1999: Dreifach-Gold für Stefan Raabs „Maschen-Draht-Zaun“

Lang ersehnter TV-Entkalker oder Neuzeit-Bohlen, der aus Dreck leckere Lollies bastelt? Um genau diese Frage geht es hier nicht. Eines steht nämlich jenseits jeglicher Geschmacksdiskussion fest: Raab praktiziert die moderne Vermarktung von Musik so vielseitig wie kein Zweiter im gesamtdeutschen Fernsehprogramm.

Von etlichen legendären Ideen, die Raab spätestens seit seinem ersten TV-Total-Jahr 1999 zu Verkaufsschlagern macht, knabbert sich diese besonders hartnäckig im Gedächtnis der Zuschauer fest: Der Maschen-Draht-Zaun. In der SAT.1-Gerichtssendung „Richterin Barbara Salesch“ stößt er auf die 52jährige Leipzigerin Regina Zindler, die mit ihrem Nachbarn im entsprechenden Dialekt um einen Knallerbsenstrauch streitet. Raab fällt die Rhythmik des darin enthaltenen Worts „Maschendrahtzaun“ auf, und kurzerhand verarbeitet er es zu einem Country-Song, den er schließlich mit Truck Stop performt, promotet 9. und als Single veröffentlicht. Er verkauft rund eine Million Exemplare davon und beglückt Frau Zindler mit einer Beteiligung von zehn Pfennig pro Stück. Raab macht Musik zu einem Hauptbestandteil seiner Show: Zuerst singt er rotzfreche Raabigramme (in Anlehnung an Rudi Carrells Rudigramme) für Prominente wie Harald Schmidt, Tom Jones, Angus Young, Scooter, Britney Spears, die Klitschkos und natürlich Dieter Bohlen, lässt haufenweise Stars von Tokio Hotel bis Metallica auftreten und auf seinem Sofa gastieren, integriert Live-Acts in Folge-Formate wie die Wok-WM, die Autoball-EM, das Stockcar-Rennen, den Parallelslalom oder das TV-Total-Turmspringen und etabliert mit dem „Bundesvision Song Contest“ oder „SSDSGPS“ (Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star) quotenträchtige Wettbewerbe, die deutschen Künstlern eine Plattform bieten und deren Niveau akzeptabel ist. Für das Konzept von SSDSGPS erhält Raab 2005 sogar den Adolf-Grimme-Preis in der Kategorie „Entdeckung und Förderung junger Musiktalente“.

Selbstverständlich vermarktet Raab auch seine eigenen Streiche gezielt über diese Portale. Nur einige Beispiele sind: 1999 „Ö La Palöma Bianca“, 2000 „Wadde hadde dudde da“, womit er zum Eurovision Song Contest fährt, ebenfalls 2000 „Ho Mir Ma Ne Flasche Bier“, für das ein Interviewausschnitt von Gerhard Schröder herhält, 2001 „Wir kiffen“ oder 2002 „Gebt das Hanf frei!“, basierend auf einem Ausspruch von Hans-Christian Ströbele. 2004 produziert er Max Mutzke, und 2005 nimmt er mehrere Songs für den Soundtrack des Bully-Films „(T)Raumschiff Surprise – Periode 1“ auf.

Ein guter Gedanke bleibt eben unbezahlbar. Stets sind es originelle Ideen gepaart mit Zeitgeist und einer unnachahmlichen Kaltschnäuzigkeit, die Raab seine Würze verpassen. Allzu gern übersieht man dabei, dass er von jeher musikverrückt ist: Er gilt als ausgezeichneter und vielseitiger Musiker, kreiert schon zu Beginn der neunziger Jahre Jingles und Spots für Blenda-Med oder das ARD-Morgenmagazin und leistet bereits in seiner VIVA-Sendung „Vivasion“, die von 1993 bis 1998 ausgestrahlt wird, hin und wieder Bemerkenswertes. Man erinnere sich etwa an den 1994er-WM-Song „Böörti Böörti Vogts“ oder den Rap „Hier kommt die Maus“ aus dem Jahre 1996, der Platz 2 der deutschen Charts erreicht und den er damals sogar mit Busta Rhymes auf der Straße jamt. Spätestens seit 1998 weiß die Republik: Der Raab kann mehr als blödeln. Denn hier komponiert er – unter dem Pseudonym Alf Igel – das Stück „Guildo hat euch lieb“ für Guildo Horn, der damit auf Platz 7 des Eurovision Song Contest und Position 4 der deutschen Charts landet. Der Rest ist dann eindeutig Geschmackssache.

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