Vinyl lebt

VOR KURZEM BIN ICH IN etwas geraten, womit ich in dieser Stadt nie mehr gerechnet hätte: In einen neuen, großen Plattenladen. Vier Jahre lang hatte man sich durch Planungsstress und den städtischen Genehmigungsdschungel geplagt, aber trotzdem sah Rough Trade NYC – die Brooklyner Außenstelle des zählebigen Londoner Labels und Händlers – drei Tage vor der Eröffnungsparty noch immer nach Baustelle aus. Es wurde eifrig gehämmert und gesägt; überall standen – noch in Plastik verpackt – leere CD- und Plattenständer.

Aber es gab auch ermutigende Zeichen: ein frisches Mural von Velvet Underground auf einer der Backsteinwände; Angestellte, die Vinyl von Al Green, John Coltrane und Arcade Fire aus den Kisten packten. Der Mitbetreiber Stephen Godfroy führte ein paar Neugierige vorab durch den 1.400 qm großen Laden, in dem es auch eine interaktive Lounge und einen Auftrittssaal gibt, in den immerhin 250 Leute passen. Laut Godfroy soll der Laden ein „Refugium“ werden, in dem man „Musik als Kunstform und nicht als Ware versteht“.

Dass es nun einen neuen Ort für Platten und CDs in New York gibt, finde ich sehr erleichternd – obwohl er doch eine ziemliche Strecke von meiner Wohnung in Upper Manhattan entfernt liegt. Doch das Ladensterben in meiner Gegend hat in diesem Jahr sehr zugenommen. Einige kleine Läden haben ganz dichtgemacht (Bleecker Bob’s, Gimme Gimme), sind nach Brooklyn (Academy) oder gleich ins Netz umgezogen (Rockit Scientist). Nur ein paar Oasen blieben übrig: Other Music, dessen kompakter Raum wie der Gesamtkatalog der Indie-Kultur wirkt, und die Downtown Music Gallery in Chinatown, die sich auf Avantgarde Jazz, experimentelle Komposition und Prog Rock spezialisiert hat.

Am Tag nach meinem Besuch auf der Rough-Trade-Baustelle habe ich mich dann der Pilgerschar auf einer Plattenbörse angeschlossen. Das Sortiment und die Preise reichten von Jimi Hendrix‘ 500 Dollar teurem 68er-Album „Axis: Bold As Love“ in einer Pressung des britischen Track-Labels, mit einem seltenen Textblatt, bis zu Disco-Maxis für einen Dollar das Stück. Meine eigenen Fundstücke lagen irgendwo dazwischen – Originalalben des Modern Jazz Quartets und der Six And Seven-Eight String Band Of New Orleans (eine Folkways-LP von 1956) sowie eine Single von Bob Seger (das dylaneske „Persecution Smith“ von 1966). Meine Konkurrenz bestand dabei keineswegs nur aus grauen Bärten, vielmehr sah man das ganze Spektrum der Rock-and-Roll-Szene – männlich, weiblich, alt, Teenie, hip oder einfach neugierig wühlten sich die Leute durch Rockabilly auf 78 RPM, Death-Metal-Alben und lebenswichtige Reissues. Am Norton-Stand fiel mir eine wunderbare 7inch von Purple Majesty in die Hände, einer Garagenband aus Queens – die einzige Azetat-Pressung von 1967, produziert vom 16-jährigen Joey Ramone.

Zwei Tage später stand ich wieder bei Rough Trade NYC. Es war der erste reguläre Geschäftstag. Das Lager tröpfelte in die Ständer und jede Menge Leute wühlten, jagten, kauften. Man sah viele lächelnde Gesichter – die Angestellten lächelten, als ich in den Laden kam, die Kunden lächelten, wenn sie gingen. Ich habe mir die neue CD von Acid Mothers Temple und Morrisseys Autobiografie gekauft. Aber vor allem bekam ich an diesem Wochenende etwas, was man nicht versandkostenfrei bei Amazon findet: nämlich Spaß.

Unser Autor David Fricke ist Redakteur beim amerikanischen ROLLING STONE. Nächsten Monat schreibt David Swindells wieder aus London.

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