Zwischen Pink und Punk

Irgendwie dabei zu sein, ohne zum Mitmacher zu werden: Schriftsteller und Popjournalist Wolfgang Welt pendelte in den 70ern zwischen Ruhrpott und London, verpasste nichts – und fand doch keinen Besseren als Buddy Holly.

Die siebziger Jahre begannen mit einem Schock: Die Beatles, Garanten für Genialität, lösten sich auf. Sie verabschiedeten sich mit einem weinerlichen „The Long And Winding Road“ und ließen es sein. Zeitgleich tauchte Michael Jackson auf, ein schwacher Ersatz.

Im September 1970 fuhren wir mit unserer Abi-Klasse nach London. In Soho sah ich, dass im Ronnie Scott’s Club WAR spielen sollten. Ich wollte sie sehen, aber man ließ mich nicht rein, weil es ausverkauft oder ich zu jung war. Zwei Tage später las ich, dass Jimi Hendrix mit der Gruppe gespielt hatte und anschließend gestorben war. So hätte ich den genialen Musiker fast bei seinem letzten Auftritt gesehen.

Von da an fuhr ich jedes Jahr nach England. Bei einem Festival auf den Tag genau ein Jahr nach Hendrix‘ Tod erlebte ich The Who, The Faces und mehrere andere Top-Gruppen. Meist trieb ich mich im Marquee rum, wo Bands der zweiten Division spielten. Am meisten beeindruckten mich Van der Graaf Generator. Auch traf ich meine Brieffreundin Sue. Leider war sie schon verlobt.

1972. Wieder zu Hause, trat ich nach dem Wahlsieg der SPD der Partei bei. Ich weiß nicht mehr, warum. Jedenfalls ging ich nie zu Sitzungen hin. Ich blieb aber der Partei treu. So wie ich auch bis heute Kirchensteuer zahle.

Ich entdeckte Neil Young und Lou Reed für mich. Auch wenn ich mir nur „After The Gold Rush“ und „Transformer“ zulegte. Ich war kein großer Plattenkäufer, zumal ich nach einer verpatzten Zwischenprüfung kein BAföG mehr bekam. Ich hielt mich mit Nachhilfestunden und dem Geld über Wasser, das ich im Sommer in der Ritter-Brauerei verdiente. Ich studierte noch ein paar Jahre rum.

Ich kaufte mir auf Empfehlung von Franz Schöler, der damals bei der „Zeit“ war, das Gesamtwerk des weithin unbekannten englischen Singer/Songwriters Phillip Goodhand-Tait. Ich fand die Adresse der Plattenfirma DJM, bei der auch Elton John unter Vertrag war. Ich ging hin, um ein Autogramm zu erbitten. Phillip war da und wir kamen ins Gespräch.

Das Jahr darauf – Ich arbeitete bei dem Buchhändler Foyles – lud er mich zu sich in die Provinz ein. Er bat mich, seinen Song „Oceans Away“ zu übersetzen, den auch Roger Daltrey und Gene Pitney sangen. Obwohl meine deutsche Ver-sion an Ralph Siegel ging, nahm sie hier keiner auf. Phillip und ich sind bis heute Freunde und treten gemeinsam auf, ich als Vorleser, er als Sänger.

1975 sah ich zum ersten Mal in einem Musical Herbert Grönemeyer in Bochum auf der Bühne des Schauspielhauses. Man konnte schon damals erkennen, dass mal was aus ihm werden würde. Aber vorerst verschwand er in der Versenkung. Bis er mit seinem Boot auftauchte. Andere Liedermacher gefielen mir besser. Thommie Bayer, Achim Reichel, Hannes Wader. Aber so richtig mein Ding war das auch nicht.

Im Fernsehen hatten wir noch am Anfang des Jahrzehnts „Beat Club“ gesehen, u. a. mit Kraftwerk, die ich auch live in Croydon sah, genau wie Roy Orbison. Mittlerweile gab’s den „Rockpalast“, zunächst normal, dann die Nächte. Little Feat, Patti Smith und Mitch Ryder waren wirklich großartig. Ich bin aber nie hingegangen, obwohl Essen nur ein Katzensprung von Bochum entfernt ist.

Dann kamen Punk und Terror. Ich weiß nicht, ob da ein Zusammenhang bestand. Viele Leute empfanden klammheimliche Freude, als Schleyer erschossen wurde. Manche hielten die Sex Pistols & Co. für eine Heimsuchung. Ich hörte die John-Peel-Show auf BFBS und war begeistert.

’78 gab ich endgültig mein Studium auf und wurde Schallplattenverkäufer. Das ist ein Job, bei dem man sich alle Platten der Welt anhören kann, meint man, aber man hört sich dann trotzdem immer nur seine Lieblingsplatten an. Genesis und Pink Floyd gehörten nicht dazu.

So schrieb ich auch nicht über diese Superstars und nicht über die Stones bei meinem Debut im Ruhrgebietsmagazin „Marabo“, sondern über Buddy Holly.

Und so begann meine kurze Karriere als Pop-Schreiber.

Wolfgang Welt, Jahrgang 1952, schrieb unter anderem für „Sounds“. Sein aktueller Roman „Doris hilft“ erschien bei Suhrkamp.

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