Zukunft stirbt nie

London 1965. Ein Journalist fragt Dylan, warum er denn die ganze Zeit eine Sonnenbrille trage. Die habe ihm der Arzt verschrieben, weil er so schlechte Augen habe, antwortet der — und gibt dem Fragesteller seine Ray Ban. „You wanna look through those? Get a kick? See the warld as Bob Dylan sees it?“

Das ist eine Szene aus „65 Revisited“, einer Collage von Filmaufnahmen, die es nicht in die 1967 erschienene Dokumentation von Bob Dylans 1965er England-Tour „Dont Look Back“ (nur echt ohne Apostroph) schafften und die jetzt als Bonus-DVD zur Neuedition des Films zum 40. Jahrestag der Erstveröffentlichung erscheint. Neben dem restaurierten, von Regisseur D.A. Pennebaker kommentierten Film und der Bonus-Disk enthält die aufwändig gestaltete Box ein Büchlein mit dem kompletten Transkript des Films und Szenenfotos, sowie ein Daumenkino der berühmten „Subterranean Homesick Blues“-Karten-Sequenz.

Er habe kein zweites „Dont Look Back“ machen wollen, sagt Pennebaker im Kommentar zu „65 Revisited“, nur einige Szenen, die ihm damals nicht so wichtig erschienen seien und die erst im Nachhinein Bedeutung erlangt hätten, habe er nachreichen wollen.

So sieht man etwa, wie Dylan dem extra angereisten Produzenten Bob Wilson sein neues Stück „It Takes A Lot To Laugh it Takes A Train To Cry“ vorspielt, das wenige Monate später auf „Highway 61 Revisited“ erscheinen wird. Besonders pikant, da Wilson bereits vor den Aufnahmen zu diesem Album durch den Produzenten Bob Johnston ersetzt werden sollte.

Des weiteren wird man Zeuge, wenn der dandyhafte Dylan-Manager Albert Grossmann mit einem jungen Modell mit deutschem Akzent (das später als Nico im Pop-Zirkus die Rolle der tragischen Diva spielen sollte), flirtet und zugleich väterliche Ratschläge erteilt: „You have to find your own thing.“ Und man erlebt die Aufregung, die im Dylan-Camp herrscht, als Bob die Beatles treffen soll.

In „65 Revisited“ scheint Bob Dylan tatsächlich – im übertragenden Sinn — die Sonnenbrille abzunehmen. Man sieht hier nicht die coole Ikone, sondern ein Porträt des Künstlers als junger, durchaus sympathischer Mann, der etwas ratlos und peinlich berührt vor ahnungsloser Presse und aufgeregten Fans steht. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, lacht ein junger Fan in Manchester verlegen. „Ich auch nicht“, kichert Dylan entschuldigend.

Solche Momente der Verlegenheit findet man in „Dont Look Back“ nirgendwo. Der sonnenbebrillte Dylan hat dort immer alles unter Kontrolle, steht als arroganter Hipster über den Dingen und amüsiert sich königlich über die Spießer von der Presse und die hysterischen Teenies, die immer noch an „The Times They Are A-Changin“ glauben, während in seinem Hotelzimmer bereits das neue, zur Hälfte elektrische Album „Bringing it All Back Home“ läuft. Dieser Mann ist seiner Zeit so weit voraus, so die Aussage von „Dont Look Back“, dass ihm die Gegenwart vorkommt wie ein Entwicklungsland.

Es entsteht der Eindruck, als hätte Regisseur Pennebaker, der auf Vorschlag von Grossman die letzte Solo-Akustik-Tour Dylans mit der Handkamera festhalten sollte, nie Kontrolle über das Projekt gehabt. Als hätten Dylan und sein Freund und Roadmanager Bob Neuwirth hier ihre zynische Antwort auf den ersten Beatles-Film „A Hard Day’s Night“ inszeniert.

„Wir wussten immer, was wir taten, und Pennebaker wusste es nicht“, so Neuwirth, den Pennebaker im Off-Kommentar zu „Dont Look Back“ nun nicht nur gleichberechtigt zu Wort kommen lässt, sondern gleich zum Co-Regisseur erhebt, der damals mit viel Gespür zur eigenen Unterhaltung filmreife Situationen inszeniert habe.

Der Einfluss des Malers und Folkmusikers Neuwirth (dessen untere Hälfte auch auf dem Cover zu „Highway 61 Revisited“ zu sehen ist) auf den Film ist ebenso mysteriös wie der auf Dylans Karriere. Wenn man in „Dont Look Back“ sieht, wie er das Folk-Genre gleich zu Beginn am Rande einer Pressekonferenz von sich weist – oder wie er Joan Baez mit ihrer glockenhellen Stimme aufzieht, kann man sich gut vorstellen, dass er seinen Teil beigetragen hat zu Dylans Entfremdung von der alten Folkszene und gar das coole Image seines Freundes mit konzipiert hat.

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich mir dir darüber rede, oder? Das wird nicht passieren“, lacht Neuwirth, der zwar auch einige ereignisarme Soloplatten veröffentlichte, aber vor allem in seiner Rolle als Sidekick und Phantom eine der interessantesten Figuren des Pop ist. Egal, ob als Co-Autor von Janis Joplins „Mercedes Benz“, als Organisatorvon Dylans „Rolling Thunder Tour“, als Inspiration für Patti Smith oder Joni Mitchell oder als Konzeptkünstler an der Seite von John Cale. Doch die Rolle seines Lebens hatte er zweifelsohne in „Dont Look Back“, als perfekter Dylan-Zwilling.

Und er spielt diesen Part in gewisser Weise auch heute noch. Als Anfang dieses Jahres in den USA der Spielfilm „Factory Girl“ über das Leben des Warhol-Models Edie Sedgwick erschien, glaubte alle Welt, der Folkmusiker Billy Quinn, mit dem die Protagonistin eine Amour Fou eingeht, sei Dylan nachempfunden. In Wahrheit war es aber Neuwirth, der Mitte der Sechziger mit Sedgwick liiert war. „Interessiert mich alles nicht“, murrt Neuwirth, auf den Film angesprochen. „Es gibt das show business und das confession business, Ich bin nicht im confession business. Das ist die Sache der Kirche. Außerdem rede ich lieber über die Zukunft als über die Vergangenheit.“

Aber war nicht „Dont Look Back“ der Beginn von dem, was man einmal die Zukunft des Rock’n’Roll nannte? „Das kann man mit einigem Recht behaupten, ja (Pause). Wenn man sich den Film jetzt anschaut, denkt man, das sieht alles ganz normal aus. Aber damals war das etwas radikal Neues. Ein Typ mit Gitarre, der einen ganzen Konzertsaal in seinen Bann zieht. Mit Texten, die für den durchschnittlichen Popmusik-Fan schwierig zu verstehen sind. Über Themen, über die es davor keine Lieder gab. Und zur selben Zeit kommt Pennebaker und entwickelt einen neuen Stil, Filme zu machen, für den man eine Kamera benötigt, die direkt mit dem Sound verbunden ist. Das war Teil des cinema verite. Da trafen sich also zwei Kunstformen, die zu der Zeit Avantgarde waren. Heute sieht man sogar TV-Werbungen, die aussehen wie ,Dont Look Back‘, die Sequenz, in der Dylan zu ,Subterranean Homesick Blues‘ die Textkarten hochhält, wurde schon zigmal nachgemacht. Damals hat uns niemand Geld gegeben, um diesen Film zu machen, heute setzten sie das, was wir entwickelt haben, ein, um Geld damit zu machen.“

Mehr habe er nicht zu sagen zur Vergangenheit der Zukunft, meint Neuwirth. Über „Dont Look Back“ sei schon alles geschrieben, es gebe keinen Grund dem noch etwas hinzuzufügen. Wie denn seine eigene künstlerische Zukunft aussehe, frage ich daher schuldbewusst. „Ich arbeite an einer DVD“, erklärt Neuwirth, „die soll zusammen mit einer CD mit neuen Songs und einem Buch mit Zeichnungen im nächsten Jahr veröffentlicht werden. Ein Multimedia-Projekt.“

Schon in „Dont Look Back“ sieht man Neuwirth in einem Hotelzimmer zeichnen, während Dylan einen Text in die Schreibmaschine hackt, Joan Baez einen Song singt und DA Pennebaker die ganze Szene filmt. Das war 1965! Der Beginn von Multimedia. Ein alter Hut also.

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