Hänschen war Spitze

Im NDR versucht sich Kai Pflaume an „Dalli Dalli“, dem Fernseh-Tafelsilber der alten Bundesrepublik.

An Hans Rosenthal wollte die deutsche Gesellschaft wiedergutmachen, was sie den Juden angetan hatte. Er überlebte als Zwangsarbeiter und später in einer Berliner Laubensiedlung den Krieg und den Holocaust – und sprach erst spät öffentlich darüber, als wäre es ihm peinlich. Hänschen, wie er jovial auch von Menschen genannt wurde, die ihn nicht kannten, war der freundlichste und friedlichste Bürger der alten Bundesrepublik, und es war eine böse Ironie des Schicksals, dass er, der so unwahrscheinlich überlebt hatte, 1987 im Alter von nur 61 Jahren starb.

In der Nachkriegszeit war Rosenthal ein emsiger Spiele-Erfinder und sogenannter Quizmaster – erst beim Hörfunk, bald auch im Fernsehen. Seine harmlosen Unterhaltungssendungen gehörten zum Grundbestand des heimischen Frohsinns, zur Erbauung und zur Ablenkung. Rosenthal stellte den Kandidaten, den Mann von der Straße, mit ein paar geschickten Fragen vor und bewies damit: Seht, hier ist einer von euch! Dass er selbst nicht dazugehörte, unterschied ihn nicht von Platzhirschen wie Hans Joachim Kulenkampff, Peter Frankenfeld oder Vico Torriani: Der Show- oder Quizmaster war kein Depp, keine Rampensau wie heute – er verkörperte Autorität, Souveränität, Nonchalance. Rosenthal aber prahlte nicht mit der ihm verliehenen Amtswürde, er machte sich klein, er war der Stichwortgeber, der Ansager, der Notizzettel.

Als 1971 „Dalli Dalli“ im ZDF begann, hatte Hans Rosenthal seine Bestimmung gefunden. Nun kamen die Prominenten der Republik zu ihm, um zu raten, Begriffe aufzusagen und bei infantilen Aktionsspielen mitzumachen. Der Schnellmaler Oskar war mit von der Partie, Monika Sundermann, damals Ehefrau eines Fußball-Trainers, war die fesche Assistentin, und in der Jury saß Rosi Mittermaier, seit ihrem Olympiasieg im Skifahren die beliebteste Frau der Nation: „Gold-Rosi“. Die Geld-Gewinne wurden akkurat in Schilling und Franken umgerechnet, damit die Nachbarländer genau Bescheid wussten. Wie bei „Was bin ich?“ bestand die Sendung aus einer Abfolge von Ritualen, zu der später auch das „Dalli-Klick“ und besonders der Sprung Rosenthals bei „Sie sind der Meinung: Das war Spitze!“ gehörten. Bei „Spitze!“ trampelte und johlte das Publikum, und wenn es laut genug war, dann gab es ein aufdringliches Alarmsignal wie im Feuerfall. Rosenthal sprang immer sehr gern und benutzte dabei ausnahmsweise den erhobenen Zeigefinger.

Zum Ritual der Show zählte auch Rosenthals gedrechselte Ankündigung der Prominenten, die immer paarweise ins Studio gebeten wurden. Die Karteikartenausführungen begann Rosenthal stets mit einem markanten „Er …“ und „Sie …“. Die Kandidaten mussten Fehler in Schauspielszenen finden, die in kitschigen Requisiten aufgeführt wurden. Es ist schwer vorstellbar – auch für diejenigen, die es erlebt haben -, dass dieses Treiben bis 1986 im Abendprogramm veranstaltet wurde. Mit dem Tod Rosenthals starb die Sendung – eine Wiederauflage mit Andreas Türck scheiterte 1996 schnell. Nun hat sich der NDR mit Hans Rosenthals Sohn Gert auf einen weiteren Versuch verständigt – eine Bewährungsprobe für den alten Sat.1-Beau Kai Pflaume. Der hatte seit 1994 die Versöhnungs-Show „Nur die Liebe zählt“ moderiert, in der er sich als Meister des Verzögerns und Munkelns, der plumpen Andeutung und starren Mimik präsentierte. Nebenbei moderierte er Stefan Raabs Turmspringen in der Münchner Olympia-Schwimmhalle – das Engagement endete, als Pflaume sich verzweifelt weigerte, zum Ende einer Sendung vom Zehn-Meter-Turm zu springen, obwohl Raab ihn ausdauernd neckte und verhöhnte.

Von Leuten wie Pflaume wird gern als „Schwiergermutter-Liebling“ gesprochen, obwohl dieser Typus den meisten Schwiegermüttern zu hübsch, zu eitel und zu pomadig ist. Im NDR ist der gebräunte Moderator eine Lichtgestalt, denn die hauseigenen Quiz-Sendungen wurden von Personal wie Carlo von Tiedemann, Eva Herman und Lutz Ackermann geleitet, die Radio und Nachrichtenvorlesen gelernt hatten. Mit Jan Höfer sitzt die trübste Gestalt dieser Art in der Jury von „Dalli Dalli“ – ein „Tagesschau“-Sprecher, der zu später Stunde im NDR seine Liebe zum Big-Band-Jazz ablesen durfte. Zweifelhafte Prominenz wie Mareile Höppner und Cornelia Poletto blamiert sich bei Wissensspielen und eiert auf Kinderfahrrädern durchs Studio, und Kai Pflaume springt einwandfrei die „Spitze!“. Wenn er ein paar Schritte zur Seite geht, sind die Putzfrauen im Bild, die den Müll vom letzten Blödsinnsspiel beiseitefegen. Es gibt keinen Schnellzeichner, kein Theater, keinen Schilling und keinen Franken.

Am Ende der Sendung wurde es bei Hans Rosenthal immer sehr traurig, wenn der Gewinn des Abends mit belegter Stimme einer notleidenden Familie gestiftet wurde. Es war eine Menge Geld. Die 4000 Euro und ein paar Zerquetschten, die Pflaume zu vergeben hat, wirken bloß armselig.

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