Zwischen Blutbädern

THE ROUNDHOUSE, LONDON.

In jener Woche Mitte Januar sollte in London jeder Tag ein Sonntag sein. Sechs Abende wollte Steven Patrick Morrissey im alten Gemäuer des Roundhouse gastieren, in dem 1966 schon Paul McCartney als Scheich verkleidet – Pink Floyd und Soft Machine lauschte. Erst am siebten Tage wollte er ruhen. Es kam anders, doch zu-nächst lief alles nach seinem göttlichen Plan. Am ersten Tag — an dem sein Demiurg-Kollege das Licht und den Tag erschuf — ließ Moz den Donner grollen, Verzweiflung aufblitzen und Verachtung niederprasseln.

Gitarrist Boz Boorer warf die Wettermaschine an, sein Herr erhob die Stimme: „I am the son/ And the heir/ Of a shyness that is criminally vulgär.“ „How Soon Is Now“ brach über das Auditorium herein. Naturgewaltig, erhaben, Weh- und Frohsein zugleich. Der Sound für diese sonst of als klobig geschmähte Band überraschend subtil, Morrissey am Ende rücklings auf dem Boden liegend, die Unterschenkel auf dem Schlagzeugpodest ruhend, mühte sich unter aller Weltenlast wieder in die Vertikale. „Good evening West Harn“, bellte er den Sprechchören, die unaufhörlich seinen Namen riefen, entgegen, schwang sein Mikro und ließ „The Last Of The Gang To Die“ über die Bühne peitschen, die wogenden Menge sang jedes Wort mit.

Dann glättete er die See „I Just Want To See The Boy Happy“ plätscherte dahin — und teilte sie mit „That’s How People Grow Up“, einem recht unsubtilen neuen Song von der dieser Tage erschienenen „Greatest Hits“, der jedoch durch grandios kunstvollen Gesang erhöht wurde. Dagegen klang die Smiths-Nummer „Stop Me If You Think You’ve Heard This One Befbre“ wie grobleberwurstige Knödelei. Doch Morrissey hat eine Erklärung parat: „I had – as people in Tottenham say – a frog in me throat. And I don’t mean a small French person.“ Am Anfang war das Wort – drei Abende später brachte er keines mehr raus, die Stimme versagte, und Morrissey musste die restlichen Konzerte verschieben.

Nach dem apokryphen „Sister Tm A Poet“ dann die frohe Kunde: „Between bloodbaths“, ätzte Morrissey auf die erneuten Rassismusvorwürfe nach einem Interview mit dem „NME“ anspielend, hätten sie ein neues Album aufgenommen. „Something Is Squeezing My Skull“ legte erstes Zeugnis ab vom vermutlich im September erscheinenden Werk — Glam-Rock auf Psychopharmaka. „There’s so much destruction all over the world/ And all you can do is complain about me“, keifte er danach im — ebenfalls neuen — mächtig pulsierenden ,A11 You Need Is Me“ vom „Greatest Hits „-Album.

Ob wir eigentlich wüssten, in was für einem „incredible clean venue“ wir uns befänden, will Morrissey anschließend wissen, und dass wir bestimmt keine Ahnung hätten, wer hier schon alles gespielt habe. Ob er jemanden nennen solle? Nur eine rhetorische Frage. Er wandte sich ab von seinen Briten und warf ihnen „National Front Disco“ vor. Damit war der Trubel der letzten Wochen für diesen Abend genug kommentiert.

In „Death Of A Disco Dancer“ drehte die Band ihren Rockismus ins Apokalyptische, im zerfahrenen „Life Is A Pigsty“ ruderte sie wieder zurück. Zusammen mit „The Loop“ und „Billy Budd“ die Anti-Klimax des Abends. Das neue, wuchtige „Mama Lay Softly On The Riverbed“ mit einer enormen Schlagzeug-Coda zerrte schließlich die Erwartungen fürs nächste Album weiter in Richtung „Tour Arsenal, M7 Trial“.

Ob der Fan es sich noch mal überlegt hätte mit dem Auf-die-Bühne-Laufen-und-Morrissey-Umarmen, wenn er früh genug gemerkt hätte, dass er seine panische Fratze genau in dem Moment dem Publikum offenbart, in dem Morrissey „The World Is Full Of Crashing Bores“ anstimmte? Egal. So wurde dieses Mortissey-by-numhers-Stück doch noch ein wenig unterhaltsam.

„I’m Throwing My Arms Around Paris“, der insgesamt fünfte zum Zeitpunkt des Konzertes noch unveröffentlichte Song, folgte. Der Wiedererkennungswert vom „unloved song“ „Why Don’t You Find Out By Yourself‘ – akustisch mit Standbass und „Irish Blood, English Heart“ wurde dafür zum Ende besonders gefeiert, und Boz Boorer zeigte beim Verneigen seine Klempnerritze.

Morrissey schaut indes grimmig, als er zur Zugabe noch einmal erscheinen musste.

„Such tbings I do/ Just to make myself/ More attractive to you/ HAVE I FA1LED?“ Natürlich nicht. An diesem Abend war er unfailbar.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates