Ziemlich feste Freunde

Ihre Songs schreiben sie am liebsten beim Schaumbaden: Palma Violets sind die rotzlümmeligste Britpop-Band unserer Tage

Das zimmermädchen schwört, da sei Pete Doherty im Raum. Aber so richtig will sie es selber nicht glauben. Also schiebt sie ihr Wägelchen weiter ins nächste Zimmer des Berliner Hotels. Schnell wird klar, dass sie wohl Sam Fryer, den Gitarristen und Sänger der Band Palma Violets, gesehen haben muss. Zugegebenermaßen sieht der Doherty sehr ähnlich, besser gesagt: einem sehr jungen, gesunden Doherty. Der hat so was ganz Spitzbübisches in seinen Gesichtszügen, und die dunklen Haare stehen in viele Richtungen gleichzeitig. Und er redet auch ähnlich noch seltsames Zeug wie der junge Doherty.

Fryer liegt mit dem Oberkörper in der unteren Etage eines Doppelstockbetts. Die Füße berühren den Boden. Das Bett ist frisch gemacht. In der Mitte kann man die zwei Schlafseiten mit einer rot-weiß-karierten Gardine trennen. Oben drüber liegt Pete Mayhew, der Keyboarder. Der hat ein Best-Coast-Shirt an, dass er von der Plattenfirmadame geschenkt bekam, die die beiden auf ihrer Promotour begleitet, und die Fryer und Mayhew ihre „Nanny“ nennen.

Seltsames-Zeug-Reden geht bei Fryer so: „Pete mag’s süß und dunkel. Das liegt daran, dass er Chinese ist.“ Kann man einfach mal so stehen lassen. Dann beginnt er davon zu erzählen, dass er auch gerne malt, und fügt hinzu, dass man sich zu ihm ins Bett legen könne, wenn man denn wolle. Und klar will man. Schuhe ausziehen. Gardine vorziehen und los geht’s.

Die Palma Violets sind eine Band, von der gerade in England ganz viele reden. Dabei gibt es sie erst ein Jahr und ein paar Monate. Sie kommen aus Lambeth, einem Stadtteil etwas südlich vom Zentrum Londons. Es ist noch nicht lange her, da haben Sam Fryer und Pete Mayhew als Aufpasser im British Museum gearbeitet. Einmal war Hamid Karzai zu Besuch. Und dem durfte Sam die Hand schütteln, aber nicht in die Augen schauen, „weil ihn das beleidigt hätte, hat jedenfalls mein Vorgesetzter gesagt“.

Obwohl Palma Violets erst so kurz zusammenspielen, erscheint ihr Debüt bei Rough Trade. Sie sind irgendwas Anfang zwanzig, und eigentlich müsste man sie beim Bierholen noch nach dem Ausweis fragen. Klar denken wir dabei an die Strokes und eben auch die Libertines, deren Erstlinge auch über Rough Trade veröffentlicht wurden. Die beiden Bands, es war Anfang der 2000er-Jahre, galten zu der Zeit als die Retter und Neuerfinder der alten Lady Rockmusik. Obwohl beide musikalisch nicht sonderlich innovativ waren, schafften sie es doch zumindest, Jungs, die anders sein wollten, Lederjacken tragen zu lassen, und brachten die Mädchen dazu, diese Jungs dann gut zu finden. Und das war schon verdammt schön. Es war auch verdammt schön, zu sehen, wie diese jungen Bands sich selbst verbrennen wollten. All die versponnenen Interviews und die großen, kaputten Auftritte. Was bleibt, denkt man an diese Anfangstage, sind „all the memories of the pubs and the clubs and the drugs and the tubs we shared together“, wie es bei den Libertines so wunderbar heißt.

Wie witzig das ist, dass bei den Palma Violets die tubs, also die Badewannen, auch so wichtig sind! Wahrscheinlich ist das so ein Ding von jungen Londoner Bands. Sam Fryer meint nämlich, dass sie es mit Drogen und Pubs gar nicht so hätten. Er und Pete Mayhew schrieben aber einige der besten Songs beim Baden. Gemeinsam? „Ja“, antworten sie beide. Mit Schaum? „Ein bisschen.“ Mayhew liegt immer noch auf der oberen Etage des Stockbetts. Fryer ist ein wenig beleidigt. „Willst du das Interview jetzt machen, oder nicht?“ Mayhew kommt runter, legt sich schließlich in ein anderes Stockbett, aber in die unterste Etage, sodass wir ihn von unserem Doppelbett aus sehen können. Er schüttelt seine Haare, betrachtet seine Handinnenflächen und legt sich dann rücklings auf das Bett, die Hände verschränkt er hinter dem Kopf.

„Best Of Friends“ ist so ein Badesong. Da saß Fryer aber mit dem Bassisten Chilli Jesson in der Wanne. Chilli habe die Melodie gepfiffen. Fryer sei dann aus der Badewanne gesprungen und habe sich sofort die Gitarre geholt, und dann sei „Best Of Friends“ eigentlich schon fertig gewesen.

Wenn man mit den beiden spricht und über die Songs redet, merkt man gleich, dass Palma Violets keine Band sind, die sich so ein Master-Konzept ausdenken und dann alle Phasen von Look, Sound und Story abarbeiten. Die sind wirklich einfach in den Proberaum gegangen und haben rumgesponnen. Irgendjemand fand das dann im Nachhinein gut. Irgendjemand war Geoff Travis, der Boss von Rough Trade, der sie nur wegen ihrer allerersten Single, eben diesem Badesong, gesignt haben soll.

Einige sagen, das sei nur wegen dieses altertümlichen Sounds der Stimme geschehen. Der ist angefuzzt, etwas verzerrt, viel Echo, ganz tief. Aber das ist nur so, weil es keine Gesangsanlage gab. Fryer benutzte einen kleinen Vox-AC15-Verstärker, der noch einen Eingang frei hatte. Da steckten sie also sein Mikro rein, und weil Gitarrenverstärker nicht zum Singen taugen, zerrt der eben. Andere werden sagen, die kopieren ja bloß wieder einen Garagensound, aber so, wie es Fryer erzählt, klingt es wie eine gute Idee.

Fryer ist wieder beim Malen. Er habe ja das Artwork gestaltet. „Ich bin der moderne Vincent van Gogh“, sagt er und kichert, dann steckt er seinen Kopf in das Kissen, das genauso kariert ist wie die Gardinen. „Hat der nicht mit Gauguin zusammengelebt?“, will Mayhew wissen. „Kann sein.“ „Früher haben Chilli und ich immer CDs getauscht.“ Fryer will das Gespräch wieder in Richtung Musik lenken, obwohl er ja selber mit dem Malen angefangen hat. Von Chilli hat er auch ein Album von Nick Cave & The Bad Seeds bekommen. Und der Gitarrist von den Bad Seeds, Blixa Bargeld, der habe gar keine Effektgeräte benutzt, und deswegen benutzt Fryer auch nur wenige. Er macht sich jetzt ein bisschen lustig über Bands wie U2. Deren Gitarrist habe vor sich auf dem Boden vier Quadratmeter nur mit Effekten ausgelegt, und das sei albern, meint Fryer. Er selber benutze nur einen Verzerrer und drei Reverbs, das sind Hallgeräte, die er alle immer zur selben Zeit anmacht, damit seine Gitarre so weit weg klingt.

Wirklich, die Songs klingen mindestens 40 Jahre entfernt. Aber gute 40 Jahre. Also Velvetunderground- und-Doors-40-Jahre. Von den Velvets haben sie das stoische Drumming und von den Doors vielleicht die Psychedelic-Orgel. Einer der schönsten Songs, der genau mit so einer Orgel beginnt, heißt „Last Of The Summer Wine“, genauso wie die am längsten in England laufende Sitcom. Das erste Mal wurde sie 1973 ausgestrahlt. Schon wieder die 40-Jahre-Entfernung. Eigentlich hieß die Schunkelnummer „Last Of The Summer Sun“, aber die Leute sangen immer Wine, und deswegen heißt der jetzt wie die Sendung.

Als die „Nanny“ reinkommt, versucht Sam gerade seine Ansichten über junge Frauen in Großbritannien auszubreiten. „Die Zeiten ändern sich. Frauen in England – über Deutschland weiß ich das noch nicht – sind heutzutage sehr verzweifelt auf der Suche nach Sex.“ Pete stimmt zu: „Heute Nacht werden wir beweisen, dass das auch in Deutschland so ist.“ Und die „Nanny“ guckt in Petes Richtung, und Pete deutet auf die anderen freien Betten im Raum, und wir kichern, und die „Nanny“ schaut jetzt so, wie eine Nanny schaut, die gerade ihre Kinder bei einem Streich erwischt hat.

Das letzte grosse Ding

Auf der Insel ist es üblich, jedes Jahr aufs Neue die Zukunft der Popmusik auszurufen. Besonders der „NME“ hat eine lange Tradition des Alarmismus

Suede Schon zwei Wochen vor Veröffentlichung ihrer ersten Single „The Drowners“ wurde die Band vom „Melody Maker“ mit einer Titelgeschichte als „Best New Band In Britain“ abgefeiert. Ein knappes Jahr später posierte Sänger Brett Anderson bereits mit Suede-Fan David Bowie auf dem Cover des „NME“.

Gene galten 1994/95, inmitten der turbulentesten Britpop-Wehen, als die neuen Smiths. Nach der Debüt-Single „For The Dead“ befand die englischen Musikpresse einstimmig: „Brightest Hope For 1995“.

Travis Für ihren ersten Song bot die Band alle Gitarren-Wucht auf, die im Britpop 1996 zur Verfügung stand. Der Sänger schrie sich die junge Seele aus dem Leib: „All I Want To Do Is Rock“. Auch hierzulande erkannte so mancher Rezensent die Single des Jahrzehnts.

The Libertines waren zweifellos die wildeste, interessanteste Band des Jahres 2002. Für die Single „What A Waster“ und das Debütalbum „Up The Bracket“ wurden keine Vergleiche gescheut: Kinks, The Clash, Pulp.

Franz Ferdinand Für Furore in den Redaktionsstuben der Musikmagazine sorgte das Glasgower Quartett sofort mit den ersten Singles „Darts Of Pleasure“ und „Take Me Out“.

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