamen technischen Fortschritt und Aufstiegschancen verheißenden Nachkriegsjahren eigentlich gar nicht vorkommen sollten. Auf einmal hing da diese tiefschwarze Wolke des Defätismus am sonnigen Himmel des Zeitgeistes — und die unzufriedene Campus-Jugend erkannte sich wieder in dem von Charles M. Schulz entworfenen „Peanuts“-Suburbia, in dem es realistisch zu ging, wütend, melancholisch und trist, in dem der soziale Anpassungsdruck, die juvenile Entfremdung, das Gefühl der Ausgrenzung thematisiert und dann doch mit einem Witz überschrieben, also in gewisser Weise bezwungen wurden.

Als sich diese Jugendbewegung Mitte der 60er Jahre formierte, als counter culture etablierte und an Einfluss— durchaus auch auf den gesellschaftlichen Mainstream – gewann, schlug auch Schulz‘ große Stunde. Dutzende Zeitungen druckten den täglichen Strip parallel, Sammelbände erschienen. Zeichentrickfilme, ein Broadway-Musical, Schulzsche Wortschöpfungen (wie etwa Linus‘ „Security Blanket“) wurden im Wörterbuch verzeichnet und schließlich ging via Merchandise-Lizenzen das „Peanuts“-Personal auf T-Shirts, Kaffeetassen, Bettbezügen in den globalen Alltag ein.

Berückend an der Kunst von Schulz ist seine Leichtigkeit. Ihm gelingt es, die existenziellen Fragen, die conditio humana im ganz Kleinen zu spiegeln, sie symbolisch zu verdichten, ohne dass diese Symbolik aufdringlich artifiziell wäre. Es bleibt immer ein unangestrengter, leicht konsumierbarer, witziger Comic-Strip. Diese parabolische, bisweilen geradezu Zen-mäßige Dimension, zeichnet seine Vier-Panel-Minigeschichten von Anfang an aus. „Patty, wie schreibt man ‚Gouverneur‘?“, fragt Charlie das lesende Mädchen. Sie sieht nicht mal auf. „Schau im Wörterbuch nach.“ „Da konnte ich es nicht finden.“ „Warum nicht?“ „Ich weiß nicht, wie man es schreibt!“ Dieser Wochentags-Strip vom 14. April 1951, da war Schulz gerade mal ein halbes Jahr bei der Sache, illustriert nicht mehr und nicht weniger als das grundlegende Paradox der Erkenntnisphilosophie: dass man nämlich schon immer etwas wissen muss, um etwas zu lernen.

Schulz hat die Tiefenschicht seiner Comics gern heruntergespielt. „Ich bin ganz gut darin, die Oberfläche eines Themas zu streifen, so dass es den Anschein hat, als wüsste ich eine ganze Menge darüber. Tatsächlich muss man nicht allzu viel wissen, um ein Comic-Zeichner zu sein. Wenn es also ein intellektueller Strip sein sollte, so habe ich jedenfalls nie darüber nachgedacht. Aber es freut mich, denn obwohl ich nie bewusst darüber nachgedacht habe, wollte ich natürlich etwas von Wert zeichnen.“

Diesem „Wert“ kann man nun in den ersten beiden Lieferungen der auf zwölf Jahre und 25 Bände angelegten „Peanuts-Werkausgabe“ (Carlsen) nachspüren. Im dokumentierten Zeitraum von Oktober 1950 bis Dezember 1954 entwickelt sich zwar sein Stil noch, wird sein Strich routinierter, die Figurenzeichnung skrupulöser, detailreicher, charakteristischer, aber dieser spezifische, aphoristisch doppelbödige Schulz-Witz ist gleich voll da.

Und schon früh zeigt sich Schulz zudem als Meister der Standardsituationen. Er macht das Gesetz der Serie fruchtbar und spielt mit dem Spaß des Lesers am Wiedererkennen von bekannten Motiven, die er ständig neu variiert: Charlies stets scheiternde Versuche, einen Drachen steigen zu lassen, Linus‘ genialische Bauklötzchen-Konstruktionen, Schroeders Klavierspiel, Lucy, die Charlie den Football wegzieht und ihn damit zu Fall bringt – all das bekommt erst seine volle komische Verve nach der dritten, vierten Variation.

Als Schulz am 14. 12. 1999 nach fast 50 Jahren und 17.897 Strips — wegen seiner schweren Erkrankung den Ruhestand ankündigte, sorgte diese Meldung für eine Welle von Mitleids- und Trauerbekundungen. Schulz trauerte am meisten über den Verlust des Strips. „Er wurde mir weggenommen“, betonte er. „Das war nicht meine Entscheidung. Er wurde mir weggenommen.“

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