Locas in Love Studiotagebuch V: The Sound Of Music

Die Kölner Indieband Locas In Love auf den Spuren ihrer Helden: Mit Paul Savage (Ex-Delgados) nehmen sie in Glasgow ihr neues Album auf. Für uns berichten sie exklusiv von ihrer Reise und aus den Studios des Chemikal Underground-Labels.

Björn Sonnenberg (Gesang, Gitarre), Stefanie Schrank (Bass, Gesang, Keyboards), Jan Niklas Jansen (Gitarre) und Christian Schneider (Drums, Glockenspiel, Percussion) sind zusammen Locas In Love. Die Kölner fuhren Anfang 2010 nach Glasgow, um mit Paul Savage den Nachfolger ihres letzten Studioalbums „Saurus“ aufzunehmen. Dafür befanden sie sich in den Studios des Labels Chemikal Underground, dem wir neben den Delgados z. B. auch Mogwai und Aereogramme verdanken. Björn Sonnenberg hat exklusiv für uns Tagebuch geführt. Ein wunderbarer, unterhaltsamer Textwust, der auf tragikkomische Weise die Ereignisse erzählt, die zur Entstehung des Albums „Lemming“ führten. (Alle Teile finden Sie in der Spalte „Artikel“ rechts neben dem Text.)

5: The Sound Of Music

Aufbau und Soundcheck sind soweit erledigt, wir haben Vorräte gekauft und meine Jazzmaster-Gitarre zur Reparatur gebracht, auf der Dezembertour mit Karpatenhund ging ein Bauteil in Wien verloren, etwas anderes brach zuvor schon aus der Verankerung. Im Laden von Jimmy Moon hängen u.a. goldene Schallplatten für 3 Millionen verkaufte ‚Love is all around‘-Singles von Wet Wet Wet – in Anerkennung seiner guten Dienste als Reparateur, außerdem ein Bild davon, wie Brian Adams gerade eine von JM gebaute Akustikgitarre kauft. Sollte je einer anmerken, daß unser Sound sich Richtung soft-verschmustem Millionenseller-Poprock der 90er verändert habe, wird es hier eine hinreichende Erklärung geben. Wir nehmen uns außerdem alte Musikzeitschriften mit, die gerade ausgemistet werden.

Im Aufnahmeraum, dem größeren Studio 1, arrangieren wir uns in einem Halbkreis um Snyde herum wie im Proberaum, damit wir einander ansehen können. Ums Schlagzeug baut Paul eine Art Haus, das an drei Seiten geschlossen ist. Den ganzen Wust an Demos und Proberaumaufnahmen haben wir zusammen mit Paul durchforstet und beginnen mit Stücken, an denen wir nur Details verändern oder mit dem Tempo experimentieren wollen. Bei manchen wollen wir versuchen, den Folk-Anteil herunterzufahren, einfach weil wir das weit genug getrieben haben. Mit zB ‚Egal wie weit‘ auf dem Saurus-Album oder dem ganzen ‚Winter‘-Album haben wir einen vorläufigen Höhepunkt für unser Amalgam aus Folk und Krach gefunden. Manchmal schreibt man sich als Band selber in Sackgassen hinein, aus ganz verschiedenen Gründen (oder einem komplizierten Geflecht aus Gründen). Zum Beispiel weil man entdeckt, daß man einen bestimmten Sound gut hinbekommt oder weil man glaubt, irgendjemand erwartet, daß man einen bestimmten Sound immer weitermacht. Wir hatten noch nicht das Gefühl, in einer solchen Sackgasse zu stecken, aber haben gemerkt, daß gerade die Lieder, die man evtl. als sehr klassische Locas-Lieder wahrnehmen könnte, aus dem Zusammenhang der meisten anderen herausfallen. Also müssen wir eben mal sehen, ob es entweder eine Möglichkeit gibt, sie so zu bearbeiten, daß sie besser zu den anderen passen oder sie eben auszuklammern.

Was gibt es noch Neues? Ah: bei einem Spaziergang in der Kälte scheint Niklas Telefondisplay zerfroren zu sein. Ein schwarzes Gebilde, das wie ein unentdeckter Kontinent aussieht, zieht sich so über den kleinen Bildschirm, daß er nichts mehr lesen kann. In einem Notizbuch habe ich eine Metrocard aus New York gefunden, auf deren Rückseite groß ‚optimism‘ steht. Ich klebe sie auf meinen Verstärker, das motiviert unheimlich und soll uns ablenken, wenn wieder Sachen kaputtgehen.

Ich telefoniere (gezwungenerweise) andauernd mit dem ADAC, der ferkakte (ein Begriff aus dem Jiddischen, in der Bedeutung und phonetisch mit dem deutschen Pendant quasi identisch) Opel muß eigentlich am Wochenende wieder in Bunnik sein, aber mit dem Profil ist an Fahren ja gar nicht zu denken! In der Zeitung ist dokumentiert, daß es der kälteste und fieseste Winter seit 30 Jahren ist und bestätigt, daß wir in der ICY HELL gefangen sind. Der kreisrunde Ausschlag, den ich während der Anreise um den Hals bekommen habe, geht zurück. Für die Dokumentation: der erste Song, den wir aufnehmen läuft unter dem Arbeitstitel ‚Geister‘, es war einer der ersten drei, die für dieses Album geschrieben wurden. Wir ändern kaum etwas außer Schlagzeugfills, die werden reduziert. Stefanies Verzerrer scheinen mit schottischem Strom anders anzusprechen, wir müssen morgen für ein paar Bodeneffekte 9V-Blöcke holen. Es fühlt sich gut an, endlich anzufangen. Die Ergebnisse klingen ganz toll und wir mögen, wie zurückhaltend sich Paul einbringt. Wenn er etwas anmerkt, bringt es die Musik immer weiter. Nichts strengt mehr an als distanzlose Produzenten, die auf einmal glauben, Herzstück der Band zu sein, die wiederum ohne sie nichts wäre. Oder Produzenten mit Profilierungsbedürfnis, die glauben, alles müsse ihre spezielle Handschrift tragen, den ihnen eigenen Sound. Paul versucht einfach zu begreifen, worauf wir hinauswollen und in den Fällen, wo wir noch nicht ganz dort sind, zu helfen, daß es passiert. Das Schottische ist auch sehr angenehm für die Ohren.

Wir werden vermutlich noch ein bißchen brauchen, bis wir ganz und gar angekommen sind und Autos, ADAC usw. vergessen haben, aber es ist so schnell so weit in den Hintergrund getreten, daß man es graphisch als Mickey Mouse darstellen könnte, die erleichtert ausatmet: phew.

Björn Sonnenberg

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