Der Brexit ist da: Cool Britannia hat verloren

Das Ergebnis war knapp, aber eindeutig. Nun ist Großbritannien gespalten in Jung gegen Alt, London gegen die Provinz, globaler Austausch gegen Abschottung. Kurzum: Pop gegen Gartenzwerg.

„The Lunatics Have Taken Over The Asylum“ sang vor über drei Jahrzehnten Terry Hall, seines Zeichens Sänger von Fun Boy Three, die Nachfolge-Band der Ska-Truppe The Specials aus Coventry. Mit seiner Textzeile von den Verrückten, welche die Anstalt übernommen haben, agitierte Hall damals gegen die Präsidentschaft des US-Republikaners Ronald Reagan.

Es ging um Nuklearwaffen, den Nato-Doppelbeschluss und gegen die Konfrontationspolitik des Ex-Hollywood-Schauspielers Reagan. Großbritannien galt damals als der „kranke Mann vom Ärmelkanal“. Premierministerin Magaret Thatcher war gerade dabei, das Königinnenreich mit eisernem Besen zu reformieren. Gegen die vormals übermächtigen Gewerkschaften, gegen die Labour Party und gegen weite Teile der Kulturschaffenden.

Rund 33 Jahre später antwortete Tory-Kulturstaatssekretär John Whittingdale kurz vor der Abstimmung auf die Frage, was es wohl für die UK-Musikszene bedeuten würde, wenn Großbritannien aus der EU austreten würde: „NICHTS!“. Im vollen Brustton der Überzeugung. „Wir sind die mit Abstand kreativste Nation auf diesem Planeten. Und das hat nichts mit dem zu tun, ob wir in der EU sind oder nicht. Die Welt mag nach dem Referendum eine andere werden. Doch wenn es eine Sache gibt, derer ich mir absolut sicher bin, dann diese, dass britische Popmusik weiterhin durchstarten wird.“

Nun sind die Würfel gefallen. Großbritannien (oder vielleicht sogar ein Rest-Britannien ohne Schottland und Nordirland) will und muss sich abnabeln, in einem komplizierten juristischen Prozess, der am Ende nicht nur für die Kreativ-Industrie massig Bürokratie und Formulare bedeuten dürfte. Stuart Braithwaite von der schottischen Band Mogwai nannte Whittingdale dann auch in einem harschen Social-Media-Kommentar “fucking moron”, frei übersetzt: Durchgeknallter Irrer!

Nun haben also in Großbritannien die Verrückten wirklich die Anstalt übernommen, mit zweifelhaften Abschottungsplänen für ein Land, das spätestens seit den Beatles angetreten ist, die Welt mit ihren frei schwebenden Popträumen zu beglücken. Jetzt will eine 51-Prozent-Mehrheit die Zugbrücken hochziehen, gegen den erklärten Willen der meisten Briten unter 45, die sich längst an ein feucht-fröhliches Easyjetraver-Dasein auf dem europäischen Kontinent gewöhnt hatten.

Die Musikwelt war nahezu geschlossen gegen den Brexit

Es ist sicherlich etwas früh, die komplexen Ausstiegsverhandlungen vorzudenken, die aber in letzter Konsequenz natürlich auch den kleinteiligen Musikbetrieb treffen werden. Ob britische Bands wie seinerzeit bei den Fab Four auf der Hamburger Reeperbahn wieder ein „Carnet“ für ihr Equipment benötigen, wo jedes noch so kleine Equipment-Teil aufgeführt werden muss, wenn es auf Clubtour geht? Kaum vorstellbar, aber immerhin im Raum stehend, wenn sich die Verhandlungen festfressen werden.

Laut einer Erhebung des Fachblattes „Music Week“ haben sich 91 Prozent der Schaffenden aus Labels, Agenturen und Verlage  gegen einen BREXIT ausgesprochen. Das Blatt zitierte Rob Hallet, CEO des Multi-Tour- und Musikverlages Robomagic: „Jetzt sind unsere glücklichen Tage vorbei. Jeder, der einmal versucht hat, von der EU hinein nach Russland zu touren, kennt die Alpträume der sechsstündigen Zoll- und Grenzkontrollen, mit zusätzlichen und teuren Ausfalltagen, die für alle Fälle eingeplant werden müssen.“

Neben all diesen kaufmännisch-krämerischen Details ist es vor allem die vergiftete Atmosphäre, die auch die Musikszene in Großbritannien erst einmal verarbeiten muss. Das Raunen der UK-Popwelt im Vorfeld des Brexit war nie schrill, eher eindringlich argumentativ mahnend.

Genutzt hat dieses Understatement offensichtlich nix. Cool Britannia hat verloren. Zu keiner Stunde konnte die Popwelt die grummelnden Aussteiger überzeugen.

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