111 Songs: Kraftwerk – „Autobahn“

In der Rolling-Stone-Beilage: "Pop in Deutschland" haben unsere Autoren 111 Bands und ihre besten Songs zusammengetragen. Andreas Borcholte erklärt, warum "Autobahn“ von Kraftwerk einer davon ist.

Das Anlassgeräusch eines Motors, ein beschwingtes Hupen, eine verfremdete Stimme, die, immer höher kadenzierend, das Wort ‚ Autobahn‘ wiederholt. 22 Minuten und 48 Sekunden, eine ganze LP-Seite, nahm das Titelstück des Kraftwerk-Albums von 1974 ein. Eine kongeniale, kühle, aber nicht kaltherzige Illustration deutscher Wirtschaftswunder-Markenzeichen und Ingenieurs-Identität: Kraftwerk waren dabei, sich von Krautrockern zu Avantgardisten elektronischer Musik zu wandeln – und ließen die Bundesrepublik plötzlich nicht mehr nazidumpf und schwerfällig deutschtümelnd erscheinen, sondern schlank, modern und elegant. Der fröhlich-naive Refrain „Fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn“ wurde zum geflügelten Wort und zum Synonym für gesellschaftliche Erleichterung. Erfolgreicher, vor allem im Ausland, war deutsche Popmusik nie wieder. Eine gekürzte Fassung von „Autobahn“ fand sich sogar in den US-Charts wieder, in Deutschland schaffte es das Album in die Top Ten. Als letztes Kraftwerk-Album, das von Conny Plank in Köln aufgenommen wurde, enthält „Autobahn“ noch wärmende Restspuren psychedelischer Rockmusik, wie einen verträumten Flötenpart und Klaus Roeders Gitarre.

Nach dem Umzug der Band um den Organisten Ralf Hütter ins bandeigene Kling-Klang-Studio nach Düsseldorf verschwanden schon auf dem Folgealbum, „Radio-Aktivität“, alle echten Instrumente aus dem Kraftwerk-Klangbild, auf Moog-, EMS- und ARP-Synthesizern entstand ein hypnotisch-repititiver früher Techno-Sound. Fachleute waren ob der neutönenden Maschinenmusik eher skeptisch: „So etwas gehört eigentlich gar nicht veröffentlicht“, zitierte der „Spiegel“ 1975 den Großkritiker Manfred Sack, doch die „New York Times“ sah in den elektronischen Mantren Kraftwerks, „diesem ältesten nicht-chemischen Weg zur Versenkung“, bereits „einen der wichtigsten Musiktrends dieses Jahrzehnts“. Es sollten dann Jahrzehnte werden.

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